Krobnitzer Gespräche – Gedanken über Preußen

Krobnitzer Gespräche – Gedanken über Preußen

Organisatoren
Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund
Ort
Reichenbach
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.12.2010 -
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Von
Martin Munke, Institut für Europäische Geschichte, TU Chemnitz

Gemeinsam mit Otto von Bismarck (1815-1898) und dem „älteren“ Helmuth von Moltke (1800-1891) wird Albrecht von Roon (1803-1879) gemeinhin zu jenem politischen „Dreigestirn“ gerechnet, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die deutsche Reichseinigung ermöglicht habe. An alle drei „Sieger von 1864-1871“ wird auf dem Berliner Großen Stern mit Denkmälern erinnert. In der öffentlichen Wahrnehmung tritt Roon allerdings zumeist hinter Bismarck und Moltke zurück. Als Grund dafür wird häufig sein früherer Tod im Jahr 1879 genannt. Sechs Jahre zuvor hatte er als Alterswohnsitz das Schloss Krobnitz in der Oberlausitz erworben. Diese biographische Verbindung wurde nun vom Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund genutzt, um an eben jenem Ort ein eintägiges Symposium zu veranstalten, das nach Stellung und Bedeutung von Roon in der deutschen Geschichte der Reichseinigungzeit fragte.

Der öffentliche Einführungsvortrag von FRANK-LOTHAR KROLL (Chemnitz) widmete sich in übergreifender Perspektive den so genannten „preußischen Tugenden“ und ihrer Entfaltung im 18. Jahrhundert unter Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) und Friedrich II. dem Großen (1712-1786). In Verbindung mit dem Halleschen Pietismus entwickelte sich ein neuer Arbeitsethos, der den Monarchen als Vorbild für seine Untertanen sah. Die Tugenden hätten immer zielorientiert auf den staatlichen Nutzen hin gewirkt. Als konkrete Leistungen seien das Toleranzprinzip, die Rechtsstaatlichkeit sowie die Kultur- und Bildungsstaatlichkeit hervorzuheben. Diese Prinzipien hätten Preußen zu einem der modernsten Staaten seiner Zeit gemacht. In der Spätzeit des Staates nach der Reichseinigung jedoch hätten sie sich durch die Übernahme nationalistischer und diskriminierender Tendenzen eher als „Untugenden“ ausgewirkt. Aufgrund des Verlusts ihrer staatlichen Basis seien die sehr zeitbezogenen Tugenden heute nur noch schwer vermittelbar, zumal sie den Prinzipien der modernen Massengesellschaft widersprächen. An einzelne Elemente könne jedoch durchaus angeknüpft werden. So habe sich Preußen beispielsweise nie als Nationalstaat verstanden, und könne damit als ein Beispiel für neue Staatsmodelle im Zuge der vertieften europäischen Integration dienen.

Daran anschließend widmete sich SLAWOMIR TRYC (Wrocław) den Beziehungen zwischen Preußen und Polen im historischen und aktuellen Kontext aus polnischer Sicht. Diese Beziehungen seien lange Zeit durch einen Antagonismus geprägt gewesen. In einer Kontinuitätslinie vom Deutschen Orden über die Teilungen Polens im 18. Jahrhundert bis hin zur Kulturkampfpolitik Bismarcks und dem Überfall des „Dritten Reichs“ 1939 sei Preußen – und damit Deutschland – in Polen stets als existenzielle Bedrohung wahrgenommen worden. Militärische Siege wie in der Schlacht von Grundwald / Tannenberg im Jahr 1410 wurden zu identitätsstiftenden Mythen stilisiert. Auch nach der Auflösung Preußens 1947 sei dieses Bild in der „Entpreußungspolitik“, der Beseitigung deutscher Denkmäler präsent geblieben. Erst allmählich würden in der öffentlichen Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung eine differenzierte Sichtweise und ein Denken in übernationalen Kategorien möglich. Das deutsche Erbe in den ehemaligen deutschen Ostgebieten werde nun vermehrt neu entdeckt und als Teil eines gemeinsamen Kulturerbes akzeptiert. Mit „Deutschland“ würden zudem bei jüngeren Generationen jetzt eher positive Begriffe wie „Demokratie“ und „wirtschaftliche Stärke“ verbunden.

