T. Großbölting: Industrie- und Gewerbeausstellungen

Titel
"Im Reich der Arbeit". Die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790-1914


Autor(en)
Großbölting, Thomas
Reihe
Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 21
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
518 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfram Kaiser, Universität Portsmouth

Gewerbe- und Industrieausstellungen waren ein zentrales Phänomen der Industrialisierung im langen 19. Jahrhundert. Ab 1851 kamen die Weltausstellungen hinzu, von denen allerdings bis zum Ersten Weltkrieg keine in den deutschen Staaten bzw. im Deutschen Reich stattfand, später dann die Kolonialausstellungen. Diese Ausstellungen sind vielfach wissenschaftlich untersucht worden. Dies geschah anfangs aus einer primär technik- und wirtschaftsgeschichtlichen Perspektive, von Evelyn Krokers Buch über die Montanindustrie des Ruhrgebiets auf den Industrie- und Weltausstellungen1 über Ingeborg Cleves Arbeit zu Kulturpolitik als Wirtschaftspolitik in Frankreich und Württemberg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts2 bis zu Barbara Wolbrings Studie über die Selbstdarstellung der Firma Krupp3, nicht zuletzt auf Industrie- und Weltausstellungen. Die letztgenannten Bücher waren bereits bemüht, kultur- und kommunikationsgeschichtliche Aspekte mit wirtschaftsgeschichtlichen zu verbinden. Der „cultural turn“ hat sich in diesem Forschungsfeld inzwischen so weit fortgesetzt, dass die neuesten Arbeiten über die Gewerbe-, Industrie- und Weltausstellungen diese aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive als Räume kultureller Repräsentation und kommunikativer Verhandlung untersuchen, wie im deutschsprachigen Raum zuletzt Volker Barth mit seinem Buch, das sich einzig der Weltausstellung in Paris 1867 widmet.4

In diesem Kontext ist Thomas Großböltings Studie über die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen zwischen 1790 und dem Ersten Weltkrieg entstanden, die ursprünglich als Habilitationsschrift an der Universität Münster eingereicht wurde. Dabei werden in einer etwas engen nationalgeschichtlichen Auslegung solche Ausstellungen als „deutsch“ berücksichtigt, die auf dem Territorium des späteren kleindeutschen Reichs stattfanden. Neben zeitgenössischen Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften verschiedener Provenienz hat Großbölting besonders in Archiven und Museen in Berlin (Preußen) und im Rheinland und Westfalen Quellen erschlossen und für diese Studie berücksichtigt. Sie ist in vier Hauptkapitel gegliedert: eine ausführliche Einleitung mit einer Einführung in die Literatur und methodische Fragen, die den Charakter einer Qualifikationsarbeit widerspiegelt; Kapitel B, das sich dem „Medium“ der Ausstellung, der Entwicklung der Gewerbe- und Industrieausstellungen und ihren Funktionen widmet; Kapitel C zu Ausstellungen als „soziale und kulturelle Praxis“ und Kapitel D zu Themen der Ausstellung, nämlich der Repräsentation von Arbeit, industriellem Fortschritt und Kunstgewerbe und Kunst.

