Krobnitzer Gespräche – Deutsche und Polen in Schlesien und Pommern

Krobnitzer Gespräche – Deutsche und Polen in Schlesien und Pommern

Organisatoren
Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund, Reichenbach; Regionaler Planungsverband Oberlausitz-Niederschlesien, Bautzen; Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Technische Universität Chemnitz
Ort
Reichenbach (Oberlausitz)
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.10.2011 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin Munke, Institut für Europäische Geschichte, TU Chemnitz

Auch mehr als 40 Jahre nach der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags am 7. Dezember 1970 ist Verhältnis zwischen Polen und Deutschland kein spannungsfreies.1 Vor allem die deutschen Verbrechen während der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg und das Flucht- und Vertreibungsgeschehen jener Jahre werden nach wie vor in Wissenschaft und Öffentlichkeit bisweilen kontrovers diskutiert. Doch zuvor sollte die Entstehung und Etablierung der Zweiten Polnischen Republik im Nachgang des Ersten Weltkriegs einige Prägekraft für die weitergehende historische Entwicklung entfalten, besonders in Hinblick auf ungelöste Nationalitätenfragen. Die Bedeutung dieser Zeit für die polnisch-deutschen Beziehungen wurde nun im Rahmen der zweiten „Krobnitzer Gespräche“2 von Wissenschaftlern aus beiden Ländern analysiert.

Ein erster Themenblock war den zeitgenössischen Umständen und Fragestellungen der polnischen Nationalstaatsgründung gewidmet. STEFAN GARSZTECKI (Chemnitz) stellte die beiden grundlegenden Konzeptionen in Bezug auf diesen Nationalstaat nach über einem Jahrhundert der Teilung am Beispiel ihrer wichtigsten Protagonisten vor: Roman Dmowski und Józef Pilsudski. Bei ersterem ist demnach ein gewisser Wandel der staatsbezogenen Vorstellungen festzustellen. Ursprünglich vertrat der stark publizistische tätige Dmowski ein an der Schweizer Eidgenossenschaft orientiertes Modell, in dem sich die „kleineren“ slawischen Nationen unter Unabhängigkeit von Russland gegen Deutschland zusammenschließen sollten. Im Nachgang des russisch-japanischen Krieges jedoch propagierte Dmowski eine polnische Führungsrolle in Ostmitteleuropa. Der territoriale Schwerpunkt des neuen polnischen Staates solle dabei im Rückgriff auf die mittelalterlichen Herrschaftszentren der Dynastie der Piasten eher im Westen liegen, weswegen dieses Konzept auch als „piastische Idee“ bezeichnet werden kann. Pilsudski hingegen propagierte die „jagiellonische Idee“, die Ausdehnung nach Osten in Anlehnung an die von 1386 bis 1572 herrschende polnische-litauische Dynastie der Jagiellonen. Bis heute wird er in Polen durch zahlreiche Würdigungen und Bezugnahmen als „nationaler Held“ rezipiert, während Dmowski weitgehend vergessen scheint.

Der konkreten Umsetzung der Staatswerdung widmeten sich RALPH SCHATTKOWSKY (Rostock / Torun) und HENDRIK THOß (Chemnitz). Ersterer untersuchte sowohl die Innensicht als auch die Perspektive der Siegermächte des Ersten Weltkriegs. Bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatte die polnische Nationalbewegung prästaatliche Strukturen aufbauen können, was zur schnellen Etablierung des Staates nach 1918/19 wesentlich beitrug. Der Stellenwert der „polnischen Frage“ wurde auch durch die prominente Platzierung in den „14 Punkten“ Woodrow Wilsons deutlich. Die Westmächte verfolgten allerdings unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf den neuen Staat. Frankreich bevorzugte ein starkes Polen zur Eindämmung Deutschlands, Großbritannien vertrat seine traditionelle Gleichgewichtspolitik, die Vereinigten Staaten zogen sich schnell wieder aus den europäischen Fragen zurück. Zudem bildete die Existenz zahlreicher ethnisch „durchmischter“ Gebiete vor allem in den Peripherien eine schwere Hypothek, die in kriegerischen Auseinandersetzungen mit Russland, der Tschechoslowakei und Litauen führte. Oberschlesien blieb mit Deutschland umstritten, eine formale Sicherung der Außengrenzen wurde so erst 1923 möglich. Trotz zahlreicher innenpolitischer Erfolge konnte damit das Verhältnis zu den Nachbarstaaten nicht normalisiert werden.

