M. Hohkamp u.a. (Hgg.): Nonne, Königin und Kurtisane

Cover
Titel
Nonne, Königin und Kurtisane.


Herausgeber
Hohkamp, Michaela; Jancke, Gabriele
Erschienen
Königstein im Taunus 2004: Ulrike Helmer Verlag
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
€ 26,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uta Schwarz, Köln

Wenn sich der Blick der Wissenschafts- oder Bildungsgeschichte auf die Frühe Neuzeit richtet, dann geht es in den meisten Fällen um die Geschichte formalisierter Ausbildung in besonderen Institutionen, und im Vordergrund stehen Lehrende und Lernende der städtischen Milieus, die wie selbstverständlich männlichen Geschlechts sind. Dieser Sammelband kritisiert diese Masterstory und lässt den entschuldigenden Verweis auf die Quellenlage nicht durchgehen. Vielmehr legt er zusammen mit neuen Ergebnissen auch die methodischen Voraussetzungen dar, unter denen es gelingen kann, gebildete, gelehrte, wissende Frauen so zu betrachten, dass formelle wie informelle Formen der Frauenpartizipation in der Produktion, der Vermittlung, dem Gebrauch und der Anwendung von Wissen sichtbar hervortreten. Dies geschah in elf Beiträgen zu einer 2001 im Rahmen eines interdisziplinären Programms zur Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin durchgeführten Tagung.1

Wie die Herausgeberinnen in der Einführung (S. 8-16) darlegen, stellt sich der Sammelband gegen die bisher vorherrschende „Ausschlussforschung“ (S. 11) zur Geschichte der Frauen im Feld der frühneuzeitlichen Wissenschaften. Es geht zwar um Frauen, um Ausnahmefrauen, aber der Blick auf diese bestätigt nicht noch einmal die männliche Dominanz. Vielmehr gelingt es durch Verbindung geschlechtergeschichtlicher Konzepte mit wissens- und bildungsgeschichtlichen Fragestellungen, den Platz der Frauen (und indirekt den der Männer) in Bildungs- und Wissenschaftskontexten sichtbar zu machen. Die Suche nimmt „die sozialen Rollen und Handlungskontexte von gebildeten, gelehrten oder wissenschaftlich tätigen Frauen jenseits der institutionalisierten Orte der Wissenschaft“ in den Blick. Soziale Rollen sind dabei zu verstehen als „Knotenpunkt von Selbst- und Fremdzuschreibungen sowie von interaktiv hergestellten Handlungsräumen“ (S. 14).

Konkrete methodische Folgerungen hieraus sind in der Einführung knapp benannt: Der aus der Quellenlage sich aufdrängende Blick auf die „Ausnahmefrauen“ soll die strukturgeschichtlichen Bedingungen des Außergewöhnlichen aufspüren, im Sinne von Natalie Zamon Davis’ „Women on the Margins“. Es soll nicht nur um Vermittlung und Erwerb, sondern auch um die Anwendung und Ausübung von Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit gehen. Als hierzu relevante Orte sind neben Universitäten insbesondere Haushalt und Familie, aber auch Klöster und Höfe zu betrachten. Der geschlechtersensitive Blick richtet sich, quer zur üblichen Konzentration auf nichtreligiöse Schriftlichkeit, auch auf mündliche Formen der Gelehrsamkeit und auf solche jenseits der Antikenrezeption. Das Kriterium des institutionell abgesicherten Amtes oder bestallter Position tritt zurück. Und schließlich ist die Wandelbarkeit und sozial unterschiedliche Funktionalität von Konzepten der Bildung und Gelehrsamkeit zu berücksichtigen.

Dieses Programm lösen die Einzelbeiträge als lesenswert dargebotene Fallstudien, in methodisch vielfältiger und unterschiedlich vertiefender Weise, durchweg ein.

