Institutionalisierung moderner historischer Forschung und Lehre III

Tagung am Zentrum fuer Hoehere Studien der Universitaet Leipzig,

23. - 25. September 1999

Tagungsprogramm

Das Zentrum fuer Hoehere Studien der Universitaet Leipzig fuehrt vom 23. bis 25. September 1999 in Leipzig eine Tagung zum Thema "Institutionalisierung moderner historischer Forschung und Lehre: universitaere und ausseruniversitaere Institute und Seminare im internationalen Vergleich" durch. Die Veranstaltung knuepft an zwei vorangegangene Kolloquien ueber "Historikertage im Vergleich" und "Historische Zeitschriften im Vergleich".

Die stark intensivierte Forschung zur Geschichte der Geschichtswissenschaft und zur Universitaetsgeschichte hat in den letzten Jahren verstaerkt nach der "Ideen- und Sozialgestalt" von Wissenschaft gefragt. Dabei setzt sich zunehmend der Gedanke durch, dass Institutionen sowohl Traeger sozialer Ordnungen als auch Traeger kognitiver Inhalte sind. In ihnen und im Einfluss auf sie entwickeln die Akteure (Wissenschaftler, Studierende, Wissenschaftspolitiker usw.) Strukturen, die die Prioritaeten der Funktionszuweisung an Wissenschaft ausdruecken und zugleich zum Handlungsrahmen werden, in dem sich Wissenschaft vollzieht. Der Streit um verschiedene Konzepte von Wissenschaft und wissenschaftlichem Arbeiten wird in der Etablierung der Institutionen oeffentlich sichtbar gemacht. Fuer die jeweiligen Disziplinen wird ein Platz in der Hierarchie der Faecher in den verschiedenen Aufgabenbereichen zunehmend professionalisierter Forschung und Lehre behauptet und im Wechselspiel von Selbst- und Fremdbildern festgelegt.

Die Tagung richtet den Blick auf die Produktionsbedingungen von Geschichtsforschung und -lehre. Diese Taetigkeiten verlaufen nicht autonom, sondern finden eben im Rahmen von Institutionen statt, die ihre Formen und Inhalte wesentlich mitbestimmen. Ueber die Institutionen ist die Geschichtswissenschaft auch gebunden an gesellschaftliche Strukturen und Prozesse ausserhalb der Universitaet, von denen sie gepraegt wird, die sie ihrerseits aber auch teilweise mit gestaltet. Der institutionengeschichtliche Ansatz bietet daher gegenueber ideengeschichtlichen und verwandten Ansaetzen den Vorteil, Aenderungen in Methodik und Thematik der Geschichtsschreibung kausal zu verorten und sie ueber die Entwicklung der Institutionen an die allgemeine Geschichte anzubinden.

Die kognitive Entwicklung der Historiographie soll auf der Tagung auf ihre soziale, kulturelle, politische, mithin gesellschaftliche Bestimmtheit untersucht werden. Gleichzeitig sollen auch die internen Wirkungszusammenhaenge der Institutionen entsprechende Beachtung finden. Es geht damit um die Wirkung von Institutionen auf die Verfasstheit und den Inhalt von Geschichtswissenschaft. Es wird damit nicht der Gegenueberstellung von externalistischen und internalistischen Ansaetzen innerhalb der Wissenschaftsforschung das Wort geredet. Vielmehr sollen an Hand von Fallbeispielen die Kontextualitaet, Historizitaet und gegenseitige Bedingtheit multipler "interner" und "externer" Wirkungszusammenhaenge innerhalb von Institutionen untersucht werden. Geschichtswissenschaftliche Institute werden damit als soziokulturelle Systeme analysiert, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse als auch soziale Konstruktionen.

Der Welthistorikerkongress im Jahre 2000 in Oslo, so zeichnet sich jetzt an Hand der ersten Planungen ab, wird nicht nur den Blick nach vorn auf die Perspektiven von global history richten, sondern auch ueber die eigene Schulter auf ein- oder anderthalb Jahrhunderte professionalisierter Geschichtswissenschaft zurueckschauen. Dieser Rueckblick aus der Vogelperspektive bietet ein ebenso faszinierendes wie erklaerungsbeduerftiges Bild einer langen Phase, in der Geschichtsschreibung nicht im Rahmen ueberindividueller Institutionen praktiziert wurde. Betrachten wir den deutschen Fall, dann folgt auf eine Phase der losen und individuellen Einbettung in das Disziplinengefuege von Universitaeten und Akademien ein kurzer Abschnitt beinahe eruptiver Ausdifferenzierung der institutionellen Formen zwischen den ersten Vorlaeufern moderner Universitaetsseminare um 1845/65 einerseits und der Etablierung von Seminaren an den Hochschulen (mit mehreren Professuren), den Forschungsinstituten, den Einrichtungen der Graduiertenausbildung vor bzw. unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg. Anschliessend beobachten wir vielfaeltige Gruendungs- und Umbildungsprozesse von geschichtswissenschaftlichen Instituten, aber die Muster scheinen sich nicht mehr dramatisch zu erweitern.