Thoß präsentierte in Ergänzung dazu die Überlegungen der Teilungsmächte in Hinblick auf die „polnische Frage“, die weder in Berlin noch in Wien und in Petersburg zu Kriegsbeginn sonderlich ausgeprägt waren, obgleich es seit den 1860er-Jahren besonders in den preußischen und russischen Teilungsgebieten zu einer Zuspitzung der nationalen Gegensätze gekommen war. In den ersten beiden Kriegsjahren bildete polnisches Territorium den Hauptkriegsschauplatz im Osten. Die russische Armee betrieb dabei in Phasen des Rückzugs eine „Politik der verbrannten Erde“, das deutsche Heer verfolgte eine rücksichtslose Indienstnahme der eroberten Gebiete in die eigene Kriegswirtschaft. Dennoch ermöglichte erst der Krieg die Wiedergewinnung der Eigenstaatlichkeit, da er mit zunehmender Dauer neue Spielräume eröffnete und den „Marktwert“ Polens als potentiellen Verbündeten steigen ließ. Sinnbildlich dafür steht ein deutsches Bündnisangebot an Pilsudski während dessen Internierungszeit in Magdeburg 1917, das jedoch abgelehnt wurde.

Der zweite Themenblock nahm in Vorträgen von EDYTA ZYLA (Kraków), ALEKSANDRA KMAK-PAMIRSKA (Kraków / Chemnitz) und ANETA PAZIK (Kraków) die mit dem Ausgang des Weltkriegs sowie den Pariser Vorortverträgen vorgeprägten beziehungsgeschichtlichen Fragen sowie die Nationalitätenproblematik näher in den Blick und präsentierte die Ergebnisse dreier Nachwuchsforscherinnen. Zyla untersuchte das Gebiet des Teschener Schlesien, das von Deutschen, Polen und Tschechien bewohnt und nach dem Krieg zwischen der Tschechoslowakei und Polen umstritten war. Eine eigentlich geplante Volksabstimmung wurde nicht durchgeführt, das Gebiet nach militärischen Auseinandersetzungen geteilt. Am Beispiel der „Teschner Zeitung“ des deutsch-jüdischen Publizisten Jakub Reichmann zeigte Zyla dabei die Bedeutung von Presseorganen für die Identitätsstiftung in multiethnischen Regionen.

Den 1930er-Jahren widmete sich Kmak-Pamirska in ihrer Analyse der Verschärfung des deutsch-polnischen Gegensatzes in der Freien Stadt Danzig nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. Unter der Devise „Zurück zum Reich“ erfolgte nach 1935 eine verstärkte Zensur von Druckerzeugnissen, ab 1938 wurde der Gebrauch der polnischen Sprache in offiziellen kirchlichen Veranstaltungen verboten. Die Interventionen des örtlichen Hochkommissars des Völkerbundes blieben ohne Erfolg. Die nationalsozialistische Propaganda stellte Polen als einen Staat dar, der sich einer friedlichen Koexistenz verweigern würde.

Eine Vergleichsperspektive nahm Pazik ein, die deutsch-polnische Territorialfragen mit der deutsch-französischen Saarfrage kontrastierte. Besonders die Zugehörigkeit Oberschlesiens war ein permanenter Streitpunkt, der sowohl von deutscher als auch polnischer Seite im Vorfeld des Plebiszits mit einem umfangreichen publizistischen Engagement bedacht wurde und häufige Unruhen und Interventionen des Völkerbundes hervorrief, ohne eine endgültige Lösung zu finden und schließlich in der Teilung gipfelte. In der Saarfrage hingegen ermöglichte der Status als Groß- und Siegermacht Frankreich das Schaffen von Tatsachen zur Durchsetzung der eigenen Interessen und die Angliederung des gesamten Gebiets.

Den Bogen bis in die Gegenwart schlug JOZEF ZABRUCKI (Jelenia Góra) in seiner Betrachtung des heutigen Umgangs mit dem deutschen Kulturerbe in Polen. Architektur und Infrastruktur, Bauformen und Orts- und Straßennamen erschienen dabei als wichtige Faktoren von Identitätsbildung. Als bedeutende Ebene des interkulturellen Dialogs könne weiterhin die Literatur gelten, die zudem eine didaktische Basis und Vermittler für die Aufarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit bilde. Gerade in Schlesien werden so deutsche Elemente in die eigene Geschichtsdeutung integriert.

