M. Künzler: Die Liberalisierung von Radio und Fernsehen

Cover
Titel
Die Liberalisierung von Radio und Fernsehen. Leitbilder der Rundfunkregulierung im Ländervergleich


Autor(en)
Künzler, Matthias
Reihe
Einzeltitel Kommunikationswissenschaft
Erschienen
Konstanz 2009: UVK Verlag
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Requate, Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie, Universität Bielefeld

Die Liberalisierung von Radio und Fernsehen in den 1980er- und 1990er-Jahren gehört zu den wichtigsten mediengeschichtlichen Zäsuren in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Zäsur in vergleichender Perspektive zu untersuchen, ist nicht nur ein legitimes, sondern ein überaus zu begrüßendes Forschungsanliegen – wurde hier doch die Medienarchitektur der Nachkriegszeit in grundlegender und in einer bis heute und wohl auch noch für einige Zukunft gültigen Art und Weise verändert. Der Züricher Kommunikationswissenschaftler Matthias Künzler beschäftigt sich in seiner Dissertation mit dieser Zäsur. Dabei nimmt er allerdings nicht die großen Länder wie Frankreich, Italien oder Deutschland sondern, wie Künzler selbst schreibt, die „Kleinstaaten“ Schweiz, Österreich und Irland in den Blick. Auch das ist zweifellos völlig legitim, doch wäre es von Seiten des Verlages her wohl angebracht gewesen, dies auch in den Titel aufzunehmen, anstatt hier nur ominös „Ländervergleich“ zu schreiben.

Doch auch davon abgesehen lässt die Lektüre des Buches zumindest den Medien historiker eher unbefriedigt zurück. Diese medienhistorische Perspektive des Rezensenten sei ausdrücklich betont, da über Fachgrenzen hinweg geäußerte Kritik vorrangig der Logik und den Maßstäben des eigenen Faches verpflichtet ist. Gleichwohl ist das Thema von Künzlers Arbeit ein historisches und der Verfasser verwendet historische Methoden, so dass die geschichtswissenschaftliche Kritik nahe liegt. Eine gewisse Irritation, die zugegeben dem fachfremden Blickwinkel geschuldet sein mag, geht bereits vom Aufbau der Arbeit aus. Mit Einleitungs- und Schlusskapitel umfasst die Untersuchung insgesamt zehn Kapitel, von denen sich allein die Kapitel acht und neun mit der empirischen Analyse der Entwicklung in den drei behandelten Ländern befassen.

Die Einleitung führt zunächst sinnvoll in die Problematik ein, entfaltet die Fragestellung und erläutert das Vorgehen. Die Zielsetzung der Arbeit bestehe darin, so Künzler, in vergleichender Perspektive „die Liberalisierung des Rundfunks über deren zugrunde liegenden medienpolitischen Ideen in Form von Deutungsmustern und Leitbildern zu analysieren“ (S. 23). Neben der empirischen Frage danach, auf welchen medienpolitischen Ideen die Rundfunkliberalisierung in den drei untersuchten Ländern beruht, interessiert Künzler auf theoretischer Ebene die Frage nach dem Stellenwert von „Ideen für die Ausgestaltung von Medienpolitik“ (S. 23). Diese auf die Theorie zielende Problemstellung bildet für den Verfasser die Grundlage für die breite Beschäftigung mit theoretisch-methodischen Fragen in den Kapiteln zwei bis sieben. Doch auch wenn man zugesteht, dass medien- und kommunikationswissenschaftliche Arbeiten häufig ein stärkeres originär theoretisches Interesse verfolgen als geschichtswissenschaftliche, rechtfertigt der Ertrag den hier betriebenen Aufwand kaum. Künzler holt hier enorm weit aus. Er entfaltet zunächst den Untersuchungsgegenstand der Medienpolitik und stellt die entsprechenden Theorien dazu vor. Sein theoretisches Hauptanliegen besteht dann darin, die Bedeutung von Ideen und Leitbildern für die Medienpolitik auf theoretischer Ebene zu begründen. Auch hier greift Künzler wieder weit aus, geht bis Platon und Aristoteles zurück, setzt sich dann kursorisch mit dem Idealismus und der materialistischen Kritik daran auseinander und wendet sich schließlich der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie zu. Ein derartiger Abriss der Wissenschaftsgeschichte bleibt notwendigerweise so sehr an der Oberfläche, dass sich dem Leser der Nutzen nicht wirklich erschließt. Die Frage der Bedeutung und Wirkung von Ideen lässt sich zwar auch auf theoretischer Ebene durchaus stellen und im Bereich der älteren Ideengeschichte und der neueren „new intellectual history“ gibt es hierzu breite Auseinandersetzungen. Dieser Bereich der Forschung wird von Künzler aber vollkommen ignoriert. Auch wenn man zugesteht, dass die Fachgrenzen hier nicht immer leicht zu überspringen sind, kann dieser Teil der Forschung dann nicht ausgespart werden, wenn der Anspruch besteht, eine fundierte theoretische Begründung zu liefern.

