J. J. Lennon: Pollution and Religion in Ancient Rome

Cover
Titel
Pollution and Religion in Ancient Rome.


Autor(en)
Lennon, Jack J.
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 229 S.
Preis
£60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Dreßler, Berlin

Kann die römische Religionsgeschichte auch insgesamt nicht als vernachlässigtes Forschungsfeld gelten, hat es die Frage, wie die Römer Reinheit und Unreinheit im religiösen Bereich definierten und handhabten, bisher nicht in den Mainstream des wissenschaftlichen Interesses geschafft. Sie ist nun Gegenstand der hier anzuzeigenden, aus einer Nottinghamer Dissertation hervorgegangenen Monographie des jungen britischen Althistorikers Jack Lennon.

Das Konzept der Unreinheit funktionierte auf mehreren Ebenen. Die religiös relevanten Verunreinigungen, um die es Lennon geht, basierten zuerst einmal auf allgemeinen Vorstellungen von ‚rein‘ und ‚unrein‘, wie sie das menschliche Leben insgesamt prägen. Wie Lennon mit Bezug auf einschlägige Konzepte der anthropologischen Forschung herausarbeitet, war in erster Linie der Körper, vor allem der menschliche, aber auch der tierische, Quell von Unreinheit (S. 4–14). Schmutz lässt sich als „matter out of place“ (S. 5)1 beschreiben, und dabei ging es vor allem um Körperflüssigkeiten aller Art, die nicht da waren, wo sie hingehörten, nämlich im Körper. Im weiteren Sinne spielte die Integrität des menschlichen Körpers eine wesentliche Rolle: Blut und alles, was den Körper sonst noch verließ, war unrein; ebenso war der Zerfall des Körpers von Verstorbenen ein Quell der Unreinheit. Geschlechtlicher Umgang wiederum konnte die Integrität des Körpers gleichsam von außen gefährden und daher ebenfalls als unrein gelten. Der weibliche (gegebenenfalls auch der männliche) Körper konnte dabei sinnbildlich zugleich für die Reinheit bzw. Unreinheit der Familie und der Gesellschaft insgesamt stehen (S. 5f., 72 und 85). Den Vorstellungen von Reinheit und Unreinheit unterliegen also zugleich Vorstellungen von – körperlicher, moralischer und sozialer – Ordnung und Unordnung (S. 5).

Die Gefahr, die für die Römer mit religiöser Unreinheit verbunden war, lässt sich auf zwei Ebenen ausmachen. Zum einen war sie ansteckend: Wer mit ihr in Kontakt kam, wurde selbst unrein. So mussten etwa Henker und Bestatter, die mit Blut und Tod hautnah in Berührung kamen, weitgehend außerhalb der normalen Gesellschaft leben (S. 146–155). Zum anderen war Unreinheit unter allen Umständen aus dem Bereich des Religiösen fernzuhalten (S. 44–47). Den Göttern war jede Art von Unreinheit in ihren Tempeln und Heiligtümern zuwider. Unreine Menschen sollten daher auch keine religiösen Riten vollziehen. Andernfalls stand das Wohlwollen der Götter auf dem Spiel: Epidemien, Naturkatastrophen, innere Zweitracht und Niederlagen im Krieg konnten die Folge sein. Konzepte wie ‚rein‘ und ‚unrein‘ dienten dabei zugleich der Abgrenzung zwischen dem profanen und dem religiösen Bereich.

Zwar ließ sich Unreinheit durchaus vermeiden. Menstruation und Geburt (beides mit dem ‚unkontrollierten‘ Verlust von Körperflüssigkeiten verbunden, S. 58–61 und 81–88) sowie Geschlechtsverkehr sollten nur außerhalb von Heiligtümern stattfinden; die Vestalinnen sollten keusch bleiben (S. 69–72). Auch gewaltsames Blutvergießen innerhalb der Bürgerschaft war ein Quell von Unreinheit, nicht nur für die, die töteten, sondern auch für das Gemeinwesen insgesamt, dies war daher unbedingt zu vermeiden (S. 128–133). „Notwendiges“ Blutvergießen – das Töten von Feinden im Krieg (S. 122–128) oder das Opfern von Tieren für die Götter (S. 100–109) – war durch spezielle Rituale streng vom Bereich des alltäglichen Lebens abzugrenzen.

Andererseits war aber religiöse Unreinheit, so wie die Römer sie verstanden, mit den natürlichen Vorgängen des menschlichen Lebens notwendig verbunden. Um die damit einhergehenden Gefahren zu bannen, brauchte es daher wirkungsmächtige Rituale: „The removal of such ‚stains‘ and the restoration of religious order was frequently achieved through ritual acts of purification, whether through the use of cleansing agents such as fire, water or sulphur, through prayer and sacrifice, or through the removal of an offending object beyond the boundaries of the society“ (S. 16). Nicht nur die möglichen Quellen von Unreinheit in der Vorstellungswelt der Römer, sondern auch die vielfältigen rituellen Gegenmaßnahmen, im religiösen wie im privaten Leben, werden von Lennon ausführlich geschildert.