Der programmatisch erstplatzierte Beitrag von Monika Mommertz (S. 17-38) bietet zunächst einen international erweiterten Forschungsüberblick und erläutert das organisationssoziologisch inspirierte Konzept „Wissenschaft als Arbeitssystem“, das vom „Arbeitskreis Frauen in Akademie und Wissenschaft“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften entwickelt wurde.2 Mit dem Titel „Geschlecht als ‚tracer’“ schlägt sie eine dreistufige Integration der geschlechtergeschichtlichen Perspektiven in die Wissenschaftsgeschichte vor: Wissenschaft soll als ein auf Funktionsteilung beruhendes System untersucht werden, die Kategorie „Geschlecht“ soll ohne essentialistische Aura bleiben und sich als „tracer“ benutzen lassen, wenn funktionale Differenzierungen bei der Produktion wissenschaftlichen Wissens untersucht werden. Die Ergiebigkeit dieser Forschungsstrategie demonstriert Mommertz in einer Studie zur Berliner Astronomen-Familie Winkelmann-Kirch im 18. Jahrhundert. Bei der hier jahrzehntelang bestehenden Arbeitsteilung zwischen Astronomischem Institut und Astronomenhaushalt wirkten die Ehefrau, die Töchter und der Sohn des Akademie-Mitgliedes Gottfried Kirch an den astronomischen Beobachtungen und Kalenderberechnungen für die Akademie mit. Eine asymmetrische Hierarchisierung verstärkte sich im Zuge fortschreitender Institutionalisierung der Akademie und durch den Tod des Familienvorstandes, z.B. als die Akademie der Witwe den Beitritt verweigerte und den bedeutsamen wissenschaftlichen output des Winkelmann-Kirchchen Haushaltes zunehmend verschleierte. Die Autorin profiliert die Astronomie als Beispiel dafür, wie schon im Entstehungsprozess des modernen Wissenschaftssystems unentbehrliche Arbeitsanteile entlang der Geschlechterlinie funktional getrennt und aus der öffentlichen Repräsentation von Wissenschaft ausgegrenzt wurden.

Die nachfolgenden konkreten Fallstudien gehen „vom Nahen zum Fernen“, sie beginnen mit der Endphase des Ancien Regime und schließen beim islamischen Spätmittelalter. Diese lose Anordnung leuchtet ein, denn sie vermeidet vorschnelle Synthesen.

Gertrude Langer-Ostrawskys untersucht die konkreten Lebensmöglichkeiten der Absolventinnen des 1786 gegründeten Wiener „Civil-Mädchen-Pensionates“ (S. 39-59). Diese erste Staatseinrichtung zur Ausbildung von Lehrerinnen für die Mädchen-Primarschulen in Österreich rekrutierte ihre Klientel aus 6- bis 10-jährigen Waisen oder Beamtentöchtern, die pensionsberechtigt, gesund und schulisch erfolgreich sein mussten und, so scheint es, vielfach bildungsinteressierte Mütter hatten. Ursprünglich privat initiiert, entwickelte sich das Pensionat binnen kurzem zu einem national interpretierten, auf Verdrängung des französisch konnotierten Gouvernantenwesens zielenden Projekt. Der Untersuchungszeitraum 1786-1803 ist als Übergangsepoche einzustufen: Denn zwei Drittel der Absolventinnen wurden Gouvernanten in adligen Haushalten oder sorgten als unterhaltene Tante in Familien für die Erziehung der Nichten und Neffen. Der neue Lehrerinnenberuf war mit einer Heirat zu vereinbaren, ja zu seiner Ergreifung scheinen die körperliche Erscheinung und Erfolgschancen auf dem Heiratsmarkt eine Rolle gespielt zu haben.

Annette Fulda legt zur ärztlichen Promotion von Dorothea Erxleben dar, welche Argumente, Ressourcen und Handlungsspielräume die Protagonistin im Quedlinburg des mittleren 18. Jahrhunderts nutzen konnte (S. 60-82). Der augenzeuglich mit „seltenen Gaben“ Ausgestatteten gelang es, ihre jahrzehntelange faktische Berufsausübung durch eine nachholend absolvierte universitäre Fachausbildung und ärztliche Approbation so zu legitimieren, dass Kurpfuscher-Vorwürfe gegen sie keine Chance mehr hatten. Es wird deutlich, wie die 1754 39-jährige vielfache Mutter und Stiefmutter auf frühzeitige Förderung durch eine väterlich angeleitete Fachausbildung im Apothekerhaushalt aufbauen und sich durch Einbindung in ein stabiles Patronagesystem gegen die Anfeindung der approbierten Ärzteschaft halten konnte. Ein vielschichtiges Zusammenspiel von Bedingungsfaktoren umrahmte den beruflichen Erfolg und Statuserfolg dieser Frau, die für rund 150 Jahre die einzige bleiben sollte, die an einer höheren Fakultät in Deutschland promoviert wurde.

