J. A. Baker u.a. (Hrsg.): The Iraq Study Group Report

Cover
Titel
The Iraq Study Group Report. The Way Forward - A New Approach


Herausgeber
Baker, III., James A.; Hamilton, Lee H.; United States Institute of Peace
Erschienen
New York 2006: Random House
Anzahl Seiten
142 S.
Preis
$ 10.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang G. Schwanitz, Burlington County College, New Jersey

Dieser Bericht ist ein zeithistorisches Zeugnis ersten Ranges.1 Auch wenn er keine magische Formel für die Regelung der Probleme Iraks (und von Demokratien, allen voran Amerika) birgt, so zeigt er die Warte an, von der aus Teile Washingtons Kernfragen sehen: islamistischer Terror, Demokratisierung Iraks und internationale Beziehungen am mittelöstlichen Kreuzweg in der nun multipolaren Welt.

All das erhellen 79 Empfehlungen, die die Studiengruppe James A. Bakers und Lee H. Hamiltons zur Lage im Irak-Krieg Präsident Bush und dem Kongress am 6. Dezember 2006 anheim gestellt haben. Die beiden Hauptschlussfolgerungen lauten, neue politische und diplomatische Bemühungen im Irak und in Mittelost zu starten und die vorrangige Mission der amerikanischen Kräfte im Irak so zu verändern, dass Amerika einen verantwortlichen Abzug seiner Kampfeinheiten aus Irak beginnen kann. Genannt ist dafür das erste Quartal 2008, in dem alle Kampfbrigaden aus Irak unter der Maßgabe heraus sein könnten, dass nichts Unerwartetes geschieht. Bis dahin sollte Amerika die Truppen bis zu 20.000 steigern, die in Iraks Einheiten eingebettet sind, aber ohne die Gesamtzahl zu erhöhen. Eine kurze Gesamtzunahme, um Bagdad zu stabilisieren, wäre möglich. Nun ist Washington gespalten: Präsident und Senat sind für jene Gesamtzunahme der Truppenzahl, das Unterhaus aber nicht.

Bagdads Regierung wird nahegelegt, wesentliche Fortschritte der inneren Sicherheit, Versöhnung und beim Lenken des Landes zu erzielen: sie müsse jetzt irakischen, amerikanischen und anderen Bürgern zeigen, dass sie weitere Hilfe verdient. Es dürfe keine endlose Verpflichtung Amerikas geben, dort große Truppenteile zu behalten.

Wie schon im 9/11-Report 2, liegen Licht und Schatten dicht beieinander. Bevor zwei Beispiele zu erörtern sind, sei die Art des Berichtes skizziert, der im Konsens der zehn Mitglieder der Irak-Studiengruppe vorliegt. Das Mandat erteilte der Kongress. Der Abgeordnete Frank Wolf und Leiter der den Bericht fördernden Einrichtungen wie die Rice University und das United States Institute of Peace entwickelten die Idee. Die Irak-Studiengruppe begann am 15. März 2006, um mit frischen Augen die Lage im Irak zu analysieren. Der Bericht ist gegliedert in Stand, Perspektive und einen Anhang mit Namen von Beteiligten und Befragten sowie Karten.

Zum Ausgangspunkt und zu Ungereimtheiten. Ersterer könnte so lauten: durch Washingtons Politik übernahm Amerika eine extra Verpflichtung gegenüber Irak. Es muss sie nach bestem Vermögen erfüllen. Langfristig sollte es in Mittelost engagiert bleiben. Freilich sei die Lage im Irak ernst, ja sie verschlechtere sich noch.

Die erste große Unstimmigkeit durchzieht den gesamten Text. Zum einen heisst es, Iran und Syrien wären daran interessiert, Chaos im Irak zu vermeiden. Kein Land der Region liege an einem chaotischen Irak. Daher folgen Empfehlungen, regional eine Konferenz, einen Mechanismus und eine Irak-Unterstützungsgruppe unter Einschluss Syriens und Irans in Gang zu setzen. Mit deren Hilfe soll Irak stabilisiert werden. Die Hilfsstruktur möge alle Nachbarn einbeziehen, denen daran liegt, Chaos im Irak zu vermeiden.

Durch die Diplomatie und Irak-Unterstützungsgruppe müsse man auch Feinde und Gegner wie Iran und Syrien engagieren. Dies ohne Vorbedingungen und durch einen Ausgleich von Interessen. Daher ergehen Empfehlungen einer politischen Offensive, die Kernfragen Mittelosts erörtert, weil diese unlösbar verknüpft wären. Die Diplomatie sollte Ende 2006 beginnen - und alles in einen Topf werfen?

Aus diesen Vorsätzen folgen Anreize für Iran und Syrien: ein integrierter Irak; Amerika würde dann die Taliban in Afghanistan weiter ausschalten können (was implizieren soll, dass dies nicht geschieht, wenn das US-Militär zu sehr im Irak gebunden bleibt, und dass Iran und Syrien mehr an Amerika als an den Taliban liegt); und die Chance für Iran und Syrien auf volle Beziehungen mit den USA. Ein Anreiz ist noch bemerkenswert (S. 51): eine US-Politik, die Reformen in Iran betont statt einen Kurs, der auf Regimewechsel abzielt („wie man dies in Teheran jetzt sieht“). Oder salopp gesagt: ist Iran gegenüber Irak kooperativ, dürfen Mullahs auf dem Pfauenthron bleiben (und ihre Atombombe weiter bauen?).