Wie sehr es sich in weiten Teilen des Buches im Grunde um eine überlange Einleitung handelt, wird ganz besonders im sechsten und siebten Kapitel deutlich. Hier begründet Künzler – prinzipiell richtig – zunächst die Auswahl und die Vergleichbarkeit der Länder. Doch liefert der Text hier letztlich eine Scheingenauigkeit. Denn die wichtige Frage, ob die „Kleinstaaten“ in ihren Entscheidungen nicht von den großen europäischen Staaten abhängig waren, wird hier zwar gestreift, aber nicht wirklich beantwortet. Die Eigenständigkeit hätte hier theoretisch und später empirisch nachgewiesen werden müssen. Von nur sehr begrenztem Aussagewert bleibt schließlich auch das Kapitel sieben, in dem Künzler – auch hier eher von Scheingenauigkeit geprägt – seine Dokumentenauswahl begründet und unter anderem „die Quellenkritik als zentrales Gütekriterium der Dokumentenanalyse“ (S. 164) vorstellt. Wenn er hier aus Einführungen für Studenten des historischen Proseminars zitiert und die allgemeinen Grundlagen des Quellenstudiums wiedergibt, wird deutlich, wie fremd ihm der Umgang mit dem Quellenmaterial ist. Dies zeigt sich dann sowohl in der Quellenauswahl als auch im weiteren Umgang damit. Die Quellengrundlage bilden die Gesetzestexte und die entsprechenden Parlamentsdebatten in den drei Ländern. Diese Quellen sind wichtig, doch spiegelt eine Parlamentsdebatte im günstigsten Fall das Kondensat einer breiten, öffentlich und nicht öffentlich geführten Debatte. Um die hier vorgetragenen Argumente gewichten und einordnen zu können, wäre eine wesentlich breitere Quellenbasis notwenig gewesen: Ausschussprotokolle, Referentenentwürfe, Material über innerparteiliche Auseinandersetzungen, Beiträge von Experten, Beiträge von den Medienakteuren etc.

Was sind nun die zentralen Ergebnisse? Erstens betont Künzler ohne Zweifel zu Recht, dass die Liberalisierung des Rundfunks in keinem der Länder ein singuläres Ereignis, sondern ein Prozess war. Interessant ist die zweite These: „Rundfunkliberalisierung führt zu Reregulierung, jedoch kaum zu Deregulierung und Privatisierung“ (S. 333). Der erste Teil der These ist unmittelbar nachvollziehbar und hier liefern Künzlers Quellen auch klare Belege: Auf der Basis der Gesetzestexte kann der Verfasser hier klar die neue Regulierungsflut belegen. Für den zweiten durchaus überraschenden Teil der These ist das sehr viel schwieriger. Insbesondere bezogen auf Irland schreibt Künzler, dass hier das Interesse privater Investoren fehlte, für die Schweiz und für Österreich wird die Substanz dieser These jedoch nicht wirklich klar. Eine genaue Benennung der Akteure, ihrer Positionen und Handlungen hätte ohne Zweifel sehr geholfen, diese These zu untermauern und zu erläutern. So bleibt sie eher nebulös.

Was schließlich die Thesen angeht, die sich auf die Bedeutung der Leitbilder für den Prozess der Liberalisierung beziehen – also auf Künzlers Kernanliegen –, zeigen diese leider am deutlichsten die Problematik der dünnen Quellenbasis. So kommt Künzler zu dem Ergebnis, dass die Einführung des Privatrundfunks zumeist auf der Zielsetzung basiert, „das vermeintliche Monopol des öffentlichen Rundfunks aufzuheben und die Medienvielfalt zu schaffen“ (S. 335). Ohne Zweifel spielte diese Argumentation in der Debatte um die Liberalisierung eine zentrale Rolle. Aber ob dies tatsächlich die maßgebliche Leitidee war, an der sich die Medienpolitik ausrichtete oder ob es sich dabei um eine rhetorische Figur handelte, die andere Interessen kaschierte, wäre zumindest zu diskutieren gewesen. Die wenigen Aussagen von Politikern, in denen sie die Liberalisierung mit „Meinungsvielfalt“ begründen, sind hier kaum ausreichend. Gerade die Äußerungen der Politiker zum bestehenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk waren stark kontextabhängig und dieser historische Kontext wird von Künzler völlig ausgespart.

So widmet sich Künzler in seiner Arbeit zwar einem hochinteressanten Thema, das aber viel zu schematisch behandelt wird. Seine Ergebnisse liefern gewiss Anknüpfungspunkte für weitere Forschung, doch bleibt für die Untersuchung dieser wichtigen Phase der europäischen Medienpolitik – gerade auch in ihren internationalen Bezügen – noch einiges zu tun.

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