Zum Albrecht von Roon gewidmeten Teil des Symposiums leitete STEFFEN MENZEL (Reichenbach) über, der die Geschichte des Krobnitzer Schlosses präsentierte. Die Ländereien standen nacheinander im Besitz mehrerer lokal bedeutender Adelsfamilien wie der von Dobschütz oder der von Nostitz. Das Schloss selbst wurde um die Mitte des 18. Jahrhunderts als Herrenhaus von der Familie von Üchtritz erbaut. 1873 wurde es durch Roon erworben und zahlreichen Umgestaltungen unterworfen. Nach der Enteignung der Familie von Roon nach 1945 diente es als Unterkunft für Flüchtlinge und Vertriebene. Die einstige Raumstruktur wurde durch den Einbau von Wohnungen nahezu vollständig zerstört, die Gesamtanlage verfiel trotz unterschiedlicher Nutzungen. Unter der Bauherrschaft der Stadt Reichenbach begann 2002 eine umfassende Sanierung. In der ehemaligen Schmiede – in der auch das Symposium stattfand – sind ein Veranstaltungs- und ein Sonderausstellungsraum entstanden. Im Schloss können eine Dauerausstellung zur Guts- und Familiengeschichte sowie das Roon-Kabinett besichtigt werden

DIERK WALTER (Hamburg) widmete sich dem Charakter und der historischen Rolle Albrecht von Roons. Schon im Kaiserreich habe dieser als „Steigbügelhalter“ Bismarcks und Moltkes gegolten und in deren Schatten gestanden. Die Bekanntschaft mit dem Thronprinzen und späteren König und Kaiser Wilhelm (1797-1888) habe dem aus relativ einfachen Verhältnissen stammenden Roon den Aufstieg im preußischen Militär ermöglicht. Nach der von ihm im Sinne Wilhelms verfassten Denkschrift zur Heeresreform wurde er zum Kriegsminister ernannt. In den Auseinandersetzungen um die Durchsetzung der Reform konnte Roon Wilhelm zum Verbleiben im Amt bewegen, nachdem dieser einen Thronverzicht erwogen hatte. Auf seine Vermittlung wurde zudem Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannt und damit die Lösung des Verfassungskonflikts im Sinne des Monarchen ermöglicht. In der Folge der Heeresreform habe Roons Kriegsministerium gegenüber dem Generalstab allerdings an Bedeutung eingebüßt. Zur genaueren Einordnung der Rolle und Bedeutung Roons fehle immer noch eine moderne wissenschaftliche Biografie.

Das Verhältnis Roons zu Moltke „dem Älteren“ wurde von JOCHEN THIES (Berlin) genauer analysiert. Er charakterisierte beide gleichermaßen als Repräsentanten des zu ihrer Zeit allmählich untergehenden „alten Preußen“, die die Armee als Mittel zum Aufstieg genutzt hätten. Persönliche Kontakte hätten sich erstmals auf der Berliner Kriegsakademie ergeben, danach vollzogen beide ähnliche Karriereschritte. Dabei waren sowohl Roon als auch Moltke als Prinzenerzieher tätig und verfügten somit über Kontakte in die königliche Familie. Die in der Militärlaufbahn angelegte Konkurrenzsituation zwischen beiden sei lange verdeckt gewesen und erst in den 1860er-Jahren sichtbar geworden, als der Generalstab unter Moltkes Führung zum zentralen Planungsorgan des preußischen Militärs aufstieg. In Sachfragen, im Reichstag und im preußischen Herrenhaus hätten beide weiterhin kooperiert, in strategischen Fragen – wie bei der Diskussion um die Bombardierung von Paris im deutsch-französischen Krieg – aber zunehmend gegensätzliche Meinungen vertreten. Roons Spielraum sei dabei durch seine wachsenden gesundheitlichen Probleme eingeschränkt gewesen. So blieb ihm zeitlebens die persönliche Führung einer Schlacht versagt, während Moltke gerade auch aufgrund des Sieges bei Königgrätz 1866 in der Öffentlichkeit an Popularität gewann.