Der Hauptteil der Untersuchung beschäftigt sich mit der literarischen Überlieferung, in der die römische Konzeptualisierung von Reinheit und Unreinheit zu greifen ist. Nach einer ausführlichen Einleitung, die vor allem einen Überblick zur anthropologischen wie altertumswissenschaftlichen Forschung gibt, stellt das erste Kapitel das lexikalische Material vor, mit dem Unreinheit im römischen Kontext bezeichnet wurde. Lennon zeigt, dass es einen einzelnen zentralen Begriff – anders als im Griechischen míasma – nicht gab. Außerdem hatten viele der verwendeten Termini „no direct religious implications, but may be used to evoke images of physical staining which can be transposed onto a religious situation“ (S. 15). In Kapitel 2 behandelt Lennon Sexualität, Geburt und Menstruation, in Kapitel 3 das Vergießen von Blut – von Opfertieren, aber auch im Krieg und durch Mord – als mögliche Quellen von Unreinheit. Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Umgang der Römer mit dem Tod. Besonders die Unreinheit des verstorbenen Körpers war aus dem Bereich der Lebenden zu ‚entfernen‘, die Hinterbliebenen und das Haus durch verschiedene Rituale zu reinigen.

Kapitel 5 zeigt am Beispiel von Ciceros Polemik gegen Clodius, vor allem seiner Rede „De Doma Sua“, wie die Vorstellungen von Unreinheit auch im rhetorischen Diskurs und der politischen Auseinandersetzung geformt wurden. Zwar basierte die Annullierung der Weihung, mit der Clodius Ciceros Grundstück auf dem Palatin der Göttin Libertas übertragen hatte, formal auf einem rein rechtlichen Argument (S. 170). Cicero bemühte sich aber in seiner Rede ebenso um den Nachweis, dass Clodius durch seine unmoralische Lebensführung – für die sich exemplarisch auf den Bona-Dea-Skandal verweisen ließ –, aber auch sein politisches Handeln, bei dem ihm keine der geheiligten Institutionen der res publica und ihrer Vertreter heilig gewesen seien, ein moralisch und religiös durch und durch unreiner Mensch sei und schon deshalb die Weihung keinerlei Legitimität für sich beanspruchen könne. Das Konzept religiöser Unreinheit konnte also ohne Weiteres auf den moralischen Bereich ausgeweitet werden. Zugleich war die Definition von dem, was rein und was unrein war, keineswegs objektiv und ein für allemal gegeben, sondern wurde diskursiv ausgehandelt (S. 187) – und konnte eben deshalb auch instrumentalisiert werden.

Das behandelte Quellenmaterial stammt in erster Linie aus der Zeit der späten Republik und des frühen Prinzipat. In vielen Texten spielt dabei auch die römische Frühgeschichte eine wichtige Rolle, wobei das Bild, das die Autoren davon entwerfen, vor allem der Vorstellungswelt ihrer eigenen Zeit entspricht. Konzepte der vergleichenden Anthropologie spielen allerdings im weiteren Verlauf der Untersuchung keine so große Rolle, wie nach der Einleitung zu erwarten gewesen wäre.2 Ein Nachteil ist dies jedoch nicht. Die Untersuchung läuft so an keiner Stelle Gefahr, vermeintlich allgemeingültige Konzepte unreflektiert auf den römischen Kontext zu übertragen. Lennon geht den umgekehrten Weg: Aufbauend auf einer umfassenden Auswertung des verfügbaren Quellenmaterials rekonstruiert er die römischen Vorstellungen zum Thema der Reinheit und der Unreinheit systematisch aus den Praktiken und Texten, in denen sie zum Ausdruck kommen. „The central aim of this study“, so Lennon, „was to provide a comprehensive examination of the key forms of impurity that existed in ancient Rome“ (S. 4). Dieses Ziel hat er mit seiner – auch literarisch gelungenen – Darstellung sicher erreicht und damit eine Lücke in der Forschung zur römischen Religion gefüllt.

Anmerkungen:
1 Lennon bezieht sich hier auf die Arbeit von Mary Douglas, deren „classification of dirt as ‚matter out of place‘ […] suggested both a ‚set of ordered relations and a contravention of that order‘“ (S. 5).
2 So heißt es auf S. 4: „In particular this study aims to integrate theories derived from anthropological research, where the subject has received more widespread consideration, with the traditions and approaches of classical scholarship.“

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