R. Bohn, J. Elvert und K.C. Lammers (Hg): Deutsch-skandinavische Beziehungen nach 1945

Cover
Titel
Deutsch-skandinavische Beziehungen nach 1945.


Herausgeber
Bohn, Robert; Elvert, Jürgen; Lammers, Karl Christian
Reihe
Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, Beihefte 31
Erschienen
Stuttgart 2000: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
234 S.,
Preis
DM 86,05
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Klatt, Institut for grænseregionsforskning in Aabenraa, DK

Dieser Band ist der dritte und letzte Band eines vom Historischen Seminar der Universität Kiel durchgeführten Projekts zur Erforschung der deutsch-skandinavischen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Projekt resultierte aus drei Konferenzen deutscher und skandinavischer Historiker in der Akademie Sankelmark bei Flensburg. Die Ergebnisse der ersten beiden Konferenzen 1990 (Skandinavien im Kontext des Zweiten Weltkriegs) und 1994 (Kriegsende im Norden) wurden 1991 bzw. 1995 als Beihefte der HMRG veröffentlicht.1 Der vorliegende Band präsentiert nun die Vorträge einer schon im Mai 1996 durchgeführten Tagung, die sich mit der Nachkriegszeit bis in die 1970er Jahre befasst.

Wie aus den Titeln ersichtlich, betrachteten die ersten beiden Bände die Problemstellung deutsche Beziehungen zu Skandinavien hauptsächlich im Kontext der kriegspolitischen Bedeutung des Raumes. Der dritte Band erweitert diese sicherheitspolitische Perspektive um kulturwissenschaftliche Aspekte. Zudem verdoppeln sich die zwischenstaatlichen Relationen durch die deutsche Teilung. Skandinavien beschränkt sich in der vorliegenden Publikation auf das kontinentale Skandinavien, Island oder gar die Færøer bzw. Grønland werden nicht behandelt.

Mit einer komparativen Darstellung der Beziehungen beider deutscher Staaten zu den vier skandinavischen Ländern Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden nach 1945 betreten die Herausgeber wissenschaftliches Neuland: die deutsche historische Nordeuropa-Forschung ist zwar schon lange kein Stiefkind an deutschen Universitäten mehr, für die unmittelbare Zeitgeschichte liegen bisher jedoch noch wenige umfassende Darstellungen vor. Die Herausgeber standen damit vor dem schwierigen Problem, auf gut 200 Seiten eine umfassende Übersicht über die Problemstellung deutsche (BRD und DDR) Beziehungen zu dem nach 1945 sicherheitspolitisch alles andere als homogenen Block der vier kontinental-skandinavischen Staaten zu geben. Die 17 AutorInnen sollen über die sicherheitspolitische Perspektive hinausgehend auch wirtschaftspolitische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen beantworten sowie eine Übersicht über die Nordeuropa-Forschung der auf diesem Gebiet traditionell führenden deutschen Universitäten Kiel und Greifswald geben.

Aus Gründen des Umfangs kann hier nur sehr kurz auf die 16 Beiträge eingegangen werden. Einleitend stellen der Kieler Historiker Jürgen Elvert und der Greifswalder Historiker Michael Scholz jeweils die Nordeuropa-Politik von BRD und DDR bis Anfang der 1960er Jahre vor. Eine systematische Auswertung der Akten des für die Betreuung der nordischen Staaten zuständigen Referats innerhalb der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes steht noch aus und wird auch in Elverts Artikel nicht gegeben. Elvert beschränkt sich darauf, in vier kurzen Fallstudien Probleme westdeutscher Außenpolitik zu den vier skandinavischen Ländern darzustellen. Sein Fazit: Ziel der westdeutschen Außenpolitik war vor allem, "ein positives Bild von der Bundesrepublik Deutschland entstehen zu lassen"(19). Hier muss die kritische Frage gestellt werden, ob wirklich keine weitergehenden Ziele ausgesprochen wurden. Im Gegensatz zur BRD maß die DDR Nordeuropa seit ihrer Gründung große Bedeutung bei. In dem von Scholz behandelten Zeitraum (1945-1963) wurde die DDR-Nordeuropa-Politik zudem vorwiegend von Remigranten aus dem skandinavischen Exil formuliert. Der tatsächliche außenpolitische Spielraum der DDR war jedoch von der UdSSR begrenzt und beschränkte sich vor allem auf technische und wirtschaftliche Fragen. Im Kontext der sowjetischen Politik der Entnatoisierung der Ostsee setzte die DDR auf verstärkte Kontakte zu den neutralen Ostseeanrainern und auch zu Dänemark und Norwegen. Dank der westdeutschen Hallstein-Doktrin blieb der DDR jedoch die diplomatische Anerkennung letztendlich auch von Finnland verweigert.