Aus militärhistorischer Sicht befasste sich HENDRIK THOSS (Chemnitz) genauer mit der Rolle Roons in der preußischen Militärreorganisation und in den Einigungskriegen. Seine 1858er Denkschrift sei vor allem auch als Kampfansage nach innen in den Debatten um die zukünftige Rolle der Landwehr sowie allgemein des Heeres als Parlaments- oder Königsheer zu verstehen. Aufgrund der relativ geringen Bevölkerungszahl Preußens bestand ein hauptsächliches Reformziel darin, eine im Vergleich zu den europäischen Großmächten konkurrenzfähige Heeresgröße zu garantieren. Die Wertschätzung Roons nach den Einigungskriegen sei auf die erfolgreichen Feldzüge zurückzuführen, die Gründe für diese Erfolge seien nicht hinterfragt worden. So seien bereits seit 1843 bekannte technologische Neuerungen wie ein Geschütz mit gezogenem Rohr zur Stabilisierung der Flugbahn des Geschosses erst eingesetzt worden, als sich im Krieg von 1866 die Überlegenheit der österreichischen Artillerie erwiesen hatte. Im deutsch-französischen Krieg wiederum habe sich die Unterlegenheit des preußischen Dreyse-Gewehrs gegenüber dem französischen Chassepot-Gewehr gezeigt. Auch eigentlich veraltete taktische Modi wurden aufgrund der psychologischen Wirkung der Siege beibehalten, notwendige Entwicklungen so versäumt. Die waffentechnischen und infanterietaktischen Nachteile führten, wie beispielsweise bei Gravelotte / Saint-Privat, zu katastrophalen Verlusten. Roon persönlich hätte im 1870er Feldzug eine eher geringe Rolle gespielt, entscheidend sei allerdings sein Eintreten – im Verbund mit Bismarck – für die Beschießung von Paris mit schwerer Belagerungsartillerie gewesen, die zu einem schnelleren deutschen Sieg führte.

Dem Symposium gelang es in vielfach aufeinander bezogenen Vorträgen, ein differenziertes Bild der Person Albrecht von Roons sowie der Aktualität preußischer Geschichte zu zeichnen. Trotz der winterlichen Witterungsbedingungen – denen auch der Vortrag von LUDWIG BIEWER (Berlin) zum Opfer fiel – hatten sich über 50 interessierte Teilnehmer in Krobnitz eingefunden, so dass dieses erste „Krobnitzer Gespräch“ als Erfolg gewertet werden kann. Einige weiterführende Forschungsfragen – wie etwa nach einer genaueren Untersuchung des Verhältnisses von Roon zu Wilhelm I. oder dem Bild des preußischen Generalfeldmarschalls in DDR und Bundesrepublik – wurden formuliert. Mit einer Fortsetzung der Veranstaltung kann also gerechnet werden.

Konferenzübersicht:

Peter Heinrich (Bautzen): Begrüßung

Bernd Lange (Görlitz), Jens Baumann (Radebeul): Grußwort

Frank-Lothar Kroll (Chemnitz): Die preußischen Tugenden heute

Slawomir Tryc (Wrocław): Preußen und Polen

Steffen Menzel (Reichenbach): Zur Geschichte des Schlosses Krobnitz

Dierk Walter (Hamburg): Periculum in mora. Zum Charakter und der historischen Rolle Albrecht von Roons

Jochen Thies (Berlin): Moltke und Roon – Kameraden und Konkurrenten

Hendrik Thoß (Chemnitz): Roon und die Einigungskriege

Ludwig Biewer (Berlin): Roon und Pommern


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