Das Beziehungsgeflecht zwischen erworbenem Wissen, zugeschriebener Gelehrsamkeit und Außendarstellung behandelt Katherine R. Goodman in ihrem brillanten Beitrag über Luise Gottsched geborene Kulmus (S. 83-108). Wie ihr Ehemann, der Literaturhistoriker Johann Christoph Gottsched, so bezeichnete sich auch die Protagonistin selbst als dessen „Gehülfin“, wobei ihr die „semantische Fluidität“ der von Luther kanonisierten Rolle der Frau und Hausmutter zu Pass kam. Durch das Andocken an den spezifisch deutschen geschlechterideologischen mainstream mit selektiven Bezüge auf das Modell des Handwerkerhaushaltes erschloss sich die nach Kaiserin Maria Theresias Urteil "gelehrteste Frau von Deutschland“ einen Freiraum und konnte jahrzehntelang unter eigenem Namen literarische und journalistische Texte publizieren und editorische Projekte durchführen. Goodmans internationale Vergleichsperspektive bringt die national verankerte Semantik der beruflichen Deutungsmetaphern auf den Punkt, wenn sie zeigt, dass weder das klösterlich geprägte englische Modell der Frauenbildung noch die französische Salonnières-Referenz dazu taugen konnten, im deutschen Sprachraum die Publikationstätigkeit einer Frau zu legitimieren.

Gisela Mettele stellt am Beispiel der Herrenhuter Brüdergemeine „den Einfluss des lebensweltlichen Erfahrungswissens von Frauen bei der Ausformulierung der theologischen Konzepte einer religösen Gruppe“ vor (S. 109-121). Gegründet auf die „theologische Anerkennung weiblichen Wissens“ durch die Aufwertung „des gefühlten Verhältnisses des Einzelnen zu Gott“ im Vergleich zur gelehrten Theologie, übernahmen einzelne Frauen in der Sekte besondere Leitungsfunktionen, wie die 1746 zur „geistlichen Mutter“ ernannte blinde Dichterin religiöser Lieder Marianne Ringgold, oder die Predigerin Anna Nitschmann. Über das Wechselspiel zwischen der individuellen Ausgestaltung der öffentlich vorgetragenen spirituellen Autobiografie und der Normierung weiblicher Selbstbeschreibung wünschte man sich konkretere Aufschlüsse.

Die im 17. Jahrhundert aufkommende Gelehrtenpoesie verlangte, die eigene Gelehrsamkeit durch Bezüge zur klassischen Antike zu demonstrieren. Cornelia Niekus Moore schildert anhand von fünf Beispielen, wie dichtende Frauen darauf regierten (S. 122-134). Offensichtlich hat es diese herzlich wenig gequält, ob sie dem klassischen Gelehrsamkeitsideal entsprachen, und zumindest einigen stand eine spezifisch weibliche marge de manoeuvre zur Verfügung, nämlich die ironisch-kokette schlagfertige Distanzierung von der ausgestellten Bildungsbeflissenheit ihrer männlichen Konkurrenten.

Um Bildung als Distinktionsressource geht es auch im Beitrag von Elena Taddei über die Figur der „ehrbaren Kurtisane“. In Rom konnten um 1500, angesichts des wieder belebten Hetärenideal der Antike, junge Frauen als „kultivierte Unternehmerin [...] über ihren Körper hinaus auch ihre Bildung, ihre Gesellschaft und ihre der Unterhaltung dienende Anwesenheit Männern der gehobenen Gesellschaftsschicht und Mitgliedern der Kurie“ (S. 184) anbieten und durch ihren wirtschaftlichen Erfolg auch Legitimität, sozialen Aufstieg und rechtliche Unabhängigkeit bis hin zur Funktion des Familienoberhauptes erreichen. Die Weitergabe des Berufes, außerdem die Sorge um Kinder und Anverwandte unterschied Kurtisanen von Prostituierten. Die Kultivierung sinnlicher Genüsse von Speisen, Musik, Tanz und sexueller Verführung gab der Kurtisane Status und Ansehen, solange sie jung oder finanziell unabhängig war oder berechtigte Hoffnungen auf eine Heirat hegen konnte, um dem Risiko der Verarmung zu entgehen. Ob ihre Bildung Staffage war oder Substanz hatte, diese zeitgenössische Streitfrage erscheint müßig, wenn geistige Leistungen nur am Unterhaltungswert für den hochstehenden Gönner zu messen waren. Die Kurtisane Tullia d’Aragona wird als Beispiel dafür angeführt, dass der eigene Stand als Stigma erlebt werden konnte, von dem aus der angestrebte Schritt hin zur ökonomisch erfolgreichen Autorin nicht gelang.

