Titel
Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert


Autor(en)
Neugebauer, Wolfgang
Reihe
Bibliothek der brandenburgischen und preußischen Geschichte 5; Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen 4
Erschienen
Anzahl Seiten
222 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Breul-Kunkel, Fachbereich Evangelische Theologie, Philipps-Universität Marburg

Wolfgang Neugebauers Darstellung erscheint als erster Band einer auf acht Teile angelegten Reihe zur Geschichte Brandenburgs von der Ur- und Frühgeschichte bis zum Ende der DDR. Das von der Historischen Kommission zu Berlin herausgegebene Werk ist nicht als stringentes Handbuch, sondern als „Folge durchaus individuell gestalteter Beiträge“ (S. 7) konzipiert. Dies gilt schon für Neugebauers aus der Mitwirkung an einem Sammelwerk zur Brandenburgischen Geschichte 1 hervorgegangene Arbeit, denn sie greift mit ihrem nicht nur vom Umfang her beachtlichen Einleitungskapitel „Der brandenburgische Landesstaat an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit“ (S. 13-40) auf das Terrain des vorangehenden Bandes („Das Kurfürstentum Brandenburg 1415-1613“) aus.

Dem ausgewiesenen Kenner der frühneuzeitlichen Geschichte Brandenburgs 2, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Würzburg, gelingt es mit dieser Erweiterung des Themas auf Spätmittelalter und 16. Jahrhundert, zwei grundlegende Aspekte der brandenburgischen Geschichte vor Augen zu führen. Zum einen kann er den „starken politischen Regionalismus“ (S. 13), der bis ins 18. Jahrhundert hinein die Administration und Politik des Landes prägte, und die recht starke Position des Adels gründlicher nachzeichnen. Beide erweisen sich in Neugebauers Darstellung als Faktoren, die wesentlich eine Relativierung des Absolutismusbegriffs für brandenburg-preußische Herrschaft im 17. und 18. Jahrhundert angeraten sein lassen. Zum anderen vermag Neugebauer mit dem Ausgreifen über seinen Darstellungszeitraum hinaus plausibel zu machen, „daß nicht allein das Handeln der Dynasten, sondern Entwicklungen und Strukturen von ‚langer Dauer’ den Landesstaat der Mark Brandenburg prägten“ (S. 40), bevor er mit den territorialen Zugewinnen des 17. Jahrhunderts in die europäische Politik trat.

Neugebauers Darstellung setzt mit dem Herrschaftsantritt der fränkischen Linie der Hohenzollern in der Mark Brandenburg zu Beginn des 15. Jahrhunderts ein. Sie fanden ein zwar äußerlich wie innerlich destabilisiertes Gebiet vor, doch auch einen durchaus selbstbewussten und starken Landadel. Zwei Kulturen, zwei Politikmodelle trafen aufeinander, wie Neugebauer betont. Die Ritterschaft dürfe daher nicht einfach wie in der älteren Forschung als „Raubadel“ gekennzeichnet werden. Hier, ebenso wie in der Diskriminierung vorstaatlicher Instrumente der Selbsthilfe wie z.B. der Fehde, zeige sich eine Parteilichkeit der Geschichtsschreibung, die sich schon in den Chroniken des 15. Jahrhunderts nachweisen lasse. Indem sich die Hohenzollern auf bestimmte Adelsfamilien stützten und sie in das Herrschaftssystem integrierten, brachte der Dynastiewechsel „auf lange Zeit hinaus keine epochale Wende im System der Herrschaftsverteilung und -ausübung“ (S. 18). Lediglich die Städte mussten sich - einer europäischen Tendenz folgend - der Territorialherrschaft weitgehend unterordnen. Allmählicher Wandel zeichnet nach Neugebauers Auffassung auch den Aufbau des landesherrlichen Kirchenregiments aus. Trotz des 1447 von der Kurie zugesicherten Nominierungsrechts für die brandenburgischen Bistümer war deren Integration in die Hohenzollernherrschaft ein Jahrhundert später noch immer nicht abgeschlossen. Auch die Einführung der Reformation interpretiert der Autor als längeren Prozess, in dem einerseits das landesherrliche Kirchenregiment gefestigt (Gründung des Konsistoriums 1543), andererseits aber lokale Herrschaftspositionen insbesondere des Adels gewahrt wurden.