Carl-Axel Gemzell (Lund) befasst sich mit den militärstrategischen Plänen der Warschauer Pakt-Staaten in Bezug auf Dänemark. Anhand einer Untersuchung der Manövertätigkeit des Warschauer Pakts stellt er fest, dass die schnelle Eroberung Dänemarks u.a durch Truppen der DDR-Volksmarine zur festen Planung im Falle eines Krieges mit der NATO gehörte. Gemzell befasst sich aber vorwiegend mit Kommandostrukturen innerhalb des Warschauer Pakts und der Faszination sowjetischer Marinechefs von Dönitz' U-Bootkrieg, so dass der Artikel nur am Rande in das inhaltliche Konzept dieses Bandes passt.

Der Kopenhagener Historiker Karl Christian Lammers gibt anschließend einen Überblick über die historische Entwicklung des dänischen Deutschlandbildes, dessen Wurzeln nach seiner Auffassung in der Erfahrung der dänischen Niederlage gegen Preußen 1864 liegen, als Dänemark endgültig seinen Status zumindest als europäische Mittelmacht verlor. Nach 1864 war Deutschland die bestimmende Determinante der dänischen Außen- und Sicherheitspolitik, was sich in wohlwollender Neutralität sowohl zum Kaiserreich als auch zum "Dritten" Reich widerspiegelte. Dänemarks offizielle Politik stand damit im Widerspruch zum Volksempfinden, das die Realpolitik der dänischen Regierung nicht nachvollzog. Der dänische Volksnationalismus hat sich immer auch über Abgrenzung gegenüber dem übermächtigen Nachbarn im Süden definiert. Dies bewirkte zum einem eine gewisse Sympathie für die DDR als dem kleineren, in seinem internationalen Auftreten bescheideneren Deutschland.

Über die komplizierte NATO-Partnerschaft BRD-Norwegen schreibt Dirk Levsen (Vinstra, N) in seinem Beitrag "Erspart uns Speidel". Der Besuch des ehemaligen Wehrmachtgenerals Speidel 1957 in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte im Zentralabschnitt Europa war in Oslo von Demonstrationen und tendenziell negativer Berichterstattung in der Presse begleitet. Dass sich der Aufbau normaler Beziehungen zwischen der BRD und Norwegen als so schwierig erwies, lag dabei nicht einmal an Ressentiments der Norweger als vor allem an der unsensiblen Berichterstattung der deutschen Presse, die bei den ersten vorsichtigen Kontakten gleich á la Wilhelm II./Rosenberg in pathetischer Nordlandromantik schwelgte. Levsen beschreibt anhand der folgenden Staatsbesuche, dass die Beziehungen BRD-Norwegen bis zum Regierungsantritt der Großen Koalition 1966 kühl-distanziert blieben.

Manfred Menger und Dörte Putensen (beide Greifswald) befassen sich in ihrem Beitrag mit dem Sonderfall Finnland. Aufgrund seiner besonderen Lage war Finnland gezwungen, zu BRD und DDR gleichwertige Beziehungen zu unterhalten. Die DDR erhoffte sich nicht zuletzt deswegen, über Finnland als Vorreiter eine generelle diplomatische Anerkennung durch skandinavische Staaten zu erlangen. Dies konnte die BRD jedoch verhindern, so dass bis 1973 keiner der beiden deutschen Staaten eine offizielle Botschaft in Helsinki unterhielt. Bis dahin war Finnland Schauplatz einer bisweilen kleinlichen deutsch-deutschen Konkurrenz zwischen westdeutschem Alleinvertretungsanspruch und dem Wunsch der DDR nach gleichberechtigter Anerkennung.

Klaus-R. Böhme (Stockholm) behandelt in seinem kurzen präzisen Beitrag die Rolle der beiden deutschen Staaten in der schwedischen Sicherheitskonzeption 1945-1955. Er stellt klar heraus, dass die in sozialdemokratischen Kreisen herrschende Hoffnung auf die Schaffung eines neutralen, vereinigten Deutschland sich schnell zerschlug und Schweden danach trotz offizieller Neutralität im Kriegsfall auf die Hilfe der NATO gesetzt hätte. Dementsprechend akzeptierte die schwedische Regierung und auch der größte Teil des schwedischen Volkes die Wiederbewaffnung der BRD als wünschenswert oder zumindest als notwendiges Übel; eine Einstellung, die sicherlich dadurch erleichtert wurde, dass Schweden im Gegensatz zu Norwegen, Dänemark und auch Finnland nicht unter deutscher Besetzung zu leiden hatte. Anders Jølstad (Oslo) beschreibt in seinem Beitrag die NATO-Partnerschaft Norwegen-BRD von ihrer militärisch-organisatorischen Perspektive her. Nach seiner Auffassung trug die bilaterale militärische Zusammenarbeit mit der BRD entscheidend zu einer Europäisierung der norwegischen Außenpolitik nach 1960 bei.

