C. Kösters: Staatssicherheit und Caritas 1950-1989

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Titel
Staatssicherheit und Caritas 1950-1989. Zur politischen Geschichte der katholischen Kirche in der DDR


Autor(en)
Kösters, Christoph
Erschienen
Paderborn u.a. 2001: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
DM 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Goertz, Joachim

Als 1991 das schon im Titel irritierende Buch von Gerhard Besier und Stephan Wolf "Pfarrer, Christen, Katholiken" <1> erschien, ging ein Aufschrei vornehmlich durch die evangelische Christenheit in Deutschland, hatten doch die Autoren die evangelischen Kirchen in der DDR in der Nähe der Kumpanei zum SED-Staat geortet.

Vergleichsweise unaufgeregt lief die öffentliche Debatte über das Verhältnis der katholischen Kirche in der DDR zum SED- Regime. Zwar wurden einzelne Fälle von Verstrickungen kirchenleitender Persönlichkeiten mit dem Staatssicherheitssystem der DDR bekannt, aber sie wurden in der breiten Öffentlichkeit entweder als von den jeweiligen Bischöfen gedeckte Gesprächskontakte wahrgenommen oder als insgesamt irrelevant für das grundsätzlich distanzierte Verhältnis der katholischen Kirche in der DDR zur politischen Macht in ihr angesehen. Auch sind keine spektakulären Fälle bekanntgeworden, in denen Verstrickte dienst- oder arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen hatten. Diese Zurückhaltung hing sicher auch mit dem vergleichsweise geringeren Einfluß der katholischen Kirche auf die politischen Entwicklungen in der DDR zusammen - schon allein aus demographischen Gründen.

Nachdem im Laufe der neunziger Jahre erste Expertisen <2>, Tagungsbeiträge <3> und Überblicksdarstellungen <4> erschienen, in denen auch das Verhältnis von Caritas und Staatssicherheitsdienst berührt wurde, hat sich Christoph Kösters der verdienstvollen und überfälligen Aufgabe gestellt, dieses Verhältnis nun näher zu beleuchten und auch in den Kontext der Kirchenpolitik der katholischen Kirche in der DDR einzuordnen. Christoph Kösters hat sich schon als Herausgeber des Sammelbandes "Caritas in der SBZ/DDR 1945-1989" <5> profiliert - eine Arbeit, die offensichtlich parallel zu der hier vorgelegten Studie entstanden ist. Diese Studie ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes, das zwischen 1997 und 1999 gemeinsam vom Deutschen Caritasverband und der Kommission für Zeitgeschichte durchgeführt wurde.

In fünf unterschiedlich gewichteten Abschnitten nähert sich Kösters den Konfliktlinien von Caritas und Staatssicherheit in der DDR. Nachdem er in Abschnitt I den Grundkonflikt zwischen Caritas und sozialistischer Diktatur beschreibt, unternimmt er in Abschnitt II eine äußere Bestandsaufnahme von Überwachung und konspirativer Durchdringung der Caritasführung. Der Abschnitt III bildet den Schwerpunkt seiner Studie und beschreibt die "Phasen und Spannungslinien in der Geschichte von Staatssicherheit und Caritas". Kösters sieht drei Phasen in dieser Geschichte und benennt sie als 1. Gewaltsame Repression (1950 - 1961), 2. Pragmatische Koexistenz (1961 - 1968) und 3. Partielle Kooperation (1968/71 - 1989). Eine zusammenfassende Bewertung (IV) und ein Ausblick auf die Forschungsperspektiven (V) beschließen diese Studie.

Er läßt aber schon am Beginn seiner Einleitung erkennen, wie er die Aufarbeitung der Stasiverstrickung in den Kirchen einordnet: "Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist das Thema 'Kirchen und Staatssicherheit' weitgehend aus dem Rampenlicht der öffentlichen Debatte herausgerückt und zu einem Gegenstand vorwiegend der wissenschaftlichen Forschung geworden. Nicht die vorschnelle 'Entlarvung' von Inoffiziellen Mitarbeitern, sondern die umfassende historische Auseinandersetzung mit diesem besonderen Kapitel [...] steht im Mittelpunkt einer notwendig versachlichten Diskussion." (Seite 11). Der Rezensent kann den zweiten Satz nicht teilen, suggeriert er doch, dass Anfang der neunziger Jahre 'vorschnelle Entlarvungen' im Vordergrund standen. Die Überführung von Wolfgang Schnur und Manfred Böhme, die Entwicklungen der Fälle Lothar de Maiziere und Manfred Stolpe und anderer im Umfeld der Kirchen Tätiger lassen aber ein differenzierteres Bild entstehen.

Auch scheint Kösters nach seinen umfangreichen Studien der MfS-Akten (siehe Quellenverzeichnis, Seite 203f) zu keinem anderen Ergebnis bei der Bewertung der Zuverlässigkeit der MfS-Überlieferung zu kommen als sein Kollege Bernd Schäfer, auf dessen Kriterien der Einordnung der IM-Tätigkeit er sich ebenso stützt <6>, was mir aber insgesamt nicht schlüssig erscheint. Zwar gebrauchte auch die Staatssicherheit bei konspirativen Kontakten gelegentlich den Begriff der "Abschöpfung", gleichwohl ist diese qualitativ eine andere als die, wenn die Konspiration nicht akzeptiert wurde. Auch wenn der IM keinen Bericht gesprochen, diktiert oder geschrieben hat, auch wenn er von keinem Decknamen wußte und keine förmliche Verpflichtungserklärung abgegeben hat, war er doch kein bewußtloser Filter, aus dem nur etwas zu saugen war, sondern verantwortliches Gegenüber seines "Führungsoffiziers".