Mit Recht weist Großbölting darauf hin, dass einzelne Industrie- und Gewerbeausstellungen mit bis zu acht Millionen mehr Besucher anzogen als manche „Weltausstellung“ in kleineren Staaten und dass sie vielfach größeren „publizistischen Widerhall“ in den deutschen Staaten fanden – jedenfalls im Vergleich zu den kleineren Weltausstellungen. Wie diese machten auch die Industrie- und Gewerbeausstellungen „Deutungsangebote“ und waren „Erfahrungsorte“ (S. 11) für technischen Fortschritt und die entstehende Konsumgesellschaft und Freizeitindustrie. Die Deutungsangebote waren zunächst in den 1840er-Jahren sowie vor allem nach der Reichsgründung stark von der Nation als „Ordnungsmuster“ (S. 412) geprägt. Vorstellungen von „deutscher Arbeit“ und „deutschem Stil“ (S. 413) prägten die Darstellung des sozialen, ökonomischen und sozialpolitischen „Fortschritts“. Die Ordnungsvorstellungen der Gewerbe- und Industrieausstellungen wurden dabei stark von deren Klassifizierung, ihrer eigenen räumlichen „Ordnung der Dinge“ (S. 198) unterstützt. Die Organisatoren nutzten die räumliche Gliederung und die Anleitungen für die Besucher zur visuellen Wahrnehmung der ausgestellten Gegenstände und Informationen dazu, für ihren eigenen Blick auf die Industrialisierung und gesellschaftliche Transformationsprozesse zu werben. Dazu zählte nicht zuletzt eine Form der Repräsentation von Arbeit und Arbeitsprozessen, die handwerkliche Tätigkeit in den Mittelpunkt stellte und die zunehmende Lohnarbeit der Industriearbeiter und soziale Spannungen und Ungleichheiten kaum thematisierte.

Diese und andere kulturgeschichtliche Aspekte der Industrie- und Gewerbeausstellungen diskutiert Großbölting vor dem Hintergrund einer profunden Literaturkenntnis streckenweise sehr detailgenau. Verbindungen zu außerdeutschen Industrieausstellungen und zu den Weltausstellungen, zum Beispiel hinsichtlich der architektonischen Inszenierungsformen, werden adäquat rekonstruiert. Wenngleich Großbölting die „soziale Praxis“ thematisiert, also wie Besucher die Ausstellungen erfuhren, sahen und interpretierten, bleibt die Studie jedoch klar auf die Rekonstruktion der kulturellen Repräsentationsformen konzentriert. Wie auch im Falle des jüngst erschienenen Buches von Barth dürfte das wenigstens teilweise daran liegen, dass diese Dimension der Ausstellungen quellenkritisch viel besser zu erschließen ist als deren Rezeption. Insofern teilt diese Studie jedoch auch eine wesentliche Schwäche dieser Form der Kulturgeschichte des Wirtschaftlichen und Politischen: Sie neigt nämlich dazu, Repräsentation implizit als weitgehend statisches, nicht dynamisches Phänomen zu beschreiben, und zu stark den vermeintlich konsensualen Charakter der Ausstellungen als Kommunikationsräume zu betonen. Viele der neuesten Forschungen zu den Weltausstellungen widmen sich dagegen Fragen des (transnationalen) Kultur- und Politiktransfers in räumlicher und diachroner Perspektive und thematisieren vor allem den Verhandlungscharakter dieser Kommunikationsräume, das heißt alternativen Lesarten der intendierten Botschaften, subversiven Diskursen und der Organisation von Gegenöffentlichkeiten. Möglicherweise erlaubten die Weltausstellungen aufgrund ihrer staatlichen und kulturellen Fragmentierung pluralistischere „Verhandlungen“ über solche Themen wie Industrialisierung, Arbeit und Fortschritt als die deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen. In jedem Fall erschließt sich die eigentliche historische Relevanz der Ausstellungen erst durch eine genauere Analyse der gesellschaftlichen Wirkungsmacht der Repräsentationsformen und „Botschaften“.

Anmerkungen
1 Kroker, Evelyn, Die Weltausstellungen im 19. Jahrhundert. Industrieller Leistungsnachweis, Konkurrenzverhalten und Kommunikationsfunktion unter Berücksichtigung der Montanindustrie des Ruhrgebietes zwischen 1851 und 1880, Göttingen 1975.
2 Cleve, Ingeborg, Geschmack, Kunst und Konsum: Kulturpolitik als Wirtschaftspolitik in Frankreich und Württemberg (1805-1845), Göttingen 1996.
3 Wolbring, Barbara, Krupp und die Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert: Selbstdarstellung, öffentliche Wahrnehmung und gesellschaftliche Kommunikation, München 2000.
4 Barth, Volker, Mensch versus Welt. Die Pariser Weltausstellung von 1867, Darmstadt 2007.