Brandenburgs Eintritt in die europäische Politik kurz nach 1600 mit der Realisierung von Erbansprüchen im Osten (Preußen) und im Westen (Kleve, Mark, Ravensberg) wird von Neugebauer entsprechend dem Ansatz seines Bandes primär aus der inneren Perspektive beleuchtet. Die Darstellung profitiert insbesondere hier von der ausgezeichneten Quellen- und Literaturkenntnis des Verfassers, die trotz aller Detailkenntnis die Grundlinien nicht aus dem Blick verliert. Die inneren Potentiale Brandenburgs hätten nicht ausgereicht, „um schon als autonomer Faktor im Schieben und Drängen der Mächte die eigenen Interessen zur Geltung bringen zu können“ (S. 41); die Außenpolitik der zweiten Jahrhunderthälfte zeichne sich daher noch durch „hektische Kurzatmigkeit“ (S. 78) aus. Unter dem Druck des Dreißigjährigen Kriegs seien jedoch insbesondere unter der Herrschaft Graf Adam von Schwarzenbergs „Strukturcharakteristika“ ausgebildet worden, die „in die ‚absolutistische Zukunft’ wiesen“ (S. 56). Hierzu zählt Neugebauer die Heranziehung von Ressourcen aus dem Gesamtstaat, die antiständische Politik Schwarzenbergs und Vorformen der späteren Kriegskommissariatsverwaltung. Dem in der älteren Forschung viel Raum gegebenen Wechsel des Herrscherhauses zum Calvinismus (1613) misst Neugebauer geringere Bedeutung bei. Sein außenpolitischer Nutzen sei umstritten; im Inneren habe er zu einer Distanzierung der Bevölkerung vom Herrscherhaus geführt. Seinen Einfluss vermag der Autor insbesondere im langsamen inneren Strukturwandel des Regierungsapparats und dem hohen Anteil auswärtiger Räte zu erkennen.

Mit eindrücklicher Weite der Perspektive geht Neugebauer auf die Folgen des Großen Krieges ein. Nicht nur Bevölkerungsverluste und Migration, sondern sozialgeschichtliche und mentale Folgen wie ein auffälliges Luxusverhalten, Verfall der Kirchenzucht und ein blühender Wunder- und Geisterglaube, Steuerverweigerung und Ungehorsam, aber auch eine Verschärfung der gutsherrlichen Bindung als Folge des Arbeitskräftemangels werden vom Verfasser unter stetem Rekurs auf Quellen beschrieben. Die wirtschaftliche Bedeutung der brandenburgischen Siedlungspolitik (Hugenotten und Schweizer) wird entsprechend der Tendenz der neueren Forschung geringer veranschlagt, ihre kulturelle Bedeutung wird leider kaum berücksichtigt. Die erklärte Absicht des Verfassers, „überregionale Konstellationen“ in seine Landesgeschichte einfließen zu lassen, wird vor allem hinsichtlich der „Agarstrukturen und Marktbeziehungen“ (S. 9) umgesetzt. Neugebauer verweist auf die unterschiedlichen Typen der Gutsherrschaft im Hohenzollerngebiet, die sich auch im 17. Jahrhundert durchhielten und auf die „Einbindung der brandenburgischen Landschaften in die Strukturgeschichte größerer Räume schließen lassen“ (S. 75). Ähnliches gilt für die Marktbeziehungen, die sich aber im Laufe des 17. Jahrhunderts veränderten und auf die Mark als Zentralregion ausrichteten – eine Folge europäischer Konjunkturen und landesherrlicher Politik. Auf der administrativen Ebene entsprach dieser Entwicklung die Stärkung der Zentralgewalt insbesondere durch die Festigung militärischer Strukturen und durch den Aufbau der Kommissariatsverwaltung. Neugebauers differenzierte Betrachtung und Quellenkenntnis lassen deutlich werden, dass es sich dabei weder um eine geradlinige Entwicklung noch um eine einseitige Durchsetzung landesherrlicher Positionen handelte. Gerade die langsame Verfestigung des Kommissariatswesens in der Kurmark Brandenburg belege, „daß hier die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte mehr als andernorts nicht in kämpferischer Konfrontation verlief“ (S. 94). Den großen konfessionellen Auseinandersetzungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts misst Neugebauer einen überraschend geringen Stellenwert bei; sie seien auf die Städte beschränkt gewesen; auf dem Lande hätten sie ebenso wie die Frühaufklärung keine Rolle gespielt. Der Stadt-Land-Gegensatz habe sich damit verschärft, denn die kulturelle Zentralfunktion Frankfurts an der Oder mit der Viadrina als östlicher „Expositur des calvinisistischen Westens“ (S. 100) und vor allem Berlin-Köllns habe sich in dieser Zeit verstärkt. Das Wirken Pufendorfs und Speners an der Spree, die Gründung der Leibnizschen Akademie und vor allem der Ausbau von Hof und Residenz förderten diese Entwicklung, die in der Königserhebung gipfelten. Brandenburg, das – wie Neugebauer konstatiert – auf dem Weg zur Krone überdurchschnittliche Lasten getragen hatte, ging damit in Preußen auf.