Jenseits dieser Wertungen besticht diese Studie durch ihre minutiöse Darlegung der Fakten der Geschichte und Struktur der Caritasführung in der DDR. Besonders aufschlussreich ist dabei die Darstellung der Kirchengeschäfte B und C mit der DDR-Regierung, in denen die Caritas und der Bereich Kommerzielle Koordinierung unter Alexander Schalck-Golodkowski, aber auch Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, eine zentrale Rolle spielten. Hier und bei der Frage der Familienzusammenführungen wäre einmal zu untersuchen, ob es auf diesem Gebiet ökumenische Kontakte zwischen der evangelischen und katholischen Seite gab. Die Frage, ob die Kirche beim Häftlingsfreikauf davon erfuhr, dass die Devisen schließlich doch dem DDR- Sicherheitsapparat zugute kamen, läßt sich jedenfalls nicht in Anmerkungen verstecken.<7>

Christoph Kösters breitet seine Forschungsergebnisse aus dem Studium staatlicher und kirchlicher Quellen zum Gegenstand faktenreich aus. Er beschreibt die Kontakte der maßgeblichen Caritasfunktionäre in Ostberlin Johannes Zinke (1946-1968), Otto Groß (1968-1974), Theodor Hubrich (1968-1974), Norbert Kaczmarek (1970-1977) zu den für die Kirchenpolitik zuständigen staatlichen Organen auch jenseits ihrer Funktionen für die Caritas. Die letzteren Drei wurden bemerkenswerter Weise trotz ihrer kirchlichen Gesprächsbeauftragung als Inoffizielle Mitarbeiter bei der Staatssicherheit geführt, was sicher nicht auf eine großzügigere, weil erfolgsheischende Handhabung der MfS-internen Kriterien für die IM-Registrierung durch die jeweiligen Führungsoffiziere zurückzuführen ist. Daß Hubrich und Kaczmarek ihre Kontakte auch weiterpflegten, als sie keinen kirchlichen Auftrag mehr dafür hatten, erscheint mir fast zwangsläufig.

Kösters schildert anschaulich die Auseinandersetzungen vor dem Mauerbau um den "innerdeutschen Handel", den die Caritas in Form von Geld -und Sachspenden betrieb, er beschreibt die Schließungen der Bahnhofsmissionen und von Kinderheimen, die von der Caritas getragen wurden, und die Bemühungen der Caritas, ins Visier der Staatssicherheit Geratene aus deren Fängen zu lösen. Dabei wird deutlich, daß auch in der katholischen Kirche der Grundsatz galt, daß kirchliche Mitarbeiter ihre Kontakte zur Staatssicherheit dem jeweiligen Vorgesetzten zu melden hatten, um der Konspiration zu entgehen. Freilich war es spezifisch für die katholische Kirche, dass sie jeden Gesprächskontakt zur SED aus weltanschaulichen und politischen Gründen ablehnte und eine allgemeine Gesprächsbeauftragung mit dem MfS durch den Bischof praktizierte.

Insgesamt läßt sich dem Resümee von Kösters zustimmen, daß es der SED-Diktatur nicht gelungen ist, die spezifische Arbeit der Caritas entscheidend zu beeinflussen, geschweige denn zu marginalisieren. Auch wenn manche seiner Bewertungen der MfS- Kontakte von Caritasführern sehr wohlwollend erscheinen, hat Kösters einen wertvollen Baustein für die Aneignung dieser bedrängenden Vergangenheit geliefert.

<1>Besier, Gerhard/Wolf, Stephan, "Pfarrer, Christen, Katholiken". Das Ministerium für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen, 2. Auflage, Neukirchen-Vluyn 1992.
<2>Pilvousek, Josef, "Innenansichten". Von der "Flüchtlingskirche" zur "katholischen Kirche in der DDR", in: Materialien der Enquetekommission: Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland, Bd. VI,2, S.1134-1163, Baden-Baden 1995.
<3>Raabe, Thomas, SED-Staat und katholische Kirche 1949 bis 1989, in: Vollnhals, Clemens (Hg.), Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit, Berlin 1996, S. 353-370.
Haese, Ute, MfS-Kontakte auf offizieller Ebene, in: ebenda, S. 371-387.
Grande, Dieter/ Schäfer, Bernd, Interne Richtlinien und Bewertungsmaßstäbe zu kirchlichen Kontakten mit dem MfS, in : ebenda, S.388-404.
<4>Pilvousek, Josef, Die katholische Kirche in der DDR, in: Dähn, Horst (Hg.), Die Rolle der Kirchen in der DDR,
München 1993, S.56-72.
<5>Kösters, Christoph, Caritas in der SBZ/DDR, Paderborn 2001.
<6>Schäfer, Bernd, "Inoffizielle Mitarbeiter" und "Zusammenarbeit" - Zur Differenzierung von MfS-Unterlagen im Bereich der katholischen Kirche, in: Henke, Klaus-Dietmar/Engelmann, Roger (Hg.), Aktenlage, Berlin 1995, S.47-55.
<7>Brinkschulte, Wolfgang/Gerlach, Hans-Jörgen/Heise, Thomas, Freikaufgewinnler, Frankfurt/M 1993.
Maser, Peter, Die Kirchen in der DDR, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn 2000, S. 100-104.

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