H.-J. Karp; J. Koehler (Hg.): Katholische Kirche unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur

Titel
Katholische Kirche unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur. Deutschland und Polen 1939 - 1989


Herausgeber
Karp, Hans-Jürgen; Köhler, Joachim
Reihe
Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 32
Erschienen
Köln 2001: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
286 S.
Preis
DM 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Laube, Stefan

Den vergleichenden Blick auf Beziehungsgeschichten - zwischen katholischer Kirche und Staat, zwischen Polen und Deutschland sowie zwischen kommunistischer beziehungsweise nationalsozialistischer Diktatur - wagten dreißig deutsche und polnische Historiker, Politologen und Theologen bei einer vom Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte (Regensburg) und dem Herder-Institut (Marburg) ausgerichteten Tagung, die Ende Juli 1997 im brandenburgischen Bad Saarow stattfand. Zusammengehalten vom Totalitarismusansatz, der seit dem politischen Umbruch von 1989 neue Überzeugungskraft gewonnen hat (siehe dazu den Beitrag von Heinz Hürten "Das Totalitarismusmodell als kirchenhistorisches Erklärungsmuster", S.35-41), strebt dieser Aufsatzband auf dem Wege eines mehrfach dimensionierten komparatistischen Anspruchs nach bisher weitgehend unbekannten Ufern. Nicht nur werden zwei Nachbarländer, die sich bisher immer weitgehend aus dem Wege gegangen sind, verglichen, sondern auch zwei Schlüsselepochen der Zeitgeschichte. So ist es möglich, von dem gleichsam archimedischen Punkt der Kirche aus alte Fakten in neuem Lichte zu sehen, wenn z.B. der Grundsatzfrage nachgespürt wird, was die Sowjetisierung Polens mit der nicht nur zeitlich vorangehenden Unterdrückung der Bevölkerung durch das Besatzungsregime der Nazis zu tun hat.

Kirchengeschichtliche Leitfrage der Herausgeber war, "ob und gegebenenfalls in welcher Weise und aus welchen Motiven die Kirche - in Spannung zu ihrem universalen Sendungsauftrag an den Programmen der nationalen und staatlichen Integration mitgewirkt hat, ... in welchen Maße die katholische Kirche in beiden Ländern durch den radikalen Zugriff des Staates für nationale und politische Zwecke instrumentalisiert wurde oder sich durch partielle Identifikation mit dem Staat und der Nation freiwillig hat instrumentalisieren lassen und damit zur Stabilisierung des totalitären Systems beigetragen hat, oder ob sie bereit und in der Lage war, Formen inneren und äußeren Widerstands gegen die Vereinnahmung für die Politik der 'Germanisierung' bzw. der 'Repolonisierung' zu entwickeln" (S.Xf).

Der rote Faden besteht demzufolge in der möglichst präzisen Ausmessung des Handlungsspielraums der katholischen Kirche unter Diktaturbedingungen. Er wird aber im Eröffnungsvortrag von Zygmunt Zielinski (Lublin) allenfalls sporadisch aufgegriffen, da der Autor - für sich durchaus interessant und anregend - allgemein auf die Vertreibung beziehungsweise Umsiedlung vor und nach dem Krieg in Ostmitteleuropa eingeht (S.1-35). Weitgehend ohne nationale Scheuklappen zeichnet er Quellenprobleme nach, stellt umstrittene Zahlenverhältnisse den Bevölkerungsverschiebungen gegenüber und charakterisiert das beidseitige Nichtverstehen der deutschen und polnischen Geschichtsschreibung, wenn es um Schuld und Verantwortung im gegenseitigen Verhältnis geht. In einer semantischen Einführung läßt er Termini wie "Vertreibung" oder "Repatriierung" beiseite, um sich für den Begriff der "Aussiedlung" ("Przemieszczenia") zu entscheiden - vielleicht ein zu technisch-behördengeschichtlich akzentuierter Begriff, der nicht nur von der Empfehlung ("Zwangsumsiedlung") aus den schon seit 1976 bestehenden Richtlinien der deutsch-polnischen Schulbuchkommission abweicht, sondern auch von Tendenzen der aktuellen Forschung.

Leonid Luks (Eichstätt) sieht die Volksrepublik zwischen 1944 und 1956 in der Rolle eines Satellitenstaates (S.75-92), wobei aber selbst unter den stalinistischen Rahmenbedingungen Handlungsspielraum für die polnische Politik festzustellen sei. Daß Wladyslaw Gomulka die stalinistische Verfolgung politisch und auch physisch überlebte, grenze an ein "Wunder" (S.85). Nach Luks respektierte die Warschauer Führung bestimmte Freiräume der Kirche und ihrer Organisationen, um in der Gesellschaft wenigstens etwas akzeptiert zu werden. Nach Mitte der 50er Jahre habe die Politik der Stalinismusopfer Gomulka und Kardinal Wyszinski die Zeichen auf Verständigung gesetzt.

