M. Gagarin: Antiphon the Athenian

Cover
Titel
Antiphon the Athenian. Oratory, law, and justice in the age of the sophists


Autor(en)
Gagarin, Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 222 S.
Preis
$40.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Historisches Seminar, Universität Leipzig

In diesem zusammenfassenden Werk über den Redner und Philosophen Antiphon präsentiert Gagarin nicht nur eine Interpretation der von Antiphon erhaltenen Fragmente und Reden, sondern auch eine Charakterisierung der Sophistik insgesamt und der Bedeutung, die Antiphon innerhalb dieser "Bewegung" zukommt. Er beginnt mit einem grundsätzlichen Bekenntnis zu einer unitaristischen Position, die eine seit der Antike diskutierte Aufspaltung der Texte Antiphons ablehnt und sowohl den Redner als auch den Sophisten sowie den Verfasser der Tetralogien in einer Person vereinigt sieht (S. 7). Die Kritiker dieser Position haben dabei vor allem die Papyrusfragmente der Schrift "Wahrheit" (Aletheia), in denen nach herkömmlicher Meinung Recht und Gesetz einer fundamentalen Kritik unterzogen werden, als unvereinbar mit der Betonung von Bedeutung und Vorrangigkeit des Gesetzes in den Gerichtsreden Antiphons betrachtet.

Um Leben und Werk des Antiphon im Kontext betrachten zu können, beschreibt Gagarin im ersten Kapitel, programmatisch mit "The Sophistic Period" betitelt, die Grundthemen der Sophistik von der Frage der personellen Zusammensetzung dieser - eher in missverständlicher Weise - als Gruppe bezeichneten Bewegung über die Sprachwissenschaft, Rhetorik, Dialektik und Eristik bis hin zur Wahrheitslehre und Erkenntnistheorie. Im zweiten Kapitel begründet er seine oben genannte unitaristische Position vor allem mit dem Hinweis auf die sich aus den unterschiedlichen Stilformen der Genera (Gerichtsreden, philosophische Schriften) ergebenden Differenzen, die nicht als Ausdruck von Personenstilen oder etwa als inhaltliche Differenzen verstanden werden könnten. In den folgenden Kapiteln (3-6) werden die erhaltenen Schriften systematisch analysiert (Aletheia: Wahrheit B 44, mit der Papyrusüberlieferung, Peri homonoias: Über die Eintracht, Peri kriseos oneiron: Über Traumdeutung, Tetralogien und die sechs Gerichtsreden), im letzten und siebten Kapitel fasst er in einer Gesamtwertung Werk und Bedeutung Antiphons zusammen. Es folgen zwei sehr nützliche Appendices mit dem berühmten Fragment 44 in der von Decleva Caizzi 1989 präsentierten Fassung sowie den zu der Schrift "Über die Eintracht" gehörenden Fragmenten B 48-66, basierend auf Diels-Kranz.

Besonders interessant ist vor allem das lange Kapitel über die Aletheia, in dem Gagarin sich ausführlich mit dem Papyrustext und den darin angesprochenen Grundfragen der philosophischen Auseinandersetzung des 5. Jahrhunderts v.Chr. beschäftigt. Die berühmte These aus diesem Text lautet, es sei vor Zeugen nützlich, Gesetze (nomoi) zu befolgen, ohne Zeugen sei es hingegen besser, den Geboten der Natur (physis) zu folgen, da die Gesetze nicht Ausfluss der Natur, sondern nur von menschlichen Vereinbarungen seien. Es sei deshalb auch nicht mit Schaden und Strafe verbunden, wenn man sie heimlich überträte. Im Gegensatz dazu sei es durchaus schädlich, die Gesetze der Natur zu übertreten, da diese nicht auf Meinungen, sondern auf Wahrheit (aletheia) beruhten. Gagarin hingegen interpretiert diese Passagen so, dass die Verwendung von nomos und physis nicht der in dieser Zeit geläufigen Antithese entspräche, sondern für beide Begriffe eine eher neutrale Bedeutung anzunehmen sei (S. 70). So sei hier durchaus nicht eine Kritik am nomos oder ein Vorrang der physis impliziert, sondern bei beiden gilt, dass sie - für sich betrachtet - weder "harmful or evil" seien (S. 70). Antiphon leite für beide Bereiche eine logische Folge von Konsequenzen ab, die eher wie eine argumentative Stufenfolge wirken, als dass sie wie eine systematische und abschließende Darstellung zu verstehen seien. Diesen Gedanken der Ambivalenz erkennt Gagarin auch in den anderen Schriften Antiphons, und für ihn äußert sich darin ein Grundelement der so genannten sophistischen Bewegung.

Eine kleine, kritische Bemerkung sei - trotz aller Bewunderung für dieses fesselnd und flüssig geschriebene Buch - noch angefügt: Gagarin nimmt mehrfach darauf Bezug, dass Antiphons Werk in einem politischen Kontext steht, dessen Brisanz er jedoch wenig hervorhebt. Antiphon ist, so Thukydides (8,68), der Hauptdenker und Planer des ersten oligarchischen Umsturzes (411 v.Chr.) in Athen seit der mit der kleisthenischen Reform einsetzenden Demokratisierung gewesen. Es wäre durchaus interessant, die Prinzipien dieser politischen Struktur mit den von Gagarin bei Antiphon herausgearbeiteten Elementen des Denkens zu vergleichen. Ein Satz wie "But he holds out the hope that gnome, human intelligence, using logos, can achieve understanding, not by rejecting popular perceptions and conceptions, but by building on them to create a better, more complex truth." (S. 88) schafft vor dem Hintergrund der thukydideischen Feststellung, dass mit diesem oligarchischen Umsturz den Athenern zum ersten Mal seit Kleisthenes die Freiheit genommen worden sei, eine interessante Perspektive und es wäre lohnenswert gewesen, sie zu verfolgen.

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