M. E. Wiesner-Hanks: Early Modern Europe

Cover
Titel
Early Modern Europe, 1450-1789.


Autor(en)
Wiesner-Hanks, Merry E.
Erschienen
Anzahl Seiten
495 S.
Preis
€ 32,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Renate Dürr, Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel

Die Bachelor-Studiengänge mit ihrer größeren Verbindlichkeit an überprüfbaren Wissensbeständen vergrößern den Markt für Einführungen aller Art, mit denen sich die Studierenden, aber letztlich natürlich auch die Lehrenden einen schnellen Überblick über das Studium sowie über bestimmte Teilgebiete des jeweiligen Faches verschaffen können. Selten jedoch habe ich eine Einführung gelesen, die so leichtfüßig und dennoch so reflektiert daher kommt, dass man es beinahe zur Entspannung lesen kann und zugleich eine zum Teil explizite, zum Teil aber auch nur implizite Erörterung der neueren Forschungsdebatten erhält. Darum wünsche ich dem hier vorzustellenden Band von Merry E. Wiesner-Hanks auch in Deutschland eine große Leserschaft, obwohl es für deutsche Studierende natürlich schade ist, dass alle – auch die zahlreichen deutschen – Quellenexzerpte ins Englische übersetzt worden sind.

Wiesner-Hanks Überblick über die europäische Geschichte zwischen 1450 und 1789 ist Band 3 einer neuen, in der Cambridge University Press erscheinenden Reihe: "The Cambridge History of Europe". Als erster fertig gestellter Band setzt er Maßstäbe, an denen sich nun auch die folgenden zu orientieren haben werden. Er wendet sich an Studierende der ersten Semester, die im Verlaufe des Textes wie in einer Vorlesung auch immer wieder direkt angesprochen werden. Gedacht ist das Buch als Begleitlektüre zu einem Einführungskurs "Europäische Geschichte", das kapitelweise einen Überblick über verschiedene Aspekte europäischer Geschichte, zentrale Forschungszugänge sowie Quellen der jeweiligen Epoche bietet. Zahlreiche Abbildungen, Tabellen und Quellenzitate in eigenen Kästen machen die Lektüre abwechslungsreich und die Benutzung der Einführung übersichtlich. Für die weitere Vorbereitung zuhause sind unter der Website <http://www.cambridge.org/wiesnerhanks> zu jedem Kapitel zusätzliche Informationen abrufbar. Hier finden die Studierenden weitere übersetzte Quellenausschnitte, weiterführende Links sowie zusätzliche Literaturhinweise.

In der Einführung erörtert Wiesner-Hanks zunächst die Begriffe "Europa" und "Frühe Neuzeit", "moderne" wie "vormoderne Geschichte" und geht auf die Quellen für die Geschichte der Frühen Neuzeit ein, was in diesem Zusammenhang eine kurze Einführung in die Geschichte des Buchdrucks bedeutet. Sie geht von einer klaren Differenz zwischen "früher" und "später" Früher Neuzeit aus, was sich in der Struktur des Buches festmacht, das in äußerlich gleichlautenden Kapiteln jeweils zwischen einer Epoche "1450-1600" und einer Epoche "1600-1789" unterscheidet. Merry Wiesner-Hanks begreift darüber hinaus die europäische Geschichte als Teil einer Weltgeschichte, indem sie vor und nach den einzelnen Phasen jeweils Kapitel einfügt, die sie "Europe in the world" (Kap. 1, 7, 13) überschreibt. Innerhalb der jeweiligen Unterepoche widmet sich jeweils ein Kapitel den Debatten über "Individuals in society" (Kap. 2 und 8), "Politics and power" (Kap. 3 und 9), "Cultural and intellectual life" (Kap. 4 und 10), den Entwicklungen von Religion und Frömmigkeit (Kap. 5 und 11) sowie schließlich den Zusammenhängen von "Economics and technology" (Kap. 6 und 12). Die einzelnen Kapitel beginnen stets mit einer kurz kommentierten Abbildung, die in einen der thematischen Schwerpunkte des Kapitels einführt. Anschließend finden sich zumeist einige Daten in einer sehr knappen Zeitleiste. Darauf folgt eine prägnante, in der Regel vor allem auf Forschungskontroversen eingehende Zusammenfassung der wichtigsten Entwicklungen, die anschließend dann auf jeweils rund 30 Seiten noch einmal ausführlich dargestellt werden. Wiesner-Hanks hält sich mit eigenen Kommentaren zu den Forschungsdebatten sehr zurück, so dass sie die Positionen meist sehr allgemein charakterisiert, fast ein wenig zu unspezifisch in der Art: "some scholars" sähen das so, "others" dagegen… (S. 118, 124, 150-151, 159, 219 und öfter). Zwischen den Zeilen wird jedoch deutlich, dass Merry Wiesner-Hanks zwar die Diskussionen um den linguistic turn, die Diskursanalyse und die Postmoderne zur Kenntnis genommen hat, selbst jedoch stärker von dem Begriff der Erfahrung und der agency einzelner Menschen ausgehen möchte. Dementsprechend berichtet sie einfach über weite Strecken – einer Einführung für Studienanfängerinnen und -anfänger durchaus angemessen – von den wichtigsten Ereignissen dieser drei Jahrhunderte und beschreibt die zentralen Entwicklungen und Veränderungen im Denken und Handeln von Männern wie Frauen unterschiedlicher Schichten und Stände, Orte und Regionen. Das führt zu einer sehr farbigen Sprache und einer überaus lebensnahen Konkretion der meisten Schilderungen. Ihr Anspruch, die vielfältigen Tendenzen abzubilden und möglichst zahlreiche Einblicke in unterschiedliche Bereiche zu geben, bedeutet allerdings zugleich, dass das Buch über weite Strecken mit jedem Absatz ein neues Beispiel gibt, einen neuen Namen, einen anderen Ort, ein weiteres Land. Das könnte – gerade für Studienanfänger – auch wieder verwirrend erscheinen. Doch gelingt es Wiesner-Hanks damit zweifellos, so viele Männer und Frauen zu Wort kommen zu lassen, wie das in Einführungen sonst kaum üblich ist.

