E. Baltrusch: Die Juden und das Römische Reich

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Titel
Die Juden und das Römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung


Autor(en)
Baltrusch, Ernst
Erschienen
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfried Nippel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Nirgendwo ist die römische Herrschaftstechnik, durch die Einbindung indigener Eliten den eigenen Aufwand an Machtressourcen gering zu halten, so an ihre Grenzen gestoßen wie gegenüber den Juden in Palästina. Seit der Einbeziehung in den römischen Herrschaftsbereich durch Pompeius 63 v.Chr. wurde mit verschiedenen Organisationsformen experimentiert; auch die Einrichtung der Provinz Judäa 6 n.Chr. und ihre Neukonstituierung im Jahre 44 (nunmehr beinahe in den Grenzen des alten Herodes-Reiches) hat nicht zu einer dauerhaften Befriedung aus Sicht der Römer geführt, wie sich im Jüdischen Krieg der Jahre 66 bis 70 (bzw. 73/74) und im Bar-Kochba-Aufstand von 132 bis 135 in dramatischer Weise zeigen sollte.

Beide Aufstände endeten für die Juden in der Katastrophe. Auch wegen der bis heute nachwirkenden Folgen 1 sind die Ursachen für diese Erhebungen immer wieder untersucht worden. Für Ernst Baltrusch greifen die vorliegenden Erklärungen sämtlich zu kurz; sie konzentrierten sich jeweils auf die unmittelbare Vorgeschichte der Aufstände, machten das Versagen der römischen Statthalter und/oder die Radikalisierung jüdischer Gruppen verantwortlich, kämen somit kaum über die von Josephus gebotene Deutung voraus; das alles offenbare ein "zutiefst historisches Manko" (S. 12). Ob dies dem Stand der Forschung gerecht wird, kann man bezweifeln.2

Für sich beansprucht Baltrusch, dass er sich "ein im Kern historisches Ziel gesetzt" habe (S. 12). Die eigentliche Ursache des römisch-jüdischen Konfliktes müsse darin gesehen werden, dass sich die römischen und jüdischen Vorstellungen von "Autonomie" nicht miteinander vereinbaren ließen, wobei auf beiden Seiten lange historische Prägungen nachwirkten, die im Falle der Juden bis auf die Erfahrungen mit Assyrern, Babyloniern und Persern zurückgingen. Da sich die Unlösbarkeit des Konfliktes bereits angesichts der von Pompeius getroffenen Regelungen und ihrer Weiterentwicklung durch Gabinius, Statthalter in Syrien (57-54 v.Chr.), gezeigt habe, könne seine Darstellung "wohlüberlegt" mit diesem "Beginn der römischen Herrschaft über Palästina" schließen (S. 19). Am Ende heißt es, die darauf folgende Zeit sei "zum Teil ohnehin schon gut erforscht" (S. 157), was angesichts der pauschalen Literaturschelte in der Einleitung überrascht. Das Buch handelt also "von der politischen Existenz jüdischer Gemeinwesen unter Fremdherrschaften im Zeitraum von 727-55 v. Chr." (S. 19) - nicht gerade der Gegenstand, den der Titel erwarten lässt.3

Die Darstellung beginnt mit den Reformen im Südreich unter den Königen Hiskija und Josija, die mit der ausschließlichen Bindung der Juden an den Jahwekult den Charakter der Religion als Medium der Selbstbehauptung entscheidend geprägt hatten, wie sich dann auch im babylonischen Exil zeigen sollte. Fraglich scheint, ob man die Unterschiede der Funktion - Sicherung der äußeren Selbständigkeit einerseits, Bewahrung der kulturellen Identität im Exil andererseits - , so herunterspielen sollte, wie es Baltrusch mit seiner Betonung der Kontinuität tut.

Für die jüdischen Vorstellungen von Selbstverwaltung im Rahmen eines Großreichs seien die Erfahrungen nach der Rückkehr ins Vaterland und der Neuorganisation unter Nehemia und Esra prägend geworden. Der Auftrag von Artaxerxes I. an Esra, "das Gesetz deines Gottes und das Gesetz des Königs" gleichermaßen zu beachten (Esra 7, 26), bringe (selbst wenn die Authentizität des Edikts bezweifelt werde) die Sichtweise der Juden auf die ihnen konzedierte Autonomie in dem Sinne zum Ausdruck, dass die Loyalität zu den Persern mit der strikten Verpflichtung auf das eigene Religionsgesetz verknüpft wurde; damit waren zugleich eine Sonderstellung der Juden im persischen Reich und zunehmende Spannungen mit der nichtjüdischen Umwelt gegeben (S. 32ff.).