In den folgenden Beiträgen wird die bisher dominierende außen- und sicherheitspolitische Perspektive erweitert. Rainer Plappert stellt in seinem Beitrag über die wirtschaftlichen Beziehungen BRD-Schweden fest, dass es überraschend schnell gelang, an die traditionell guten wirtschaftlichen Kontakte der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Claus Vastrups Beitrag über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Dänemark stellt fest, dass sich Dänemarks wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland sowie die dänische Abhängigkeit vom deutschen Kapitalmarkt insbesondere seit dem Beitritt zur EWG/EU ständig erhöht hat. Der Beitrag von Einhart Lorenz beschreibt die Remigration aus dem skandinavischen Exil in die beiden deutschen Staaten. Er stellt fest, dass die Gruppe der Emigranten, die in der Nachkriegszeit in BRD und DDR politische Verantwortung trug, in der Regel ein positives Skandinavienbild vertrat. Insbesondere in SPD und SPÖ trugen sie zu einer adaptionswilligen Einstellung gegenüber dem als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus empfundenen skandinavischen Modell bei. Walter Rothholz setzt sich im folgenden Beitrag näher mit diesem "skandinavischen Modell" als Modell für die Bundesrepublik auseinander. Er zeigt die historische Verwurzelung in spezifisch skandinavischen und insbesondere schwedischen Strukturen und die Veränderungen, denen das Modell bis heute ausgesetzt war und ist. Eine einfache Übertragbarkeit hält Rothholz nicht für möglich, da das Modell von geistigen Substraten geprägt ist, die in Deutschland nicht vorhanden seien (155).

Zwei Beiträge von Per Øhrgaard und Leif Hernø befassen sich mit der deutschen Kulturpolitik in Skandinavien. Øhrgaard beschreibt die Wiederentdeckung der deutschen Kultur in Dänemark (und umgekehrt). Obwohl man nicht von einer Renaissance des deutsch-dänischen Kulturaustausches sprechen kann, zeigen sich hier doch insbesonders in jüngster Zeit positive Tendenzen. Hernø analysiert die Funktion der auswärtigen Kulturpolitik der DDR in Skandinavien. Insbesondere die 1957-1974 jährlich in Rostock veranstalteten Ostsee-Wochen sowie die seit 1960 bzw. 1967 in Helsinki und Stockholm bestehenden DDR-Kulturinstitute halfen, die außenpolitische Isolierung der DDR zu durchbrechen. Bis heute werden darüber hinaus an skandinavischen Universitäten und in Schulen Deutsch-Lehrbücher aus DDR-Produktion verwendet. Zwei Dokumentationen über die Nordeuropa-Forschung in Kiel und Greifswald inkl. umfassender Bibliografie schließen den Band ab.

Es ist den Herausgebern gelungen, einen sehr informativen Band über das Problem deutscher Beziehungen zu Skandinavien nach 1945 herauszugeben. Die unterschiedliche Qualität der Beiträge hängt nicht zuletzt mit dem sehr unterschiedlichen Forschungsstand zu den Teilbereichen des Themas zusammen, was auch den etwas zu kurz gekommenen komparativen Ansatz erklärt. Wir dürfen hoffen, dass das in diesem Projekt aufgebaute Netzwerk wissenschaftlichen Austausches mit diesem Band nicht auseinanderfällt. Eine auch im Layout ansprechendere, illustrierte Gesamtdarstellung des epochal inzwischen gut eingrenzbaren Themas Beziehungen der deutschen Staaten zu Skandinavien 1945-1990 bleibt nach wie vor Desiderat der historischen Nordeuropaforschung.

1 Robert Bohn, Jürgen Elvert, Hain Rebas, Michael Salewski (Hrsg.): Neutralität und totalitäre Aggression. Nordeuropa und die Großmächte im Zweiten Weltkrieg, HMRG B 1, Stuttgart 1991, und Robert Bohn, Jürgen Elvert (Hrsg.): Kriegsende im Norden. Vo

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