Unfreie Arbeits- und Lebensformen in historisch vergleichender Perspektive: Rechtliche Grundlagen – Soziale Praxis – Symbolische Repräsentationen

Unfreie Arbeits- und Lebensformen in historisch vergleichender Perspektive: Rechtliche Grundlagen – Soziale Praxis – Symbolische Repräsentationen

Veranstalter
DFG-Graduiertenkolleg 846: "Sklaverei – Knechtschaft und Frondienst – Zwangsarbeit. Unfreie Arbeits- und Lebensformen von der Antike bis zum 20. Jahrhundert"
Veranstaltungsort
Promotionsaula des Trierer Priesterseminars
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.12.2008 - 20.12.2008
Von
Marcel Simonis

Die machtgeprägten und verrechtlichten Strukturen unfreier Arbeits- und Lebensverhältnisse sollen als Ensembles sozialer und symbolischer Praktiken entschlüsselt werden, die die Beteiligten individuell und in sozialen Gruppen realisieren bzw. sich aneignen. Ein Ausgangspunkt der Konferenz soll sein, die Möglichkeiten und Grenzen der Handlungsspielräume der in Systeme unfreier Arbeit Eingebundenen aufzuzeigen. In diesen Räumen sollen die Spannungsfelder sichtbar gemacht werden, die zwischen verrechtlichten Regelungen und Normen und dem konkreten Agieren der von Sklaverei, Zwangsarbeit etc. Betroffenen (sowie der diese Arbeitsverhältnisse Organisierenden und der von ihnen Profitierenden) entstanden bzw. entstehen. Die Akteure in diesen Handlungsspielräumen füllen Rollen aus, die immer wieder neu ausgehandelt werden und in hohem Maße symbolisch aufgeladen sind, was auf ein Verständnis unfreier Arbeits- und Lebensformen als komplexe Abfolgen symbolischer Praktiken verweist. Damit wird insgesamt ein Untersuchungsfeld umrissen, das alle an Formen unfreier Arbeit beteiligten Akteure in den Blick nimmt, und diese im Spannungsfeld machtgeprägter Beziehungen verortet. Rechtliche und soziale Rahmenbedingungen, Herrschaftstechniken ebenso wie Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten der von ihnen Betroffenen werden dabei in aller Regel auch geschlechter-, alters- und sozialstatusspezifisch praktiziert und wahrgenommen und sind insofern auch auf diese Kategorien hin zu befragen. Ebenso kommt den Deutungsmustern und Sinnstiftungen unfreier Arbeitsformen Einfluss auf Gründung, Wahrung und Untergang der auf diesen basierenden Systemen, ihrer Einzelelemente und Lebensverhältnisse zu. Religionen, Philosophien und Ideologien sind in diesem Zusammenhang Beispiele dafür, wie aus denselben geistig-sozialen Reservoirs gleichzeitig System stabilisierende und unterminierende Entwicklungen entstehen bzw. Legitimationsstrategien für oder gegen diese abgeleitet werden können. Gleichzeitig ist die Frage von Kontinuität und Wandel mentaler Dispositionen sowie rechtlicher und sozialer Strukturen, die sich auch nach einem Statuswandel unfrei Arbeitender weiterhin auswirken, insbesondere hinsichtlich postemanzipatorischer Lebens- und Vergesellschaftungsformen zu untersuchen.

Auf der Ebene sozialer Praxis sind Individuen und Gruppen bemüht, sich mit herrschaftlichen Zumutungen zu arrangieren, sie sich aktiv anzueignen, sie zu unterlaufen, sich ihnen zu entziehen oder sich ihnen gar offen zu widersetzen. Hier ist danach zu fragen, welche Prozesse eher auf die Überwindung eines Sklavereisystems hinwirken, und welche ein solches System eher stabilisieren. Dies auch mit dem Blick darauf, welche Kalküle und strategischen Interessen die Herrschaft Ausübenden in diesen Prozessen verfolgen. Die – entweder als individuell wahrgenommene oder als kollektiv imaginierte – Identität der unfrei Arbeitenden wird in diesem Kräftefeld ein umkämpftes Gut im Sinne einer sozialen Kategorie. Eng damit verbunden ist das Bestreben, die eigene Würde zu wahren oder (wieder)zu gewinnen, wiederum mit offenem Ausgang. Dabei sollen solche Persönlichkeit strukturierenden Konzepte wie Identität, Würde etc. nicht nur als Orientierungsgrößen für die Analyse individuellen und kollektiven Handelns angewendet, sondern auch hinsichtlich ihrer eigenen Historizität und der damit einher gehenden Implikationen untersucht werden. Im historischen Übergang zwischen den verschiedenen Systemen unfreier Arbeit mussten und müssen immer wieder unter geänderten politischen Voraussetzungen neue Begrifflichkeiten und Deutungshorizonte entworfen werden. Den semantischen Hintergrund bildet(e) hierfür vielfach die äußerst langlebige und produktive Metaphorik, die vor allem, aber nicht nur im Feld der Sklaverei entstanden ist. Andererseits ist hier auch der Bereich der Visualisierung bzw. der bildlichen Darstellung unfreier Arbeits- und Lebensverhältnisse von den antiken bis hin zu modernen Formen angesprochen.