Dieser Befund, der - bevor er auch nur fuer Deutschland verallgemeinert werden darf - weiterer Detailforschung bedarf, findet seine Ergaenzung in der Betonung gravierender nationaler Unterschiede. Hieraus ergibt sich der Eindruck, es handele sich um sehr verschiedene Wege, die die Institutionalisierung in den romanischen Laendern einerseits, in Deutschland andererseits und den USA zum dritten nahm. Hieran schliesst sich aber sofort die Frage an, ob mit diesen Wegen das Angebot moeglicher Modelle erschoepft ist und Historiographien in anderen Teilen der Welt zu einem Nachvollzug bereits gemachter Erfahrungen gezwungen sind. Eher offen geblieben ist bisher auch die Frage, ob die Internationalisierung der Wissenschaft diese Unterschiede vornehmlich nivelliert oder eher verschaerft.

Die Tagung beabsichtigt, diesen bis in die aktuellen hochschulpolitischen Diskussionen hineinreichenden Fragen durch einen historischen Vergleich nachzugehen. Dies setzt einen Aufbau der Tagung voraus, bei dem Referentinnen und Referenten Fallstudien praesentieren, die moeglichst in sich schon komperatistisch angelegt sein sollten und bei dem zugleich Zeit fuer eine vergleichende Diskussion zur Verfuegung steht, die durch zusammenfassende Kommentare eingeleitet wird. Fuer diese vergleichende Diskussion halten wir die strukturelle Aehnlichkeit der Fragen, die in den einzelnen Beitraegen eroertert werden, fuer eine wichtige Voraussetzung. Es besteht nicht die Absicht, ein Prokrustesbett fuer alle Vortraege einzurichten. Wir schlagen aber vor, die folgenden Gesichtspunkte heranzuziehen.

1. Welche Vorgaben ueber Aufbau, Taetigkeiten und Zielsetzungen der Institute waren "von aussen", d. h. von den Universtitaetsleitungen bzw. den staatlichen oder privaten Geldgebern vorgegeben? Wie verhielten sich die Institutsmitglieder zu diesen Vorgaben?

2. Wie waren die Arbeits- und Kommunikationszusammenhaenge, die routinierten Wissenschaftspraktiken, das interne Regelwerk der Institutionen gestaltet?

3. Wie waren die internen Hierarchien aufgebaut und welche Auswirkungen hatten diese auf die Taetigkeiten der einzelnen Akteure bzw. Akteursgruppen?

4. In welchem Zusammenhang stand der Auf- und Ausbau der Institution mit evtl. Professionalisierungstendenzen und der Entstehung professioneller "Normalbiographien" innerhalb der historischen Disziplinen? Gehen mit der Institutionalisierung auch Marginalisierungstendenzen gegenueber "Amateuren" einher? Welche Rolle spielten akademische Netzwerke beim Auf- und Ausbau der Institute?

5. Welche Interessen vertraten die Akteure innerhalb der Institution, welche persoenlichen oder auch gruppenspezifischen Ziele verfolgten sie? Versuchten sie, die Institute fuer ihre Interessen zu instrumentalisieren?

6. Welche Handlungsspielraeume waren den Mitgliedern innerhalb der sich etablierenden oder der vorgefundenen Strukturen und der ueber diese vermittelten Tradition gegeben? Wie bewegten sich die einzelnen Akteure im Spannungsfeld zwischen regulierender Institution und persoenlicher Innovation? Lassen sich evtl. institutionelle strukturelle Voraussetzungen fuer die Foerderung oder Behinderung von Innovationsfaehigkeit herauskristallisieren?

7. Wie repraesentierten sich die Institute nach aussen und warum waehlten sie diese Formen der Selbstdarstellung?

8. Mussten sich die Institute gegen konkurrierende Einrichtungen durchsetzen? Wurden diese Konkurrenzunternehmen evtl. von anderen "Schulen" innerhalb der Disziplin getragen?

9.Welche Auswirkungen hatten solche Oppositionen auf Inhalt und Methoden von Lehre, Forschung und historiographischer Produktionen?

10. In welchem disziplinaeren Feld etablierten sich die historischen Institute? Spalteten sie sich aus einem groesseren disziplinaeren Zusammenhang ab? Mussten sie sich gegebenenfalls gegen Institutionen von Nachbar- und Konkurrenzdisziplinen durchsetzen? Welche Konsequenzen hatte die Existenz von Institutionen anderer Disziplinen fuer die "kognitive und soziale Identitaet" (Lepenies) der betreffenden historischen Institute? Waren sie evtl. nach ihrer Gruendung mit einem disziplinaeren Spezialisierungsprozess mit Abspaltungen von Subdisziplinen oder "haeretischen" Ansaetzen konfrontiert und wenn ja, wie reagierten sie auf diese?

Wir wuerden uns sehr freuen, wenn dieser Problemspiegel Ihr Interesse findet und Sie einen Beitrag zu der geplanten Tagung vorschlagen wuerden. Es wuerde unsere Vorbereitungsarbeit sehr erleichtern, wenn Sie uns eine entsprechende kurze Mitteilung schon bis Anfang Februar 1999 zukommen lassen koennten.

Matthias Middell
Universitaet Leipzig

Gabriele Lingelbach
Freie Universitaet Berlin

Bitte richten Sie Ihre Vorschlaege an die folgende Adresse:

Dr. Matthias Middell
Zentrum fuer Hoehere Studien
Universitaet Leipzig
Augustusplatz 10/11
04109 Leipzig
e-mail: middell@rz.uni-leipzig.de
Fax: 0341-9605261


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Matthias Middell <middell@rz.uni-leipzig.de>
Subject: Tagung: Institutionalisierung moderner hist. Forschung / Leipzig
Date: 15.1.1999


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