Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen

Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen

Organisatoren
IDEE, KONZEPTION UND ORGANISATION: Christa Haemmerle (Institut fuer Geschichte der Universitaet Wien) Ingrid Bauer (Institut fuer Geschichte der Universitaet Salzburg / Ludwig Boltzmann-Institut fuer Gesellschafts- und Kulturgeschichte) Gabriella Hauch (Institut fuer Frauen- und Geschlechterforschung der Universitaet Linz / Ludwig Boltzmann-Institut fuer Gesellschafts- und Kulturgeschichte)
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
03.10.2002 - 04.10.2002
Von
Caroline Arni, Institut für Soziologie, Universität Bern

Bericht von Caroline Arni (Bern) 1

Von einer "extremen Einsamkeit" sei der Diskurs der Liebe, schreibt Roland Barthes 1977, "wahrscheinlich (wer weiss?) von Tausenden von Subjekten geführt, aber von niemandem verteidigt; […] von den angrenzenden Sprachen vollständig im Stich gelassen: entweder ignoriert oder entwertet oder gar verspottet, abgeschnitten nicht nur von der Macht, sondern auch von ihren Mechanismen (Techniken, Wissenschaften, Künsten)".2

Diese Diagnose, zu lesen in einem Buch, das als eine der wenigen, zugleich als eine der schönsten, Erkundungen ins Seelenleben der Liebe im 20. Jahrhundert gelten kann, formulierte die Wiener Historikerin Edith Saurer 1997 ähnlich für die historiographische und feministische Diskussion: Mit der Kritik an der romantischen Liebe der Moderne als Strategie der Unterwerfung sei aus der feministischen Forschungsdiskussion seit den späten 70er Jahren letztlich die ‚Kategorie Liebe' verdrängt worden, ohne die doch eine Geschichte der Geschlechterbeziehungen nicht geschrieben werden könne.3 Das dezidiert vorgetragene Postulat ist auch ein inniger Wunsch, mögen sich die Organisatorinnen der zu besprechenden Tagung (Christa Hämmerle, Wien; Ingrid Bauer, Salzburg; Gabriella Hauch, Linz) gesagt haben und schenkten Edith Saurer zum 60. Geburtstag zwei Tage zur Geschichte der Liebe. Und als ginge mit dem Willen zu einem historiographischen Diskurs über die Liebe auch ein kritisch-utopisches Denken Hand in Hand, verbanden sie die Geschichte der Liebe in ihrem Tagungskonzept mit der des Widerstandes. Wie es sich mit "Liebe und Widerstand" verhalte, wurde gefragt, mit "Liebe als Widerstand" oder "Liebe oder Widerstand", welche Normen, Praktiken, Möglichkeiten und Deutungen von Liebe in der Geschichte auffindbar seien.4

In einem eigentlichen Prolog, der gleich zu Beginn die gesellschafts- und geschlechterpolitische Dimension und Relevanz der Thematik akzentuierte, trugen Ute Gerhard (Frankfurt a. M.) und Karin Hausen (Berlin) am Vorabend der Tagung im Rahmen der Wiener Vorlesungen einen aus zwei Strängen "geflochtenen Zopf" mit Überlegungen zum "Bedeutungswandel von ‚Ehe' im 19. und 20. Jahrhundert" vor. Dabei verschlangen sie eine Geschichte der ‚Institution Ehe' in der Moderne, ihrer Rechts- und Warenförmigkeit mit einer Erkundung von gewandelten Erwartungen und Gefühlshaltungen von Ehe- oder Paarwilligen.

Wie Liebe zu denken wäre, ist eine der dringlichsten Fragen einer Geschichtsschreibung, die sich vornimmt, ihre Kategorien in Auseinandersetzung mit dem Material zu reflektieren. Und es ist eine der wichtigsten Fragen angesichts einer Materie, die gleichermaßen verrätselt scheint wie sie Selbsterklärlichkeit vorspiegelt, weil alle zu wissen meinen, wovon die Rede ist, wenn von der Liebe die Rede ist. Explizit nicht gestellt, lassen sich doch einige Beiträge der Tagung auf diese Frage beziehen. Auf einer sehr grundlegenden Ebene gilt das etwa für denjenigen über philosophische Variationen der Begriffe Liebe und Widerstand in ihrer Verschlingung, die zugleich ein Denken über die Möglichkeit einer politischen und sozialen Ordnung von ‚Gleichen' sind (Herta Nagl-Docekal, Wien). Von einem ganz anderen diskursiven Ort aus war wohl auch das provokative Tändeln mit soziobiologistischen Begründungen des Liebesgefühls unvermeidlich (Ernst Hanisch, Salzburg), ist es doch durchaus charakteristisch für Stränge des geistes- und sozialwissenschaftlichen Denkens über die Liebe im 20. Jahrhundert, die sich allzu willfährig von Reduktionismen diverser Provenienz kolonialisieren lassen.