Es gilt also, die verschiedenen angesprochenen Dimensionen rechtlicher Grundlagen, sozialer Praxis und symbolischer Repräsentationen in ihrem Verhältnis zueinander wahrzunehmen, in ihrer Dialektik, ihren Übergängen und Überlagerungen. Wir möchten einladen zu einem Austausch zwischen den verschiedenen Epochen, geographischen Räumen und disziplinären Ansätzen, der ein anderes Licht auf alte und neue Quellen werfen und informiertere Fragen zu gegenwärtigen Phänomenen ermöglichen kann.

Programm

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Eröffnung

10:00-10:10 Prof. Dr. Peter Schwenkmezger, Trier: Begrüßung durch den Präsidenten der Universität Trier

10:10-10:45 Elisabeth Herrmann-Otto, Trier: Begrüßung und thematische Einleitung
Einführungsvortrag (Moderation Elisabeth Herrmann-Otto, Trier)

10:45-11:30 Egon Flaig, Rostock: Was ist das welthistorisch Besondere am Abolitionismus und an der Abolition?

11:30-12:00 Diskussion

12:00-13:30 Mittagspause

Panel I: Staats-, privat- und gewohnheits-rechtliche Grundlagen – Soziale Praxis (Moderation: Thomas Rüfner, Trier)

13:30-13:55 Kostas Vlassopoulos, Nottingham: Two Images of Ancient Slavery: the ‘Living Tool’ and the koinônia

13:55-14:20 Antonio Gonzales, Besançon: Flux d’esclaves et dynamiques économiques dans l’empire romain. Une première globalisation?

14:20-14:40 Sven Korzilius, Trier: Freilassungen und Statusprozesse in Portugal und Brasilien (16.-19. Jh.)

14:40-15:00 Kaffeepause

15:00-15:25 Franz Irsigler, Trier: Wann wird aus „servus“ = Sklave „servus“ = Knecht?

15:25-15:50 Franz Dorn, Trier: Selbstverknechtung-Selbstversklavung durch Vertrag?

15:50-16:20 Diskussion

16:20-16:45 Kaffeepause

Panel II: Religion, Philosophie, Ideologieals (De-)Legitimation von Sklaverei (Moderation: Ulrike Roth, Edinburgh)

16:45-17:10 Claus Füllberg-Stolberg, Hannover: Moravische Missionare und Sklavenemanzipation in der Karibik

17:10-17:35 Eduardo Paiva, Belo Horizonte: Diener Allahs, Sklaven in der Christenheit - Afrikaner islamischen Glaubens in den kolonialen Amerikas ( mit Schwerpunkt auf Minas Gerais)

17:35-17:55 Christian Grieshaber, Trier: Forschungen zur antiken Sklaverei im Zeitalter der schottischen Aufklärung - Wurzeln des britischen Abolitionismus?

17:55-18:25 Diskussion

18:25-20:00 Abendpause

20:00-21:30 Kulturelle Abendveranstaltung

Freitag, 19. Dezember 2008

Panel III: Handlungsspielräume unterunfreien Arbeits- und Lebensbedingungen (Moderation: Marcel van der Linden, Amsterdam)

10:00-10:25 Bassir Amiri, Besançon: De l’organisation du travail servile dans les Germanies d’après les sources épigraphiques

10:25-10:50 Dick Geary, Nottingham: Anpassung und Widerstand: Die Überlebensstrategien brasilianischer Sklaven, 1780-1880

10:50-11:10 Cornelia Jeske, Trier: Fremdwahrnehmung der Sklaverei in den USA. Deutsche Einwanderer und die Sklavenarbeit.