Eine Sonderfrage der Nationalitätenproblematik untersuchte WITOLD STANKOWSKI (Kraków), der sich der ethnischen Minderheit der Kaschuben in Pommern widmete. Die Etymologie der Bezeichnung sei noch immer nicht endgültig geklärt. Als identitätsstiftendes Merkmal der Ethnie diente lange vor allem die Sprache, wobei ein gesellschaftlicher Aufstieg meist nur durch die Beherrschung der dominierenden Sprachen Deutsch und Polnisch gelingen konnte. Seit dem „nationalen“ 19. Jahrhundert lässt sich eine überwiegende Betonung der Zugehörigkeit zum „Polentum“ erkennen. Nachdem die Kaschuben gegen Ende des 19. Jahrhunderts als überwiegend katholisch vom „Kulturkampf“ betroffen waren und nach dem Zweiten Weltkrieg als „germanisiert“ galten, ist heute eine Pflege regionaler Identität und Sprache leichter möglich.

Das Symposium zeigte in einer Gesamtschau der Beiträge deutlich den Nutzen einer transnationalen Geschichtsbetrachtung auf, da viele historische Probleme besonders des 20. Jahrhunderts nur aus einer solchen Perspektive adäquat erklärt werden können. Zudem wurde der besondere Charakter der Nationalitätenproblematik in Ostmitteleuropa deutlich, da dort die fraglichen Territorien eine erheblich höhere ethnische Heterogenität aufwiesen und die Art der deutschen Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg als Vernichtungskrieg für viel größere Verwerfungen sorgte als im Westen. Eine Fortsetzung der Veranstaltungsreihe, die auch geographisch prädestiniert erscheint für einen grenzübergreifenden Deutungsansatz, ist zu erwarten. Nach der „preußischen“ Thematik im vergangenen und der „polnischen“ in diesem Jahr, erschiene für ein drittes „Krobnitzer Gespräch“ eine „tschechische“ als interessant.

Konferenzübersicht:

Steffen Menzel (Reichenbach): Begrüßung

Peter Heinrich (Bautzen), Andreas Böer (Reichenbach): Grußwort

Stefan Garsztecki (Chemnitz): Dmowski und Pilsudski. Nationale Idee zwischen Föderalismusgedanke und nationaler Verengung

Ralph Schattkowsky (Rostock / Torun): Ende und Neuanfang 1918/19

Hendrik Thoß (Chemnitz): „Polnische Nation“ im Ersten Weltkrieg

Edyta Zyla (Kraków): Die Deutschen auf dem Gebiet des Teschner Schlesien zwischen den Jahren 1914-1921

Witold Stankowski (Kraków): Kaschuben und Pommern im 19. und 20. Jahrhundert

Aleksandra Kmak-Pamirska (Kraków / Chemnitz): Deutsch-polnische Beziehungen in der Freien Stadt Danzig in den ersten Jahren der Regierung der Nationalsozialisten

Aneta Pazik (Kraków): Grenzgebiete. Das umstrittene Hinterpommern, Danzig und Schlesien in den deutsch-polnischen Beziehungen a casus das Saargebiet in den deutsch-französischen Beziehungen. Eine Vergleichsanalyse

Jozef Zabrucki (Jelenia Góra): Substrate und Interferenzen in der Formierung der regionalen Identität als Materialgrundlage für ein innovatives Studienfach. Das Beispiel des literarischen und kulturellen Erbes in Schlesien

Anmerkungen:
1 Für eine Bilanz siehe Dieter Bingen / Krzysztof Ruchniewicz, Polen und Deutschland, in: dies. (Hrsg.), Länderbericht Polen. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Bonn 2009, S. 649-673.
2 Zur ersten Ausgabe im vergangenen Jahr vgl. den Tagungsbericht des Autors: Krobnitzer Gespräche – Gedanken über Preußen. 02.12.2010, Reichenbach, in: H-Soz-u-Kult, 17.12.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3444>. Die Referate des Symposiums wurden zwischenzeitlich in Steffen Menzel (Hrsg.), Nachdenken über Preußen. Beiträge der Tagung „Preußische Tugenden in der heutigen Zeit – Gedanken über Preußen“, Reichenbach 2011 im Selbstverlag des Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbundes publiziert. Der Band ist über den Internetauftritt des Verbundes zu beziehen <http://www.oberlausitz-museum.de> (09.11.2011).


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