Viele Beiträge widmeten sich den sozialen und kulturellen Logiken von Liebesbeziehungen und Liebesverständnissen. Sie belegten damit zum einen, wie in historisch spezifischen Bedeutungen von Liebe soziale und politische Ordnungen und Konflikte mit konkreten Gestalten intimer Beziehungen vermittelt sind. Zum anderen wurde so auch gezeigt, wie Persönliches für Soziales und Politisches einsteht und umgekehrt und wie das eine vom andern in Dienst genommen werden kann (Stefanie Schüler-Springorum, Hamburg; zu Liebes- und Geschlechterbeziehungen im jüdischen Widerstand in Osteuropa; Kristina Popova, Blagoevgrad/Sofia zum Liebeskonzept in der bulgarischen sozialistischen Jugendkultur der 1950er Jahre; Birgitta Bader-Zaar, Wien, zur Liebe in Selbstzeugnissen amerikanischer Sklavinnen; Helmut Puff, Ann Arbor, zum wechselseitigen Verweisungszusammenhang von ‚illegitimer' Liebe und unrechtmässiger Herrschaft; Franz X. Eder, Wien, zur sexuellen Revolution der 68er). Dass Liebe gleichermaßen eingegossen ist in übergeordnete soziale und politische Logiken, wie sie von den historischen Akteuren gegen diese gerichtet werden kann, zeigten Beiträge, welche die Geschichten von ‚Liebenden' mit rechtshistorischen oder sozialanthropologischen Zugängen vermittelten (Margareth Lanzinger, Wien, zu kirchlichen Heiratsverboten und dem Widerstand gegen solche; Margarete Grandner und Ulrike Harmat, Wien, zu gesetzlichen Ehehindernissen im Österreich des frühen 20. Jahrhunderts; Michael Mitterauer, Wien, zum spannungsreichen Verhältnis von Paarbeziehung und Verwandtschaftssystem).

Besondere Aufmerksamkeit galt auch den Orten, an welchen Liebe ‚erfunden' wird, d.h. den Medien, in welchen sie nicht nur gespiegelt, sondern auch geschaffen wird - sei es als intime Zweisamkeit im vertrauten Du des Liebesbriefes (Wolfgang Mueller-Funk, Birmingham/Wien, zum Brief als Medium der Konstruktion von Liebe), sei es in der Literatur als Repertoire par excellence des imaginaire social in Sachen Liebe (Sigrid Schmid-Bortenschlager, Salzburg, zum Roman des 18. Jahrhunderts; Julia Neissl, Salzburg, zur Darstellung lesbischer Beziehungen bei österreichischen Autorinnen und Sandra Eder, New York/Wien, zu den Lesbian Pulps in den USA des 20. Jahrhunderts). Im 20. Jahrhundert trat dazu zunehmend auch der Film (Monika Bernold, Wien, zu "EVA - ein Fabrikmädel"; Gernot Heiss, Wien, zu "Casablanca").

Dass die Liebe eine mächtige Metapher ist, für Persönliches ebenso sehr wie für Politisches, zeigte Birgit Wagner (Wien) anhand zweier sardischer Literatinnen, in deren Werk Liebe und Liebesbeziehungen für das Schreiben stehen, während Johanna Gehmacher (Wien) in Metaphern und Allegorien der Liebe zum ‚Vaterland' einen integrativen Kitt der männlichen Nation freilegte und Maria Mesner (Wien) in Muttertag und Internationalem Frauentag die symbolische Repräsentation von Mutter- und Schwesterliebe als Inszenierungen sozialer und politischer Ordnungen erschloss.

Von einer nochmals ganz anderen Seite her gelangten zwei Beiträge zum Thema, die zunächst scheinbar von einer eigentlichen Geschichte der Liebe wegführten, an einem unerwarteten Ort - nämlich einem epistemologischen - aber genau dort ankamen: Die Bedeutung von Liebe und Widerstand für die Erkenntnis nämlich war Gegenstand des Beitrages von Gudrun-Axeli Knapp (Hannover), die das "affektive Unterfutter" eines gleichermaßen heterogen auseinanderstrebenden und doch von großer Kohäsionskraft getragenen feministischen Diskurses thematisierte. Waltraud Kannonier-Finster (Innsbruck) und Meinrad Ziegler (Linz) widmeten sich dem dialogischen Verhältnis von Subjekt und Objekt der wissenschaftlichen Forschung und der Bedeutung einer reflexiven Empathie.