Kurtisanen streuten in ihre Briefe lateinische Zitate als Zeichen ihre Bildung ein. Eine andere Beziehung zwischen lateinischer Sprache und Frauengelehrsamkeit betrachtet Eva Cescutti in ihrem Beitrag über Charitas Pirckheimer, die 1503 Abtissin des Nürnberger Clara-Klosters wurde (S. 217-220). Die Schwester von Willibald Pirckheimer entsprach dem zeitgenössischen Bild der Kloster- und Jungfrau, die sich ohne familiäre Verpflichtungen ganz dem Gelehrtsein widmete. Ihre Lateinkenntnisse verschafften ihr Zugang zum Publikationswesen. Aus den Briefen destilliert die Autorin sehr fein heraus, wie sich Charitas in einem Patronage- und Beziehungssystem zu verschiedenen Männern und Sphären im lateinischen Schriftbetrieb erfolgreich situierte. Weil nur die weltliche Schriftkultur sich für Frauen öffnete, brauchte sie einen Förderer, der sie gegen anonyme Gegner in Schutz nahm und den sie in ihre christliche Welt mit hinein trug: „Charitas inszeniert ihren Eintritt in den lateinischen Schriftbetrieb [...] als von Männern konditioniert.“(S. 220)

Jutta Schwarzkopf analysiert, wie Elisabeth I. in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts den zeitgenössischen Widerspruch zwischen weiblicher Geschlechtszugehörigkeit und Herrschaftsanspruch durch ein gebildetes Gender-Management austarierte (S. 153-177). Die Monarchin nutzte ihre breit angelegte Bildung und rhetorische Geschicklichkeit – sapientia –, um sich als vor lauter Staatsgeschäften auf den Rat Anderer Angewiesene darzustellen; dabei konnte sie sich auch als starke Landesmutter inszenieren und die semantischen Potentiale des Marienkultes mit denen des wehrhaften Souveräns verbinden. Ihre Reden konstruierten ihre Herrschaft als ideale, komplementäre Verknüpfung von Weiblichkeit und Männlichkeit zum Wohle Englands, von Polen, zwischen denen die Herrscherin mühelos hin- und herwechselte.

Karin Schmidt-Kohbergs Werkstattbericht über die geplante Auswertung biografischer „Frauen-Zimmer-Lexika“ des 17. und 18. Jahrhunderts hält als erstes Ergebnis die große Heterogenität der beschriebenen Formen von Gelehrsamkeit fest. Eine Kontextualisierung der Entstehungsgeschichten soll nähere Aufschlüsse darüber erbringen, warum bei diesen von Männer herausgegebenen Biografiesammlungen Theologie und Literatur, nicht aber die empirischen Wissenschaften als von Frauen bearbeitete Disziplinen vertreten waren.

Renate Jacobs Beitrag über gelehrte Frauen im islamischen Spätmittelalter und die Bildungschancen von Frauen der oberen Mittelschicht in der Mamelukenzeit im Vorderen Orient (1250-1517) berichtet von Frauen, die möglicherweise weder lesen noch schreiben konnten und dennoch an Universitäten Vorlesungen besuchen oder sogar halten konnten. Eine gering ausgeprägte Formalisierung, die hohe Bedeutung der Mündlichkeit sowie die Unterrichtung der Bildungssprache Arabisch schon im Elementarunterricht auch für Mädchen bildeten wichtige Voraussetzungen. Frauen hatten jedoch keinen Zugang zu Positionen, die mit Macht oder Geld verbunden waren. Auch hier sind männliche Verwandte häufig die Förderer einer guten religiösen und in Einzelfällen auch intellektuellen Ausbildung.

Der Sammelband zur Geschlechtergeschichte des Wissens in der Neuzeit bietet durchweg interessante, methodisch originelle und im Ergebnis teilweise herausragende Beiträge, die frappierend vorführen, mit welcher Erfindungsgabe das Selbstmanagement der gelehrten Frauen die zeitgenössischen semantischen Bestände nutzte, um ihre Beziehungen zur männlichen Welt der Bildung und Gelehrsamkeit erfolgreich zu strukturieren. Sie machen neugierig auf weitere Studien und eröffnen spannende Perspektiven auf eine geschlechtergeschichtliche Erneuerung der Subdiziplin.

Anmerkungen:
1 Die Aufsätze von Eva Cescutti und Elena Taddei wurden anstelle der nicht gedruckten Tagungsbeiträge von Magdalene Heuser und Licia Koch aufgenommen.
2 Daston, J. Lorraine; Wobbe, Theresa: Der Arbeitskreis Frauen in Akademie und Wissenschaft, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jahrbuch 1998, Berlin 1999, S. 293-303.

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