H. Reinalter: Die Französische Revolution und das Projekt der Moderne

Titel
Die Französische Revolution und das Projekt der Moderne.


Autor(en)
Reinalter, Helmut
Reihe
Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 14
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Sammler, Leipzig

Die Beiträge des von Helmut Reinalter herausgegebenen Sammelbandes gehen auf eine Tagung zurück, die von der Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen“ an der Universität Innsbruck im Oktober 1999 organisiert worden ist. Helmut Reinalter und Michel Vovelle stellen den präsentierten Fallstudien einführende Bemerkungen voran. Reinalter betont die Bedeutung der Revolution in ihrer doppelten Gestalt als politische und industrielle für die Durchsetzung des von der Aufklärung formulierten Projektes der Moderne im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Vovelle lässt die Auseinandersetzungen um das politische und historiografische Erbe von 1789 in Frankreich Revue passieren. Dabei verleiht die für manchen unerwartete Rückkehr der sozialen Revolution an ihren europäischen Ursprungsort Vovelles selbstbewusst trotzigem Bekenntnis „nous n’avons pas abandonné l’idée de changer le monde – et en bien“ einen überaus aktuellen Bezug. Die Kontroverse zwischen Vovelle und Francois Furet erinnert den Historiker der sozialen Bewegung und ihrer Ideengeschichte aber vor allem an die Notwendigkeit einer präzisen Bestimmung des kulturellen Milieus seiner Protagonisten und der zeitgenössischen Reichweite ihrer Ideen.

Die Beiträge der Referenten werden in vier thematische Abschnitte gegliedert, die die Französische Revolution und ihre Ausstrahlung auf die Territorien des Reiches, die Schweizer Eidgenossenschaft, Polen, Russland, Spanien und Schweden verfolgen, die Bedeutung von 1789 für die Entwicklung von Verfassung und Rechtsordnung thematisieren, die Folgen der Revolution für die Entwicklung der politischen Kultur im 19. Jahrhundert nachzeichnen und den deutschen „Revolutionsfreunden“ Georg Forster und Friedrich Hölderlin eigene Beiträge widmen. Überlegungen zum Verhältnis von Revolution, Moderne und Postmoderne von Heiner Wilharm beschließen den Band.

Axel Kuhns Beitrag zum Stellenwert der Französischen Revolution in der deutschen Geschichte bietet zunächst eine lesenswerte Problematisierung der Reformen des aufgeklärten Absolutismus, die sich aus seiner Perspektive nicht zu einer wirklichen Alternative für den revolutionären Prozess zu entwickeln vermochten. Sie wurden unter dem Eindruck der Französischen Revolution entweder abgebrochen oder inspirierten sich von den Resultaten revolutionärer Politik für die Gestaltung des Reformprozesses im 19. Jahrhundert. Die Beiträge von Dusan Uhlir zu Böhmen und Erich Donnert zu Russland, Jörg-Peter Findeisen zu Schweden und Alberto Gil Novales zu Spanien stützen diese Argumentation. Findeisen verweist mit Bezug auf die Arbeiten Manfred Kossoks über den europäischen Revolutionszyklus auf die Notwendigkeit, den Modernisierungsprozess in seiner Wechselwirkung von Revolution und Reform bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu verfolgen, um zu einer abschließenden Bewertung über den Erfolg oder Misserfolg des Reformprozesses zu gelangen. Die Beiträge von Heiner Timmermann, Rolf Graber und Jean-Paul Lehners beschäftigen sich mit den von 1789 inspirierten Volksbewegungen in der Saargegend, in der Schweiz und in Luxemburg. Sie gehen auf das ambivalente Verhältnis von Volksbewegung und Revolution ein und verweisen auf die Janusköpfigkeit des Projektes der Moderne, die im Verlauf der Revolution deutlich zutage getreten ist.

Ein zweiter Problemkreis beschäftigt sich mit den Folgen von 1789 für die Entwicklung der politischen Kultur des 19. Jahrhunderts, die in zunehmendem Maße durch das Spannungsfeld von Demokratie und Liberalismus geprägt war. Karlheinz Gerlach beleuchtet die preussische Freimaurerei im Revolutionszeitalter, Anton Pelinka und Hans Fenske verfolgen die Bedeutung der Revolution für die Entwicklung der politischen Kultur im 19. Jahrhundert. Detlef Jena trägt eine Fallstudie zu Weimar bei, die die kulturellen Unterschiede und die begrenzten politischen Handlungsspielräume der thüringischen Reformer vor dem Hintergrund des dominierenden russischen Einflusses thematisiert. Dieter Elsner beschäftigt sich mit den Anfängen der deutschen Geschichtsschreibung über die Französische Revolution. Jean-Claude Caron verfolgt den Einfluss der Französischen Revolution auf die staatsbürgerliche Erziehung im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Beiträge von Marita Gilli zu Georg Forster und von Christoph Prignitz zu Friedrich Hölderlin beschließen die Fallstudien.

Während die vergleichende Perspektive im ersten und dritten Abschnitt vor allem durch eine Aneinanderreihung von Fallstudien erreicht wird, gelingt im zweiten Abschnitt des Bandes, der der Genese von Verfassung und Rechtsordnung in Revolutionen gewidmet ist, ein kohärenter Vergleich zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika, der von Horst Dippel, Waldemar Hummer und Elmar Wadle geleistet wird.

Am Ende des Bandes stehen Überlegungen von Heiner Wilharm, der die einleitenden Bemerkungen von Reinalter und Vovelle aufgreift und das Verhältnis von Revolution und Moderne unter dem Eindruck der Kritik der Postmoderne reflektiert. Wilharm stellt zentrale Fragen nach den Bedingungen der Produktion sinnstiftenden Wissens über das Projekt der Moderne. Gleichzeitig fragt er nach den Konsequenzen radikaler postmoderner Kritik für die Wissensproduktion und die politische Verantwortung der beteiligten Wissenschaftler.

Es ist dem Herausgeber gelungen in einem breit angelegten Ländervergleich und in einer thematischen Vielfalt dem Verhältnis von Französischer Revolution und Moderne nachzuspüren. Die Schwierigkeiten der Gattung Sammelband, alle Beiträge zu einer thematisch stringenten Erzählung zu verknüpfen, werden dem aufmerksamen Leser freilich nicht entgehen. Zudem hätte die Wahl des Titels einen Bezug auf den von Ferenc Fehér herausgegebenen Sammelband „The French Revolution and the birth of modernity“ (Berkeley 1990) erwarten lassen, der eine Reihe interessanter thematischer Verknüpfungen gestattet hätte. Der vorliegende Sammelband gewinnt seinen besonderen Reiz aber in der Konfrontation unterschiedlicher historiografischer Zugänge auf das Projekt der Moderne, die mit anschaulichen Fallstudien zu den aufgeworfenen Fragestellungen verknüpft werden und in ihrem Ergebnis die Historiker der Moderne „jünger“ aussehen lassen als ihre postmodernen Kritiker meinen.

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