Während die Perser diesen Status der Juden als in ihrem eigenen Herrschaftsinteresse liegend erkannt hätten, hätten die Seleukiden nicht mehr die "jüdische Religion" in ihrer "Funktion als Ordnungsfaktor im Staate" akzeptiert (S. 49). Versicherungen, dass die Juden nach ihrer eigenen Regeln leben könnten, waren jederzeit revozierbare Wohltaten der Herrscher, wie am Kontrast zwischen der Verleihung von Privilegien durch Antiochos III. einerseits und den Verfolgungsmaßnahmen unter Antiochos IV. andererseits deutlich werde (S. 43ff.).

Mit dem Makkabäeraufstand begannen die Vertragsbeziehungen zwischen dem sich neu etablierenden jüdischen Staat und Rom; Baltrusch geht von der Echtheit der aus der Zeit zwischen 161 und 104 v.Chr. überlieferten Verträge aus, die ausführlich vorgestellt werden (S. 90-113). Die Römer hatten zwar keinerlei konkrete Verpflichtungen übernommen, doch bestand für die Juden die Bedeutung dieser diplomatischen Beziehungen darin, dass mit ihnen von Anfang an die sozusagen völkerrechtliche Anerkennung der Selbständigkeit des jüdischen Staates durch die Römer verbunden gewesen war.

Als Schlüsseldokument für die jüdische Sicht gilt Baltrusch die Darstellung von römischer Außenpolitik und Verfassung im 8. Kapitel des 1. Makkabäerbuches: Roms Herrschaftsstreben wird nicht beschönigt, aber in dem Sinne verstanden, dass die Römer zwar auf Tributzahlungen, nicht jedoch auf unmittelbare territoriale Eroberungen Wert legten.4 Das Senatsregime bot zudem eine Garantie für rationale Politik im Vergleich zu den Willkürakten, die von Monarchen auszugehen pflegten (S. 88f.). Dieser Text belege "den Kern des Mißverständnisses zwischen Juden und Römern hinsichtlich des Zusammenlebens unter einem römischen Dach ..., das die Beziehungen zwischen beiden Seiten letzten Endes in die Katastrophe von 66 n. Chr. führen sollte" (S. 90).5 Wenn danach diese Beziehungen nicht mehr erneuert worden sind, hänge dies zumal mit der Expansionspolitik des Hasmonäerstaates zusammen, der dadurch in den Augen der Römer zu einem "Gefahrenherd wie andere aufstrebende hellenistische Reiche" geworden sei (S. 113), vergleichbar dem pontischen Reich unter Mithridates VI. (S. 111). - Die Annahme einer solchen Bedrohungsanalyse bei den Römern gründet auf allgemeinen Überlegungen, nicht auf Quellenbelegen.

Auf jüdischer Seite habe allerdings weiterhin die Vorstellung geherrscht, dass die Römer in ihrer Region "keine Herrschaftsabsichten" verfolgten (S. 113); diese Fehleinschätzung habe den Avancen der diversen jüdischen Delegationen zugrunde gelegen, die sich seit dem Winter 64/63 v.Chr. angesichts der Thronstreitigkeiten im Hasmonäerreich um die Intervention des Pompeius bemühten (S. 130ff.).

Die von Pompeius getroffene Lösung habe sich an jüdischen Traditionen orientiert; seine Neuordnung sei grundsätzlich "dazu angetan [gewesen], die Juden zur Bewahrung ihrer Identität und zur Ausübung ihrer Religion zu ermutigen"; aber die Römer hätten "unter der Gewährung von Religionsfreiheit etwas anderes als die Schaffung einer herrschaftsfreien Zone" verstanden (S. 139). (Rätselhaft ist die gleich folgende Feststellung, die Römer hätten Religion als "zentrales Element der Integration von Regionen in das Reich" verstanden). Dass Pompeius nach der Einnahme von Jerusalem das Allerheiligste des Tempels betrat, erkläre sich damit, dass er sich einerseits im Interesse der geplanten Neuordnung Gewißheit über die Arcana dieser Religion habe verschaffen, andererseits bewußt ein "Zeichen römischer Allmacht" habe setzen wollen (S. 141).6 Was er damit angerichtet hatte, begriff er ebensowenig wie die römischen Autoren, die allein hervorhoben, dass Pompeius den Tempelschatz unangetastet gelassen hatte.