Wiewohl Neugebauer das letzte umfangreiche Kapitel seines Buches mit dem Jahr 1701 beginnen lässt, liegt der eigentliche Einschnitt beim Regentschaftsantritt Friedrich Wilhelms I. Er werde „als bedeutendster ‚innerer’ König ungleich treffender charakterisiert denn als ‚Soldatenkönig’“ (S. 107). Trotz der Schilderung des starken Durchgriffs des zweiten preußischen Monarchen auf subsidiäre Strukturen, bringt die Darstellung auch hier Korrekturen am landläufigen Bild an, indem sie auf starke Reste städtischer Autonomie oder die Zurückhaltung der landesherrlichen Politik im Kirchen- und Schulwesen verweist. Freilich wird die Rolle des Pietismus unter Friedrich Wilhelm I. unterschätzt, wenn Neugebauer seine Spuren außerhalb Berlins nur in „Reforminseln“ (S. 125) erkennen kann. Der von Neugebauer konstatierte starke Einfluss dieser kirchlichen Reformbewegung in der Bevölkerung unter Friedrich II. (S. 147) erklärt sich nicht nur aus ihrer Personalpolitik, sondern auch aus der Ausstrahlung ihrer geistigen Zentren Halle und Berlin sowie dem von Friedrich Wilhelm I. geförderten Feldpredigerwesen 3. Insgesamt übernahm Brandenburg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert zunehmend die von Neugebauer betonte Funktion der Zentralprovinz des preußischen Staats. „Das Gewicht politischer […] Entscheidungen wuchs, die Regionen wurden stärker von endogenen Faktoren abhängig, das Gewicht des Wirkungsgefüges ostmitteleuropäischer Raumstrukturen nahm tendenziell ab. Die Residenzzentrierung wurde stärker“ (S. 123). Das den Jahrzehnten nach 1740 geltende Unterkapitel zur „Zeit von Absolutismus und Aufklärung“ gibt die landesgeschichtliche Orientierung nicht zugunsten einer personengeschichtlichen Orientierung auf. Siedlungspolitik und Gewerbeentwicklung, Reichweite der Aufklärung und pietistische Volksfrömmigkeit, Justizreform und Adelskrise werden aus der Perspektive der Verhältnisse im Land und nicht der des Monarchen thematisiert. Damit werden auch die Grenzen der Innenpolitik Friedrichs II. deutlicher erkennbar als in der älteren Forschung.

