J. P. Tomás: Un lugar para la ciencia

Titel
Un lugar para la ciencia. Escenarios de práctica científica en la sociedad hispana del siglo XVI


Autor(en)
Pardo Tomás, José
Reihe
Materiales de Historia de la Ciencia 11
Anzahl Seiten
112 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nikolaus Böttcher, Freie Universität Berlin Email:

Wie schon aus dem Titel der herausgebenden Institution und schließlich der Publikationsreihe hervorgeht, handelt es sich um einen Beitrag zur Wissens- bzw. Wissenschaftsgeschichte. Diese Forschungsdisziplinen, die bereits seit dem 19. Jahrhundert existieren, haben sich erst in den letzten Jahrzehnten von historistischen Ansätzen freigemacht und im Sinne der modernen Geschichtswissenschaft emanzipiert. So laufen in Deutschland derzeit verschiedene Projekte zur Wissensgeschichte, von denen im Kontext des hier zu besprechenden Werkes vor allem die an der FU Berlin angesiedelte Forschergruppe „Topik und Tradition“, die sich mit der Generierung und Instrumentalisierung von Wissen beschäftigt, hervorzuheben ist.1

Und damit kommen wir schon zur Hauptkritik am vorliegenden Band. Zu beanstanden ist das fast vollständige Fehlen eines theoretischen Unterbaus, eines methodischen Ansatzes, der die Einordnung des Themas in sein historisches Umfeld ermöglicht. Die Bedeutung von „ciencia“ und deren Produktion und Verwaltung werden nirgends problematisiert; ebenso wenig wird die Rolle des frühabsolutistischen spanischen Staates im 16. Jahrhundert untersucht, der Wissen innovativ zu lenken und zu verwenden verstand, um die christliche Gesellschaft neu zu ordnen. Somit bleiben wichtige Fragen etwa nach der Form, Organisation, Überlieferung und Generierung gelehrten Wissens, seiner Neustrukturierung, Neuordnung, Normierung und Inventarisierung im frühneuzeitlichen Spanien zu wenig berücksichtigt. Auch in Bezug auf das spanische Kolonialreich, das im dritten Abschnitt des Buches behandelt wird, bleiben abstraktere Fragestellungen im Hintergrund.

Zum Inhalt: Der Band von José Pardo Tomás teilt sich in drei Abschnitte, denen selbst für den knappen Umfang des Buchs (112 Seiten) eine äußerst kurze Einleitung voransteht, die kaum über eine inhaltliche Skizzierung des Bandes hinausgeht. Anhand von drei ausgewählten Institutionen an verschiedenen Schauplätzen wird die Generierung von Wissen im Spanien des 16. Jahrhunderts beschrieben. Die medizinische Fakultät der Universität von Salamanca, die Akademie für Mathematik in Madrid und verschiedene naturwissenschaftliche Sammlungen über die „Indias“ in Sevilla sind die gewählten loci, an denen Wissenschaft betrieben und Wissen akkumuliert wurde.

Nach einem Überblick über das Entstehen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Universitäten in Europa gibt Pardo Tomás eine Einführung in die verschiedenen Fakultäten spanischer Universitäten und schildert anschließend den Studiengang Anatomie in Salamanca. Es folgen Exkurse über die Galenus-Rezeption sowie biographische Notizen zu wichtigen Persönlichkeiten des Lehrkörpers. Am Ende des Kapitels wird der dem hohen Standard anderer europäischer Universitäten wie Leiden ebenbürtige Hör- und Seziersaal in Salamanca geschildert. Aber der Vergleich mit anderen europäischen Universitäten zeigt auch zwei gegensätzliche, aber charakteristisch spanische Konstanten des 16. Jahrhunderts: nämlich dass einerseits der Einfluss der italienischen Renaissance (eben nicht nur in Malerei und Dichtung, sondern auch in der Medizin) von eminenter Bedeutung war und dass andererseits sich die allgegenwärtige spanische Inquisition stark auf dem Bildungssektor (nämlich in die Lehrpläne der Universitäten) einmischte. Aber auch dieser wichtige Punkt wird nicht vertieft.

Im zweiten Abschnitt wird der Zusammenhang zwischen Wissensproduktion und Staatsinteresse deutlicher. Pardo interpretiert die Madrider Akademie für Mathematik als Bestandteil naturwissenschaftlicher Forschung am von der Renaissance geprägten Hof Philipps II. Es zeigt sich, dass mathematische Forschung mit kosmographischen, geographischen und navigatorischen Untersuchungen verzahnt war und diese Disziplinen wiederum im Dienste der Verwaltung des Habsburger Weltreiches standen. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Fachleute auf diesen Gebieten von der Casa de Contratación und vom Consejo de Indias, den wichtigsten Behörden des Mutterlandes für die Kontrolle des Kolonialreichs, herangezogen wurden.

Private naturwissenschaftliche Sammlungen stellten wichtige Begegnungsstätten für den geistigen Austausch im frühneuzeitlichen Spanien dar. Der dritte Abschnitt stellt verschiedene Formen wie Kabinette, Wunderkammern und Gärten vor, die das Wissen der Zeit sammelten und ausstellten. Meist wurden solche Einrichtungen von Adligen in Auftrag gegeben und finanziert, um Forschung und Austausch von Wissenschaftlern zu ermöglichen. Auch hier wurde Vorbildern der italienischen Renaissance nachgeeifert. Es erstaunt nicht, dass in Sevilla besonderes Interesse an Objekten aus Flora und Fauna der amerikanischen Kolonien bestand. Auch in diesem Kapitel bleibt die Narration im Vordergrund.

Aus Pardos Ausführungen ist, in der Tradition auch moderner spanischer Geschichtsmonographien, eine überaus detailreiche und informative Studie entstanden, die aber eben ohne eine präzise wissenschaftsrelevante Einordnung auszukommen versucht. Ein Blick auf die verwendete Literatur zeigt, dass Pardo eine konzise Synopse der spanischsprachigen Forschung vorgelegt hat. Allerdings machen die offensichtlich eher nur zur Orientierung ausgewählte, mit zwei Seiten überaus knappe Auswahl an bibliographischen Hinweisen und das Fehlen jedweder Quellenangabe deutlich, dass der Band höchstens eine erste Hinführung zur Wissenschaftsgeschichte bieten möchte, für die aktuelle Forschung aber wenig Neues leistet. Was hier vorliegt, ist eine Art virtueller „Besuch“, wie Pardo Tomás selbst seine Beschreibungen nennt, der ausgewählten Szenarien. Es werden durchaus interessante punktuelle Einblicke in die Wissenschaftslandschaft der Weltmacht Spanien zur Zeit Philipps II. gewährt, leider aber geht die Monografie nicht darüber hinaus.

Als Ausblick sei gestattet aufzuzeigen, in welche Richtung die Beschäftigung mit „(s)ciencia“ gehen könnte und welches Potential im bearbeiteten Thema (verborgen) liegt: Die Untersuchung von Form und Prozess der Organisation, Überlieferung und Generierung gelehrten Wissens in „Spanien“ am Übergang vom Mittelalter und Früher Neuzeit steht noch aus. Was initiierte den Wissenswandel? Welches Potential eröffnete diese Umstrukturierung? Wie und von wem wurde neues Wissen autorisiert? Wie stellte sich der gesellschaftliche Wandel dar, der durch die Neustrukturierung von Wissen initialisiert wurde?

Anmerkung:
1 Vgl. Schmidt-Biggemann, Wilhelm, Topik. Tradition und Erneuerung, in: Frank, Thomas u.a. (Hrsg.), Topik und Tradition, Berlin 2007, S. 15-27.

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