R. Heftrig u.a. (Hrsg.): Wissenschaft zwischen Ost und West

Cover
Titel
Wissenschaft zwischen Ost und West. Der Kunsthistoriker Richard Hamann als Grenzgänger


Herausgeber
Heftrig, Ruth; Reifenberg, Bernd
Reihe
Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 134
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Papenbrock, Institut für Kunst- und Baugeschichte, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Im Juni 2008 fand in Marburg eine Tagung über den Kunsthistoriker Richard Hamann (1879–1961) statt, der von 1913 bis 1949 das Kunstgeschichtliche Seminar der Universität Marburg leitete und von 1947 bis zu seiner vorgezogenen Entlassung im Jahr 1957 – zunächst noch parallel zu seiner Marburger Tätigkeit – die Funktion des kommissarischen Direktors des Kunstgeschichtlichen Instituts an der Berliner Humboldt-Universität ausübte. In diesem Amt wurde er ein wichtiger Weichensteller für die Kunstwissenschaft in der DDR. Anlass der Tagung war die Erschließung seines Nachlasses, der sich im Besitz der Marburger Universitätsbibliothek befindet und nun – durch die kenntnisreiche und umsichtige Arbeit von Ruth Heftrig – zur wissenschaftlichen Nutzung bereit steht. Die Erschließung des Nachlasses und die Tagung wurden gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Der Tagungsband dokumentiert wichtige Fakten zu Hamanns späten Jahren und den frühen Jahren des Faches Kunstgeschichte in der DDR.

Hamann ist – nicht nur für die Stiftung Aufarbeitung, sondern auch für die Universität Marburg und Teile der fachgeschichtlichen Forschung – eine Symbolfigur, weil er als einer der wenigen politisch Unbeugsamen seines Faches gilt, der weder vor den Nationalsozialisten noch vor den politischen Funktionären der DDR auf die Knie fiel. Aufgrund der vielfältigen Interessen an seiner Person war nicht zu erwarten, dass die Marburger Tagung am Denkmal Hamann kratzen, daran rütteln oder es gar stürzen würde. Anlässe für Korrekturen des bestehenden Bildes hätte es durchaus gegeben. Ein Wissenschaftler, der sich wie Hamann über mehr als ein halbes Jahrhundert in seiner Funktion behauptet, der als Staatsbeamter die politischen Umbrüche vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus und vom Nationalsozialismus zur DDR nahezu unbeschadet übersteht, der während des Zweiten Weltkriegs im Auftrag des Reichserziehungsministeriums und unter dem Schutz der Wehrmacht Fotokampagnen in den besetzten Gebieten durchführt und seinem Institut sowie der angeschlossenen Fotosammlung damit zu internationaler Bedeutung verhilft, der nach dem Krieg zu den ersten Nationalpreisträgern der DDR zählt und als Beiratsvorsitzender im Staatssekretariat für Hochschulwesen die Veränderung und Politisierung des kunstgeschichtlichen Studiums im Zuge der 2. Hochschulreform in der DDR maßgeblich mitgestaltet, kann dies nicht alles in Opposition zur herrschenden Politik bewerkstelligen, sondern benötigt zur Durchsetzung seiner wissenschaftlichen Ziele Pragmatismus, Kompromissbereitschaft, Anpassungsvermögen sowie diplomatisches Geschick im Umgang mit Funktionären und Behörden; er ist wohl eher einer, der sich mit den politischen Gegebenheiten arrangiert, als der Oppositionelle, den viele in ihm sehen wollen.

Was die Jahre in der DDR betrifft, gründet sich der Mythos Hamann vor allem auf seinen Protest gegen die Sprengung des Berliner Stadtschlosses im Herbst 1950. Ausgehend von diesem dramatischen Ereignis wird in den meisten Beiträgen des Bandes das Bild eines Wissenschaftlers gezeichnet, der die Kunst gegen die Politik verteidigt, der sich der politischen Vereinnahmung widersetzt und dessen edles Gelehrtentum, überspitzt formuliert, im Gegensatz zur Willkür und Kulturbarbarei des politisch verordneten Marxismus in der DDR gestanden habe. Die Erkenntnisse der meisten Beiträge, ob sie nun Hamanns Berliner Jahre insgesamt behandeln oder einzelne Aspekte wie die Verleihung des Nationalpreises, den Protest gegen den Schloss-Abriss oder die Vernetzung mit der Akademie der Wissenschaften und den Berliner Museen, sind entsprechend vorhersagbar: Hamanns Engagement in der DDR wird überwiegend als politisches Missverständnis interpretiert. Die Frage nach den Gründen dieses Engagements bleibt hingegen offen. Dass es Hamann darum ging, und zwar in vollem Bewusstsein des politischen Auseinanderdriftens von Ost und West, zusammenführend zu wirken und Brücken zu bauen, wird allein von Jost Hermand ernst genommen, der im Übrigen fast zeitgleich mit dem Tagungsband eine eigene Biographie über Hamann publiziert hat.1 In seinem Beitrag „Hamanns Testament. Sein Aufsatz ‚Christentum und europäische Kultur‘ (1948/1955)“ zeigt er auf, wie Hamann nach verbindenden Semantiken, nach einer gemeinsamen Basis für die Betrachtung der Kunst suchte, indem er eine Verbindungslinie zwischen Christentum und Sozialismus zog, damit aber sowohl im Osten als auch im Westen, wo vor 1948 durchaus ähnliche Konzepte diskutiert worden waren, scheiterte. Statt zu verbinden, saß Hamann mit seinem Engagement zwischen den Stühlen und wurde dafür in den 1950er-Jahren im Westen sicherlich noch kritischer beäugt als im Osten. Ein eigener Beitrag über Hamanns Bild im Westen hätte dies aufweisen und die einseitige politische Verdammnis des Ostens relativieren können. Bei Hermand klingt das Thema an, ebenso in Kai Artingers gutem Beitrag über die Entstehung von Hamanns und Hermands kulturgeschichtlicher Buchreihe „Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus“.

Neben diesen beiden Aufsätzen sind es vor allem zwei Beiträge über die Nachfolge Hamanns, die den Band bei aller Kritik zu einem Gewinn für die fachgeschichtliche Forschung machen: Uwe Hartmann rekonstruiert in einem sorgfältig recherchierten Beitrag die Vorgänge um die „Entpflichtung“ Hamanns und die Suche nach einem Nachfolger. Er führt eine Reihe wichtiger Dokumente an – aus dem Marburger Hamann-Nachlass, aber auch aus dem Archiv der Humboldt-Universität und dem Bundesarchiv in Berlin –, die neue, differenzierte Einsichten in die Situation der Kunstgeschichte in der DDR in den späten 1950er-Jahren ermöglichen. Dazu zählt ein gemeinsames Memorandum, das Hamann zusammen mit Ludwig Justi im Februar 1957 an Wilhelm Girnus übergab, den Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR – wenige Wochen vor seiner „Entpflichtung“. Äußerst interessant ist auch ein Briefwechsel zwischen Girnus und Hamanns Sohn, Richard Hamann-MacLean, der als Nachfolger seines Vaters im Gespräch war. Die Auszüge, die Hartmann zitiert, erlauben einen Blick hinter die Kulissen und machen deutlich, wie die damalige Wissenschafts- und Berufungspolitik in der DDR funktionierte und betrieben wurde. In einer ebenfalls hervorragend gearbeiteten und durch Archivstudien gestützten Dokumentation widmet sich Hubert Faensen anschließend dem Nachfolger Hamanns auf dem Ost-Berliner Lehrstuhl, Gerhard Strauss. Er zeigt dessen politische Verbindungen zu Girnus auf, die Strauss ins Amt brachten, ihn aber nicht davor schützten, nach wenigen Jahren selbst in Ungnade zu fallen. Die DDR hatte in den Jahren der politischen Selbstfindung einen hohen Verschleiß an Kunsthistorikern. Strauss war in dieser Hinsicht, wie Faensen feststellt, „Täter und Opfer“ zugleich. Sowohl Hartmann als auch Faensen geben fundierte Einblicke in die Ideologie und Praxis der Hochschulpolitik in der DDR während der 1950er- und 1960er-Jahre; sie leisten darüber hinaus wichtige Beiträge zur Geschichte der Kunstgeschichte in der DDR.

Das Titelmotiv auf dem Umschlag des Bandes zeigt Hamann neben seinem Abbild, der bekannten Porträtbüste von Fritz Cremer. Das Foto wurde 1954 in Cremers Atelier in der Ost-Berliner Akademie der Künste aufgenommen. Nicht nur die Büste, auch Hamann selbst befindet sich thronend auf einem Sockel: der Wissenschaftler und sein Denkmal, in einem Bild vereint. Das Foto stammt aus einer Zeit, als prominenten Kunsthistorikern, selbst im Arbeiter- und Bauernstaat, noch öffentliche Verehrung entgegengebracht wurde. Es als Umschlagbild für den vorliegenden Band zu nehmen, war eine treffende Wahl.

Anmerkung:
1 Jost Hermand, Der Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine politische Biographie (1879–1961), Köln 2009.