Unter der Überschrift „Krisensymptome und Vorreformen“ beschreibt Neugebauer den Übergang Brandenburgs zur industriellen Gesellschaft. Er sieht den Wandel in den Markt- und Nachfrageverhältnissen als wesentlichen Faktor für die Strukturveränderungen im agrarischen Bereich wie die Einführung neuer Anbaumethoden, die Trennung von Adels- und Bauernland, die Vergrößerung der Anbauflächen und die Anfänge der Bauernbefreiung. So bestätigt der Verfasser die Einsicht der neueren Forschung, dass die preußischen Reformen seit 1807 „Entwicklungen des Wandels beschleunigten, die erheblich früher einsetzten“ (S. 180). In diesen Jahrzehnten um 1800 habe die Berlinzentrierung Brandenburgs weiter zugenommen. Die Anziehungskraft der Stadt sei gewerblich ebenso wie kulturell über das Hohenzollernterritorium hinaus gewachsen. Die Residenz habe in der preußischen Zentralprovinz alles in ihren Bann gezogen, die Kurmark Brandenburg wurde „in einem spezifischen Sinne zu einer introvertierten Staatsprovinz“.

Neugebauer hat mit seinem quellen- und literaturgesättigten Werk auf knappem Raum den neueren – nicht zuletzt von ihm selbst mitgeprägten – Forschungsstand zur Brandenburgischen Geschichte zwischen 1600 und 1800 auf verständliche und ansprechende Weise dargelegt. Dem Autor ist es gelungen, sich weder auf eine überblicksartige Generaldarstellung zu beschränken, noch in der Fülle des Materials zu verlieren. Detailschilderungen wechseln geschickt mit längere Perspektiven eröffnenden Passagen. Dass Neugebauer dabei den Absolutismusbegriff ohne einschränkenden Rekurs auf die neuere Diskussion gebraucht, tut seiner Landesgeschichte wenig Abbruch, da die Kritik an der älteren Terminologie in seiner Darstellung der Sache nach durchaus präsent sind. Schmerzlicher ist es dagegen, dass dem Band nur ein rudimentäres Literaturverzeichnis beigegeben und das Inhaltsverzeichnis nur recht grob gegliedert ist. Dies mindert den Gebrauchswert des im übrigen vorzüglichen Werks.

Anmerkungen:
1 Wolfgang Neugebauer: Brandenburg im absolutistischen Staat. Das 17. und 18. Jahrhundert, in: Ingo Materna; Wolfgang Ribbe (Hgg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 291-394.
2 Exemplarisch seien hier die folgenden Werke Neugebauers genannt: Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg-Preussen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 62), Berlin 1985; Staatliche Einheit und politischer Regionalismus. Das Problem der Integration in der brandenburg-preußischen Geschichte bis zum Jahre 1740, in: Staatliche Vereinigung. Fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte, hg. v. Wilhelm Brauneder (Der Staat, Beiheft 12), Berlin 1998, S. 49-87; Die Stände in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: Peter Baumgart (Hg.): Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung v. 29. Oktober – 1. November 1980 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 55), Berlin 1983, S. 170-207; Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert in vergleichender Sicht, in: Otto Büsch ; Wolfgang Neugebauer (Hgg.): Moderne preußische Geschichte 1648-1947. Eine Anthologie (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 52/2), Berlin 1981, S. 541-597.
3 Vgl. exemplarisch Ben Marschke: The Collaboration of Halle Pietism and the Military State. The Development of the Chaplaincy in Prussia through the Middle of the Eighteenth Century, in: Thomas Müller-Bahlke (Hg.): Gott zur Ehr und zu des Landes Besten. Die Franckeschen Stiftungen und Preußen: Aspekte einer alten Allianz, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 26.6. bis 28.10.2001 in Halle/Saale, Halle 2001, S. 337-347.

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