Das sich in katholischen Periodika niederschlagende Deutschlandbild des Bildungskatholizismus, der von Anfang bemerkenswert nüchtern und sachlich eingestellt war, ist Thema des Beitrags von Stefan Garsztecki (Bremen, S.143-157). So habe der Herausgeber des "Tygodnik Powszechny" Stanislaw Stomma zum Beispiel schon frühzeitig ein ausgewogenes Preußenbild gezeichnet und darauf hingewiesen, daß in den führenden Positionen der Nazi-Bewegung gar keine Preußen zu finden gewesen seien. Kirchenorganisatorische Fragen zur apostolischen Administrator in den sog. eingegliederten bzw. wiedergewonnenen Gebieten behandelt Jerzy Pietrzak (Breslau). Bernd Schaefer (Dresden) faßt die Ergebnisse aus seiner Dissertation "Staat und katholische Kirche in der DDR" zusammen (S.93-101).

Beginnend mit Joachim Köhlers (Tübingen) Beitrag, der schonungslos die kaum überbietbare, jeden gewaltsamen Umsturz ausschließende, Staatstreue des Breslauer Kardinals und Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz Adolf Bertram aufhellt (S. 175-195), besteht das letzte Drittel des Tagungsbandes aus meist kurzen Referaten über repräsentative kirchliche Amtsträger, die im fünften Jahrzehnt des 20. Jh. in der deutsch-polnischen Grenzregion Verantwortung trugen. In ihrer Einstellung zur jeweils eigenen Nation und zum Staat befragt Jerszy Myszor (Warschau) den Kattowitzer Bischof Stanislaw Adamski (S.195-209) und untersuchten Stefan Samerski (Muenchen) sowie Wladyslaw Szulist (Lupisz) den Bischof von Danzig Carl Maria Splett, der im Jahre 1946 von einem Sondergericht in Danzig entsprechend der Dekrete des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung wegen sogenannter Hitlerverbrechen zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde (S.209-235). Hans-Jürgen Karp (Marburg) den ermländischen Bischof Maximilian Kaller (S.235-241); Jan Kopiec (Oppeln) den Apostolischen Administrator in Oppeln Boleslaw Kominek (S.241-257); Andrzej Kopiczko (Allenstein) die Verwalter der Diözese Ermland Teodor Bensch und Adalbert Zink (S.247-259); Kazimierz Smigiel (Gnesen) die Apostolischen Administratoren von Posen Walenty Dymek und Hilarius Breitinger (S.259-263). Die Herausgeber müssen einräumen, daß in dieser biographischen Revue mit dem Kardinal Primas August Hhlond die einflußreichste Figur fehlt, da die einschlägigen vatikanischen Akten der Forschung immer noch nicht zugänglich seien. So muß die Frage, ob er bei der Neuorganisation der polnischen Kirche in der unmittelbaren Nachkriegszeit eigenmächtig oder im päpstlichen Auftrag gehandelt habe, weiterhin unbeantwortet bleiben.

Nachträglich in den Tagungsband wurde der Beitrag von Lydia Bendel-Maidl aufgenommen, die ausführlich die Staats- und Gesellschaftslehre des Münsteraner Moraltheologen Peter Tischleder (1891-1945) schildert (S.41-73), der - vom sozialreformerischen Impuls Bischof Kettelers getragen - im Jahre 1925 ein einschlägiges Buch über die Staatslehre Leos XIII veröffentlichte. Ihre Ausführung kreist um die Frage, ob die staatspolitischen Gedanken eines Thomas von Aquins - v.a. Notwehrrecht gegen einen Tyrannen" (S.65-68) - in einem totalitären Staat Orientierungshilfe geben können. Beiträge von Dieter Grande (Dresden) und Rudolf Kilank (Ostro) über die Sorbenfrage in der DDR schließen den Aufsatzband ab (S.265-277), der insgesamt nicht nur Forschungslücken benennt, sondern auch Perspektiven anbietet, sie zu füllen.

Kritisch anzumerken ist, daß fast alle Beiträge von einem inhaltlichen Deutschlandbezug geprägt sind. Es mag nur wenig verwundern, daß bei einer wissenschaftlichen Einrichtung, die auch heute noch den Namen "Ostdeutschland" zur Bezeichnung der Gebiete jenseits der Oder im Titel führt, bei der Themenauswahl ethnische - aber auch monokonfessionelle Argumente - weiterhin den Ausschlag geben. Sobald Deutsche bestenfalls abseits gestanden sind oder gar keine Rolle gespielt haben, erfährt man nur wenig über den Handlungsspielraum der katholischen Kirche in Polen sowie ihrer Laienorganisationen im kommunistischen Staat. So könnte man einen Vortrag über Nähe und Ferne der freien Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" zur katholischen Soziallehre und Weltanschauung vermissen. Fruchtbar wäre auch ein vergleichend-ökumenischer Beitrag zur widerständigen bzw. kooperierenden Rolle der evangelischen Kirche in der DDR und der katholischen in der Volksrepublik Polen gewesen.