11:10-11:30 Kaffeepause

11:30-11:55 Andreas Eckert, Berlin: Der langsame Tod der Sklaverei. Unfreie Arbeit und Kolonialismus in Afrika im 20. Jahrhundert

11:55-12:20 Maja Suderland, Darmstadt: „Es bestand nicht die geringste Aussicht, jemals wirklich für alle ein Niemand zu werden“. Soziologische Überlegungen zur Häftlingsgesellschaft in nationalsozialistischen Konzentrationslagern

12:20-12:50 Diskussion

12:50-14:15 Mittagspause

Panel IV: Widersetzlichkeit und Widerstand (Moderation: Michael Zeuske, Köln)

14:15-14:35 Piotr Wozniczka, Trier: Ein Humanistischer Blick auf die Sklavenaufstände bei Diodor

14:35-15:00 Alexandra Hasse-Ungeheuer, Frankfurt a. M.: „... weil die göttliche Gnade alle gleich aufnimmt (Nov. Iust. 5,2)“: Sklaven werden zu Mönchen. Der Umgang von Kirche und Staat mit der Kloster„flucht“ von Sklaven in der Spätantike

15:00-15:25 Ulrike Schmieder, Hannover: Sklavenwiderstand auf Kuba

15:25-15:45 Kaffeepause

15:45-16:05 Daniel Bruckner, Trier: Vernetzter Widerstand? Die Rebellion von Boca de Nigua und „Haiti“

16:05-16:30 Rana Behal, Delhi: Boundaries and Shifting Forms of Resistance. Indentured Labour in Assam Tea Plantations during Colonial Rule

16:30-16:50 Detlev Humann, Trier: Widersinn und Protest bei der NS-Arbeitsbeschaffung

16:50-17:20 Diskussion

17:20-20:00 Abendpause

Abendvortrag (Moderation: Heinz Heinen, Trier)
20:00-21:00 Keith Bradley, Notre Dame: Resisting Slavery at Rome

21:00-21:30 Diskussion

Samstag, 20. Dezember 2008

Panel V: Identität und Würde (Moderation: Lutz Raphael, Trier)

9:00-9:25 Thomas Guard, Besançon: Affection et humanitas dans les relations maître-esclaves d’après la Correspondance de Cicéron

9:25-9:50 Alf Lüdtke, Erfurt: „Eigensinn“ - oder Reiz und Mehrwert eines Wortwechsels.

9:50-10:15 Kaffeepause

10:15-10:35 Christoph Thonfeld, Trier: Identitäten zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung in den lebensgeschichtlichen Erzählungen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter/innen

10:35-10:55 Tamara Enhuber, Trier: Identität und ihre Dynamiken - Indische Arbeiter/innen in der Auseinandersetzung um das System der bonded labour

10:55-11:25 Diskussion

11:25-11:45 Kaffeepause

Panel VI: Bilder von Sklaverei (Moderation: Georg Wöhrle, Trier)

11:45-12:05 Ivano Loffredo, Trier: Sklaverei und Freiheit in den Reden des Dion von Prusa

12:05-12:30 Bernhard Zimmermann, Freiburg: Sklaven und Sklaverei bei Aristophanes

12:30-14:00 Mittagspause

14:00-14:25 Claude Brunet, Besançon: Les noms d’esclaves dans le Satiricon: identité acquise ou dignité perdue?

14:25-14:50 Guy Labarre, Besançon: Quand Lucullus dînait chez Lucullus

14:50-15:10 Kaffeepause

15:10-15:30 Claudia von Behren, Trier: Bildliche Repräsentation von Unfreien
15:30-16:00 Diskussion

16:00-16:15 Kaffeepause

Podiumsdiskussion (Moderation: Elisabeth Herrmann-Otto)

16:15-17:45 Franz Dorn, Egon Flaig, Dick Geary, Joseph C. Miller, Lutz Raphael, Georg Wöhrle, Michael Zeuske: „Gehört Sklaverei der Vergangenheit an?“

19:00 Ausklang in einem Weingut in der Umgebung von Trier

Kontakt

Marcel Simonis

Universität Trier, FB III (Alte Geschichte), Zi. A 214

0651-201-2180

grakoskl@uni-trier.de

http://grakoskl.uni-trier.de
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