Wissenschaft, Ideologie und Mentalität

Wissenschaft, Ideologie und Mentalität

Veranstalter
Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. / Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte
Veranstaltungsort
Medizinische Hochschule Hannover
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2009 - 27.09.2009
Deadline
31.03.2009
Website
Von
Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. / Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte

Das Verhältnis von Wissenschaft und Ideologie hat eine lange und kontrovers diskutierte Geschichte und es lohnt sich, sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufzugreifen. Seit kurzer Zeit streiten sich Wissenschaftsforscher/innen darum, ob wir einen epistemischen Bruch im Wissenschaftssystem zu verzeichnen haben, der mit dem Ausdruck „Techno-Science“ zu bezeichnen ist (Paul Forman). Wenn Technoscience ein Phänomen der Postmoderne ist und Wissenschaft mit dem Zeitalter der Moderne zu tun hat, dann unterscheiden sie sich z.B. dadurch, dass die eine (Science) auf eine bestimmte Konstellation von Fortschritt und Wahrheit zielt, während es in der anderen (Technoscience) vorrangig um Möglichkeiten und Machbarkeiten von angewandtem Wissen geht. Interessant ist dabei, dass der Begriff Ideologie wieder auftaucht, ein Begriff, der sich seit den 80er Jahren scheinbar erledigt hatte, zumindest als man die Unterscheidung „wissenschaftsintern“ vs. „wissenschaftsextern“ fallen ließ. U.a. hat die Analyse von Forman eine breite Diskussion über neue und alte Konstellationen von Wissen, Machbarkeit, Mentalität und Ideologie entfacht.
Doch die Annäherung an diese Fragen kann auf vielfältige Weise erfolgen: Erstens kann eine theoretisch-methodische Perspektive eingenommen werden, in deren Zentrum der Ideologiebegriff selbst, seine Geschichte, seine unterschiedlichen Interpretationen und Anwendungsmöglichkeiten stehen. Dafür bezeichnend ist die Geschichte des Begriffs „Ideologie“ selbst: Der Ausdruck „idéologues“ wurde im 18. Jahrhundert zunächst zur Charakterisierung einer bestimmten philosophischen Schule benutzt, bis er in der napoleonischen Zeit in pejorativer Absicht für Philosophen stand, die praxisfern räsonieren und theoretisieren. Seitdem hat der Begriff seinen negativen Beiklang nicht verloren. Andererseits stand „idéologie“ auch für die Regulierbarkeit und faktische Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis durch den menschlichen Geist.
Zweitens ist es möglich und sinnvoll, die Entstehung und Verwandlung von Wissenschafts- und Wissensideologien historisch zu verfolgen. Ideologien oder Ideologeme wurden im Hinblick auf die modernen Wissenschaften (hier vorläufig verstanden als Wissenschaft zwischen der kopernikanischen und der informationellen Wende) in zahlreichen Studien von Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung untersucht. Zu nennen sind z.B. Machbarkeitsideologien bis hin zu Schöpfungsfantasien, Ideologien von Objektivität, Reinheit, Fortschritt, Mathematisierung.
Neben der Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Ideologie soll auf der Tagung auch nach demjenigen von Wissenschaft und Mentalität gefragt werden. Der Begriff der Mentalität ergänzt denjenigen der Ideologie. Wir verstehen ihn als Ausdruck der Vergesellschaftungsform bestimmter Denkkollektive. Die Ansprüche, die seitens der Wissenschaften/Technowissenschaften an die wissenschaftlich tätigen Individuen gestellt werden, gehen buchstäblich unter die Haut. So verändert z.B. die Ökonomisierung des akademischen Wissens das Selbstverständnis und Selbstbild der beteiligten Wissenschaftler/innen (bis hin zum Moralkodex und zur sozialen Position innerhalb der „scientific community“) und den Charakter des Wissens selbst.
Mentalitäten lassen sich auch dort untersuchen, wo es um die Repräsentation von Wissenschaft und deren Akteur/innen in den Medien geht. Wenn wir gerade in diesem Bereich vorschlagen, mit dem Begriff der Mentalität zu arbeiten, so deshalb, weil wir vermeiden wollen, dass Stereotype reproduziert werden: z.B. die Erzeugung reinen, interesselosen Wissens durch die „scientific community“ und die Ideologisierung „wissenschaftlicher Objektivität“ durch die Medien.
Über diese materiellen oder symbolisch-repräsentativen Koppelungen sind die Individuen mit gesellschaftlichen Ideologien verbunden. Wissenschaftsmentalitäten sind von Wissenschaftsideologien und diese von der Wissenschaftspraxis nicht zu trennen.
Themenkreise, an denen dieses Verwobensein von Ideologie und Mentalität in den Wissenschaften untersucht werden können, sind z.B.:
- Modernisierungsideologien in Wissenschaft, Staat und fördernden Institutionen
- Krisen- und Katastrophenszenarien als Ideologie und Forschungsimpuls
- Mentalitäten und Ideologien in Risikodiskursen
- Ideologien wissenschaftlichen Fortschritts
- Gender-Ideologien
- Fetischisierung von Wissenschaft und Technik
- Standardisierung, Kodifizierung und Normierung von wissenschaftlichem Wissen
- Strategien der Glaubhaftmachung und Relevanzerzeugung
- Mentalitäten und Ideologien im Feld kultureller Differenzen und sozialer Hierarchien.

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. bittet zur gemeinsamen Tagung mit der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte um Vortrags- und Sektionsanmeldungen zum Rahmenthema. Panels können aus drei oder vier Personen bestehen (zwei Sprecher/innen und ein/e Kommentator/Moderator/in oder drei Sprecher/innen und ein/e Moderator/in). Bei der Zusammenstellung von Sektionen ist darauf zu achten, dass genügend Zeit für Diskussion bleibt. Bewerbung bis zum 31.3. sowohl für Sektionen als auch für Einzelvorträge mit einem Abstract (maximal eine Seite) für Einzelvorträge oder für Sektionen mit einem kurzen zusätzlichen Abstract für die Sektion.

Programm

Kontakt

Abstracts bitte an:
PD Dr. Sabine Schleiermacher,
Tel.: +49-(0)-30-830092-20
Fax: +49-(0)-30-830092-58
Institut für Geschichte der Medizin Charité, Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte, Klingsorstr. 119, D-12203 Berlin, E-Mail: sabine.schleiermacher@charite.de


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Deutsch
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