Was nicht bei jedem Sammelband, der aus einer wissenschaftliche Tagung hervorgegangen ist, erforderlich ist, wäre bei der vorliegenden Studie hingegen wünschenswert gewesen: Die Veröffentlichung der Diskussionen zu den einzelnen Beiträgen im Wortlaut hätte - für jeden nachvollziehbar - die jeweils standortgebundene Argumentation freilegen können, zumal Msgr. Paul Mai in seinem Geleitwort den Leser mit dem Hinweis, daß "es - aus beidseitig teilweise national geprägter Geschichtsperspektive - zu heftigen emotionalen Streitgesprächen gekommen" sei (S.VII), neugierig gemacht hat.

Der Sammelband wäre nicht vollständig besprochen, wenn nicht noch eine heterogen-polemische, bisweilen klischeegeladene und redundante Abhandlung von Georg W. Strobel (Darmstadt) über das "gesellschaftliche Deutschensyndrom" der Polen Erwähnung fände (S.103-143). Es mag nur wenig für die Stärke der Herausgeberschaft sprechen, diesem abgestandenen Ideenkonglomerat so großzügig Raum gegeben zu haben. Fast scheint es so, als ob sich Strobel aus archivalischen Belegen eine ihm passende Objektivität gezimmert und sie zugleich mit gesetzmäßig anmutenden, über mehrere Jahrhunderte gespannte Entwicklungslinien überwölbt hat.

Der im populären polnischen Gedächtnis durchaus verbreitete Topos "Von den Kreuzrittern, über Luther, Bismarck zu Hitler" erscheint bei ihm im spiegelverkehrten Gewand, wenn er vom Heiligen Stanislaus (1079) über Augustyn Kordecki (30-jaehriger Krieg), Ignacy Skorupka (1920) bis zu Jerzy Popieluszko (80er Jahre) Mythen und Legenden eines im Volk verwurzelten heroischen Katholizismus sieht, ohne der Beantwortung des Warum einen Schritt näher zu kommen, wie ihm überhaupt nicht geläufig ist, daß gerade verinnerlichte populäre Mythen die historische Wahrheit spiegeln können. In seinem grenzenlosen Borussianismus drängt er immer wieder das Tagungsthema ins Abseits, rechtfertigt die preußischen Schul- und Sprachgesetze sowie die Tätigkeit der Ansiedlungskommission in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs und versteigt sich zu der Aussage, daß sie keine "Entnationalisierung" (S.110) hätten bedeuten müssen, vielmehr den sozialen Fortschritt gewährleisteten. Spricht er von der Sache, um die es gehen sollte, fällt immer wieder seine undifferenzierte Begriffswahl von der "polnischen Kirche" auf, die nationalistisch und deutschfeindlich eingestellt gewesen sei und in der Deutschenfrage mit dem sich etablierenden Kommunismus gemeinsame Sache gemacht habe. Im Schulterschluß von Kirche und kommunistischem Regime sei innerhalb weniger Jahre der konfessionell geschlossene nationale Einheitsstaat geschaffen worden (S.118ff). Dabei ist die Kirche Polens zumal mit ihrer Publizistik und ihren Laienorganisationen weit vielschichtiger gewesen, als der Autor wahrhaben will. Die katholische Kirche trüge auch die alleinige moralische Verantwortung für die Art und Weise der Vertreibung der Deutschen. Mit seiner Feststellung, daß zu keiner Zeit Vertreter der polnischen Kirche gegen die Exzesse bei der Zwangsumsiedlung Einspruch erhoben hätten, wird er allein schon von Tagungskollegen - Kopiec über den apostolischen Administrator Kominek (S.246), Myszor über Bischof Adamski (S.207) - widerlegt. Wenn man wohlwollend sein will, kann man sagen, daß Strobel eher als Politologe und weniger als Historiker auftritt und daher das Vorher aus dem Nachher erklärt und nicht umgekehrt. Viel mehr scheint aber dafür zu sprechen, daß hier - so sehr er das Hohelied des archivalischen Belegs anstimmt - weniger ein Wissenschaftler das Wort ergriffen hat, sondern ein betroffener Zeitzeuge. Wenn dieser Beitrag nur auf dieser Ebene - d.h. als Quelle für das verwundete Verhältnis zwischen beiden Ländern im Kalten Krieg - seine Wirkung entfalten würde, hätte er seine Funktion vollkommen erfüllt.

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