Andererseits wird betont, Iraks Nachbarn würden dieses Land destabilisieren. Syriens Regierung schaue weg, wenn über seine Grenze Waffen und Terroristen eingeschleust werden. Iran liefere schiitischen Milizen Iraks Waffen. Die Türkei wende sich gegen ein zu autonomes irakisch-Kurdistan. Saudi Arabien und Jordanien seien über den weiteren Einfluss Irans zu einer Zeit alarmiert, in der dieser nach Atomwaffen strebt. Diese Sorge teile auch Israel. Der Bericht unterstellt, Iran liege daran, dass Amerika im Irak scheitere und dieses Land zerfalle. Daher wird empfohlen, Iran dahin zu bringen, gleichwohl die Lage im Irak zu verbessern. Syrien wird noch mit einem Anreiz aus dem arabisch-israelischen Zwist gewinkt. Dies wird nur angedeutet und so darf man raten: Terrorstopp im Irak gegen den Rückerhalt der Golan-Höhen?

Diese Unstimmigkeit besteht also in einem Widerspruch: Iran und Syrien wäre am stabilen Irak gelegen, aber auch, diesen zu destabilisieren. Was nun? Die Autoren haben die Art der Regimes nicht erkundet, zumal auf der Stabilisierungsthese die meisten Empfehlungen der Diplomatie beruhen. Was ist, wenn in Damaskus und Teheran der Wille zur Destabilisierung Iraks obsiegt, wenn ihnen ein langer Spannungszustand am meisten nutzt? Hoffen nicht Herrscher dort, so wegen der Schwäche Amerikas etwas eintauschen zu können wie zum Beispiel die Golan-Höhen und Zugeständnisse im Atomprogramm?

Man kann sich nur wundern, wie unsicher sich die Autoren hier zeigen. Das ist auch die Generationsfrage, da viele Autoren ihre Verdienste im Kalten Krieg erworben haben, als im Schatten der bipolaren Nuklearbedrohung jene Anreize üblich waren. Es sollte doch in Amerika jüngere Generationen mit frischen Augen sowie Regional- und Fachwissen geben, die solche Kernfragen aufklären können.

Angenommen, der Irak prosperiert zum offenen System hin, das seine Bürger frei und demokratisch bestimmen. Wie lange würden die benachbarten Bevölkerungen ihre kruden Diktaturen dann noch ertragen? Fraglos, ein demokratischer Irak wäre deren Untergang. Damaskus und Teheran tun viel, Irak im Chaos zu halten - und die USA zu schwächen. Wenn im Bericht betont wird, deren Militär stosse bereits auf materielle und personelle Grenzen, so hoffen Islamisten der reorganisierten al-Qaida, Amerika einen solchen Stoß zu versetzen wie ihn einst die Sowjetunion in Afghanistan erhalten hat.

Die zweite große Unstimmigkeit des Berichts entspringt aus der Illusion, Amerika könne sich rasch von Irak abnabeln. Worte wie „keine endlose Verpflichtung“, aber auch Drohungen, sich der Sache zu entziehen, sollte sich die irakische Regierung nicht würdig zeigen, deuten es ja an. Aber Amerika hat heute keinerlei verantwortliche Alternative als diesen Weg mit Irak weiter zu gehen. Zu kurz kommt, dass die Glaubens- und Stammes-Identitäten mehr als Staat und Nation wiegen, die ein Import aus dem Westen sind.

Der Bericht enthüllt weitere Schwächen: fehlende Abstimmung unter Verantwortlichen in Amerika sowie zwischen denen und den Irakern. Der Vorschlag, einen Vertreter bei Ayatollah al-Sistani zu etablieren ist begrüßenswert. Das sollte längst natürlich und eine Hauptarbeit des Botschafters sein. Wenn unter 1.000 Leuten seines Hauses allein 33 Angehörige mit Arabisch-Kenntnissen und davon nur sechs auf professionellem Niveau sind, sagt dies viel. Im Bericht fehlt eine durchgängig korrekte Schreibung arabischer Namen.

Die Wahrnehmungs- und Wissenslücke, die in Amerika gegenüber Mittelost klafft, reflektiert dieser Bericht auch in den wenigen Aussagen zu islamischen Fragen. Der Vorschlag, die Organisation Islamische Konferenz möge in Bagdad tagen, ist verfehlt. Manche Muslime wenden sich nun schon deshalb dagegen, weil er aus Washington kam. Wo bleibt das Fingerspitzengefühl? Dies betrifft auch die Worte, Saudi Arabien möge seine „Islamic credentials“ einsetzen. Wer lässt sich gern so verplanen? Mein Fazit: viel in dem Bericht ist unrealistisch, da er Illusionen über die Natur von Regimes in Mittelost nährt. Zu viele Konfliktfelder werden in Anreizen verknüpft. Gute Ideen darin zum Aufbau Iraks mögen weiterhelfen.

1http://www.usip.org/isg/iraq_study_group_report/report/1206/iraq_study_group_report.pdf
2 Vgl. meine Besprechung des amtlichen 9/11-Reports, New York 2004: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=54315431

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension