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Titel
Inside Central Asia. A Political and Cultural History of Uzbekistan, Turkmenistan, Kazakhstan, Kyrgyzyztan, Tajikistan, Turkey, and Iran


Autor(en)
Hiro, Dilip
Erschienen
New York 2009: Overlook Press
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörn Happel, Historisches Seminar, Universität Basel

Nach der Lektüre von Dilip Hiros Buch scheint allein die weit verbreitete Korruption das Bindeglied zwischen den Gesellschaften in Usbekistan, Turkmenistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, der Türkei und dem Iran zu sein. Immer wieder rekurriert Hiro auf die bestechlichen Beamten in Vergangenheit und Gegenwart, wenn auch die Korruption bei ihm zugegebenermaßen nicht zentral ist. Dilip Hiro legt vielmehr eine Zeitgeschichte der fünf zentralasiatischen Staaten vor und bezieht die Türkei und den Iran in seine Untersuchung mit ein. Ihn interessieren weniger die kulturellen Verbindungen der Nationen oder ihre seit Jahrhunderten gewachsenen Bräuche, sondern es geht hier vor allem um die Politiker der Region, wobei sich der hauptsächlich als Journalist und Buchautor arbeitende Hiro als Kenner der Großregion seit dem Zerfall der Sowjetunion erweist.

Das Buch behandelt getrennt voneinander die einzelnen Länder der Region und lenkt die Leser von der Türkei über Zentralasien zum Iran. Hiro schließt mit einer Zusammenfassung und einem Epilog, der über das ansonsten als Zeitgrenze festzumachende Jahr 2007/8 etwas hinausgeht. Teile des Buches sind aber bereits im Jahre 1994 in Hiros „Between Marx and Muhammad: The Changing Face of Central Asia“ erschienen. Den Anspruch, aus der Geschichte die Gegenwart zu entwickeln (S. 11), kann Hiro leider nicht aufrecht erhalten. So gut er sich im modernen Zentralasien auskennt, so wenig erzählt er über die Vergangenheit und die in der longue durée angelegten Faktoren, die das heutige Aussehen der Großregion bestimmen. Hiro geht kaum auf das Nomadentum ein und berichtet wenig über den Islam und die islamischen Reformen des 19. und 20. Jahrhunderts. Auch das „Great Game“ um die Vorherrschaft in Zentralasien zwischen Russland und England Ende des 19. Jahrhunderts oder die Kolonisierung Zentralasiens durch russländische Bauern finden nur in Randbemerkungen Erwähnung. Und selbst das große Sterben im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft in den frühen 1930er-Jahren sind für Zentralasien bis in die heutigen Tage so wichtig, dass es doch überrascht, dass Hiro darüber weitgehend hinwegsieht.

Als politische Geschichte Zentralasiens seit 1990/91 ist das Buch jedoch empfehlenswert. Hier interessieren Dilip Hiro vor allem zwei Bereiche: die Wirtschaft und das Verhalten der Länder nach dem 11. September 2001, als die USA zum weltweiten Kampf gegen den Terrorismus übergingen und vor allem mit der Intervention in Afghanistan unmittelbar in die Region eingriffen und seitdem dort präsent sind. In beiden Bereichen erzählt Hiro chronologisch vorgehend einzelne Ereignisse aus den besprochenen sieben Ländern. Vielleicht hätte hierbei das vergleichende Beschreiben zu neuen Erkenntnissen führen können. Warum möchte Hiro eine Gesamtgeschichte der Region verfassen, wenn er dann doch nur die einzelnen Länder unabhängig voneinander untersucht?

Auch die Erzählmuster bei der Beschreibung der politisch-wirtschaftlichen Themenfelder sind in jedem Kapitel, folglich jedem Land, die gleichen: Hiro untersucht die Eliten der Staaten, folgt den einzelnen Präsidenten; eine männerdominierte politische Welt tut sich auf. Dies ist mitunter sehr unterhaltsam, so in Hiros Auseinandersetzung mit dem 2006 verstorbenen turkmenischen Diktator Saparmurat Ataewitsch Nijasow, der als „Vater der Turkmenen“ (Turkmenbaschi) in die Geschichtsbücher einging. Gekonnt schildert Hiro dessen Aufstieg bis zu den seltsamsten Anwandlungen: der Umbenennung der Monatsnamen und Wochentage, dem Verfassen eines spirituellen Buchs („Ruchnama“), der Empfehlung, Goldzähne gegen weiße Zähne tauschen zu lassen, oder der Abneigung gegenüber Hunden (S. 204f., 215-217, 219f., 225-228). Dies ist zwar gut erzählt, aber was die Leser aus dieser Skurrilität schließen sollen, bleibt ungewiss.

Das Buch profitiert von der hervorragenden Landeskenntnis des Autors. Gerade die Beschreibungen Almatys (Alma-Atas), Bischkeks oder Astanas zeigen, wie gut sich Hiro in der Region auskennt. Hierbei gibt es interessante essayistische Exkurse – um nur einige zu nennen: die Beschreibungen der Jurte, der Kleider, der Gastfreundschaft oder des Essens (S. 22-24, 235f.), des Wodka-Trinkens (S. 236), der Brautsuche (S. 28f.) und des Brautdiebstahls (S. 284f.), des verborgenen islamischen Lebens während der Sowjetunion (S. 146f.), der Tandoori-Küche (S. 158), der zentralasiatischen Architektur (S. 180) und der Wohnungen (S. 261), der seit Marco Polo berühmten turkmenischen Teppiche (S. 196), des Aufstellens von Jurten bei Hochzeiten und Todesfällen im heutigen Kirgistan (S. 284), der Bedeutung des Manas-Epos bei den Kirgisen (S. 291, 294f.). Auch wenn sich Hiro in diesen Exkursen dem Leben der Menschen und ihrer Kultur annähert, geht er über die bloße Beschreibung nicht hinaus. Nicht nur in diesem Bereich, besonders im Erleben der politischen und wirtschaftlichen Ereignisse hätte sich aber einmal mehr angeboten, die Menschen ins Zentrum der Untersuchung zu rücken. Ihre Empfindung des Alltags, basierend auf ihrer kulturellen Herkunft und ihrer nationalen Zugehörigkeit hätten das Buch gestärkt und nicht nur die Eliten erzählen lassen. Wahrscheinlich wären dann auch Gemeinsamkeiten hervorgetreten, die bei einer vergleichenden Kulturgeschichte auch Antworten auf gewachsene Strukturen oder Probleme geben würden, etwa: die Stellung von Frauen und Männern in den jeweiligen Gesellschaften, die Bedeutung religiöser Kultur, die Erziehung der Kinder, der Umgang mit „westlichem“ Einfluss (publizistischem und wirtschaftlichem) oder der Umgang mit den Naturressourcen.

So bleibt das Fazit gespalten. Einerseits liegt mit Hiros „Inside Central Asia“ ein Nachschlagewerk zur neueren Geschichte der besprochenen sieben Länder vor, andererseits hätte das gemeinsame Beschreiben kultureller oder politischer Phänomene beziehungsweise Ereignisse dem Anspruch des Buches besser Genüge getan. Auch die historische Tiefe fehlt einzelnen Abschnitten. Zwar leuchtet ein, warum der Iran und die Türkei aus machtpolitischen und religiösen Überlegungen mitberücksichtigt wurden, doch auch hier fehlt eine intensive Auseinandersetzung mit politischen und kulturellen Gemeinsamkeiten. Dennoch ist Hiro die Beschreibung der neuen regionalen Machteliten nach der Sowjetunion und deren Denken und Handeln in Zentralasien und darüber hinaus gelungen. Mit „Inside Central Asia“ liegt eine gut komponierte und leicht zu lesende Einführung in die neuere Politikgeschichte Zentralasiens vor. Eine Kulturgeschichte, wie sie im Titel des Buches angekündigt wird, ist dies allerdings nicht. Zu einzelnen – insbesondere historischen – Problemen sollten besser Detailstudien oder neuere Gesamtdarstellungen zu Rate gezogen werden.1

Anmerkung:
1 Manfred Sapper u.a. (Hrsg.), Machtmosaik Zentralasien. Traditionen, Restriktionen, Aspirationen, Berlin 2007 (zugleich: Osteuropa 8-9 (2007)); Jeff Sahadeo / Russell Zanca (Hrsg.), Everyday Life in Central Asia. Past and Present, Bloomington 2007; Tomohiko Uyama (Hrsg.), Empire, Islam, and Politics in Central Asia, Sapporo 2007; Bert G. Fragner / Andreas Kappeler (Hrsg.), Zentralasien. 13. bis 20. Jahrhundert, Geschichte und Gesellschaft, Wien 2006; Marie-Carin von Gumppenberg / Udo Steinbach (Hrsg.), Zentralasien. Geschichte, Politik, Wirtschaft. Ein Lexikon, München 2004.

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