Für Baltrusch steht damit fest, dass die römische Herrschaft von Anfang an mit dem jüdischen Selbstverständnis kollidierte, das sich am Modell der Autonomie unter den Persern orientierte (S. 156). Der Weg in die Katastrophe sei unausweichlich gewesen, die römischen Bürgerkriege einerseits, die Herrschaft des Herodes andererseits seien nur "retardierende Momente" gewesen (S. 147). Den jüdischen Eliten ist in der Folgezeit demnach verborgen geblieben, dass es überhaupt keine Chance für einen modus vivendi mit den Römern geben konnte, sie gaben sich einer "Illusion" hin (S. 140).

In bewusster Anlehnung an Thukydides meint Baltrusch, damit die wahre "Ursache" der "großen Kriege der Juden gegen Rom im 1. und zu Beginn des 2. Jahrhunderts ... hinreichend dargelegt" zu haben, die ganze weitere Geschichte bis zum Ausbruch des Jüdischen Kriegs - mehr als 120 Jahre - zu den "Anlässen" rechnen zu können (S. 156), die man offenbar getrost denjenigen Historikern überlassen soll, die bei der Aufgabe, "eine historisch argumentierende Erforschung des jüdisch-römischen Verhältnisses" (S. 14) zu leisten, bisher so kläglich versagt haben.

Die Frage nach den Auswirkungen kulturell geprägter Wahrnehmungsmuster ist gewiss zentral für eine Analyse der jüdisch-römischen Beziehungen, nur dass Baltrusch durchweg die Unterschiede von Positionen innerhalb des Judentums als letztlich unerheblich abtut.7 Man kann aus seiner auf großer Gelehrsamkeit gründenden Darstellung 8 im Einzelnen viel lernen - seine deterministische Konzeption, die Veränderungen von Perzeptionen auf Grund von Erfahrungen ausschließt, keinen Raum für Entscheidungen von Akteuren lässt und den kontingenten Ausgang von Handlungsketten ignoriert, kann aber nicht überzeugen.

Anmerkungen

1 Wie sich dabei je nach den aktuellen Konfliktlagen im 19. und 20. Jahrhundert die Geschichtsbilder veränderten, zeigt jetzt eindrücklich Bernard Wasserstein, Jerusalem. Der Kampf um die Heilige Stadt, München 2002.
2 Vgl. nur Martin D. Goodman, The Ruling Class of Judaea. The Origins of the Jewish Revolt against Rome AD 66-70, Cambridge 1987; Emilio Gabba, The Social, Economic and Political History of Palestine 63 BCE - 70 BCE, in: William Horbury u.a. (Hgg.), The Cambridge History of Judaism III: The Early Roman Period, Cambridge 1999, S. 94-165.
3 Auf dem Buchrücken heißt es gar, "die Eskalation der Konflikte zwischen Juden und Römern bis zu den großen Aufständen zwischen 66 und 132 n. Chr." stehe im "Zentrum der Darstellung".
4 Fraglich ist, ob dies einem Text gerecht wird, in dem auch von der Eroberung Spaniens und Griechenlands (gemeint ist wohl der Krieg gegen den Achäischen Bund) die Rede ist.
5 Im Text steht versehentlich "66 v. Chr.".
6 Es handelt sich letztlich um eine Paraphrase von Tacitus, Historien 5, 9, 1.
7 So wird z. B. die auf Bickerman zurückgehende These, der Konflikt mit Antiochos IV. sei auf innerjüdische Gegensätze zurückzuführen, erwähnt, aber zusammen mit anderen Erklärungsversuchen als zu kurzschlüssig abgetan (S. 46).
8 Der kleingedruckte Apparat (Endnoten) umfaßt 40 Seiten.

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