Mag es auf einen ersten Blick auch scheinen, der ‚Gegenstand' fächere sich in den vielen präsentierten Zugängen zu den vielen Erscheinungsformen von Liebe und Widerstand so sehr auf, dass er sich in gewissem Sinne auch wieder verflüchtige, so werden diese vielen Zugänge doch gerade einem Phänomen gerecht, dessen Komplexität sich kaum reduzieren lässt. Die Liebe ist in das Textil der symbolischen Ordnung so sehr eingewoben wie in das der sozialen und politischen Ordnung und das des persönlichen Verhältnisses der Einzelnen zur Welt, zu den Andern und zu sich selbst. Und sie bezeichnet ein Gefühl, das nicht ‚eins' ist, soziale Beziehungsformen die nicht ‚eine' Gestalt haben, Metaphern, die nicht ‚eine' Bedeutung haben. Die vielen Zugänge zum Thema nehmen die Herausforderung eines Gegenstandes an, der mindestens so viele Fragen zurück gibt, wie an ihn gestellt werden. In diesem Sinne stand an der Tagung in Wien aber immer auch das im Raum, was in der historiographischen Forschung zur Liebe durchaus noch etwas ‚verlassen' im Bartheschen Sinne scheint: eine Geschichte des Fühlens und Empfindens der Liebe, ihrer Verheissungen, Dämonen und Verwerfungen, auch eine Geschichte der Verwinkelungen und Umgebungen und Topographien des Liebesgefühls. Vieles davon klang eindrücklich an in einer Lesung aus Briefen und Tagebüchern aus der von Edith Saurer mitbegründeten "Sammlung Frauennachlässe" (ausgewählt und eingeführt von Li Gerhalter, Wien). Wie mit solchen und ähnlichen Dokumenten in intensiver Zuwendung zum Material und in ebenso sorgfältiger reflexiver Distanz dazu historiographisch gearbeitet werden kann, zeigten in ihren Beiträgen Martin Schaffner (Basel) zur misslungenen Liebe in Dokumenten aus der Praxis des Basler Amtsarztes um 1900 und Angiolina Arru (Neapel/Rom) anhand von Briefen aus dem Gefängnis am Ende des 18. Jahrhunderts.

Den Diskurs der Liebe der Abwesenheit zu entreissen, wie sie Roland Barthes für die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts und Edith Saurer für den zeitgenössischen historiographischen und den feministischen Diskurs diagnostiziert haben, könnte auch und gerade eine Aufgabe der Geschichtsschreibung sein, die nicht nur historische Diversitäten aufzeigt, sondern auch die Lieben und das Lieben der Heutigen aus der historischen Gewordenheit versteht. Für eine feministische Geschichtswissenschaft aber ist dies ohne ein mutiges sich Einlassen auf die Ambivalenzen der Liebe - die historisch mit patriarchalen Imaginationen und Realitäten ebenso sehr verwoben ist wie mit den vielgestaltigen Versprechen von Gleichheit - nicht zu haben. Weil gerade hier nicht nur eine Bedingung der Möglichkeit einer Geschichte der Geschlechterbeziehungen liegt, sondern auch viel intellektueller Reiz, lässt man sich gerne dazu verführen, den Titel der Tagung auch als Programm zu verstehen und das Gehörte als Aufforderung zum Weiterdenken. Nachzulesen sind die Beiträge in einem Tagungsband, der nächstes Jahr veröffentlicht werden soll.

1 zuerst erschienen in: L´Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft. 13. Jg. 2002, Heft 2: Geschlechterdebatten, S. 267-270.)

2 Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt a. M. 1988 [1977].

3 Edith Saurer, Liebe, Geschlechterbeziehungen und Feminismus, in: L'Homme. Z.F.G., 8, 1, 1997, 6-20.

4 Vgl. für Tagungskonzept, Programm und Abstracts die bis auf weiteres aufgeschaltete Homepage http://mailbox.univie.ac.at/gender.geschichte.

Kontakt

Univ.Doz. Dr. Christa Ehrmann-Haemmerle
Institut für Geschichte der Universitaet Wien
Dr. Karl Lueger Ring 1
A - 1010 Wien
Tel. (0043) (01) 4277 / 40819
Fax. (0043) (01) 4277 / 9408

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