Interessanterweise werden in den einzelnen Kapiteln – trotz der Brüche, von denen Wiesner-Hanks ausgeht – die Kontinuitäten zwischen den Epochen recht stark betont, was sich in zahlreichen Rück- und Vorgriffen zeigt. Dies gilt besonders für die Kapitel über die europäische Expansion, die Entwicklungen in Literatur, Malerei und Musik sowie das religiöse Leben. In anderen Kapitelpaaren dagegen sind die Diskontinuitäten vor allem durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen festzumachen. So besteht das Kapitel über "Individuals in society" für die Zeit zwischen 1450 und 1600 auf der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lebensphasen der Menschen in der Frühen Neuzeit und fragt nach dem in diesen Lebensphasen gegebenen Handlungspotential für Männer wie für Frauen. Für die Jahre 1600-1789 dagegen gibt Wiesner-Hanks eine brillante Einführung in den Umgang mit dem Körper, verstanden als politischer Körper sowie als der zu reglementierende, zu sezierende oder zu heilende menschliche Körper. Auch über sexuelle Praktiken, Verhütung und Kindsmord wird hier berichtet. In ähnlicher Weise beruht ein Großteil des Kapitels "Politics and power" für die erste Phase auf der Schilderung des Söldnerwesens. Für die zweite Phase diskutiert Wiesner-Hanks dagegen vor allem den Absolutismusbegriff. Sehr erfreulich ist dabei, dass die jeweils über einige Seiten erstellten Geschichten der einzelnen Länder auch die nord- und osteuropäischen Länder betreffen. Die jeweils hinter einer solchen Akzentverschiebung stehende Konzeption von Wandel erschließt sich aus diesen Kapitelpaaren allerdings nur sehr indirekt.

Über die vielfältigen Facetten aller Kapitel auch nur annähernd Auskunft zu geben, würde den Rahmen jeder Rezension sprengen. Sicherlich gibt es immer wieder überraschende Entscheidungen, so etwa, wenn im Kapitel über die religiösen Erneuerungsbewegungen (Kap. 11) nach den Unterkapiteln über Pietismus, Spiritualismus, die böhmischen Brüder und die Methodisten sowie den Entwicklungen im Bereich des orthodoxen Christentums plötzlich ein Abschnitt über die Hexen erscheint (gefolgt im Übrigen von den Unterkapiteln "Judaism" und "Islam"). Aber insgesamt überzeugt dieser Überblick durch seinen gleichzeitig umgesetzten Anspruch auf Herausstellung der großen Linien und Bezugnahme auf das diese Linien durchaus auch konterkarierende Einzelne vollkommen. Es sei möglichst vielen Studierenden ans Herz gelegt – den Studienanfängern wie auch denen, die schon einige Semester hinter sich haben.

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