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Titel
Das Gegendenkmal. Avantgardekunst, Geschichtspolitik und Geschlecht in der bundesdeutschen Erinnerungskultur


Autor(en)
Tomberger, Corinna
Reihe
Studien zur visuellen Kultur 4
Anzahl Seiten
362 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tanja Schult, Södertörns högskola, Stockholm

Corinna Tomberger fragt in ihrer Dissertation danach, wie die verschiedenen, an der Entstehung und Rezeption eines Denkmals beteiligten Akteure Bedeutungen produzieren. Dazu analysiert sie zwei Beispiele: das „Harburger Mahnmal gegen Faschismus, Krieg, Gewalt – Für Frieden und Menschenrechte“ (1986) von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz sowie den „Aschrottbrunnen“ in Kassel von Horst Hoheisel (1987). Mit Hilfe diskursanalytischer und semiologischer Theorien zeigt sie ausführlich, wie durch die Auftraggeber, die Künstler und die Kommentatoren in der Lokalpresse sowie in der überregionalen Fachliteratur den Denkmälern Bedeutungen zugeschrieben wurden und werden. Sie legt offen, wie die Argumentationen der politischen Entscheidungsträger und insbesondere der Künstler, aber auch von der kunsthistorisch geschulten Fachwelt, weitgehend unreflektiert übernommen werden.

Tombergers Verdienst ist es, eine umfassende Materialsammlung zu den ausgewählten Denkmälern zusammengetragen zu haben, darunter unveröffentlichtes Aktenmaterial und Berichte der Lokalpresse. Letzteres ist besonders hervorzuheben, da der lokale Kontext in den bisherigen kunstwissenschaftlichen Studien zu diesen und anderen Denkmälern oft vernachlässigt worden ist. Tomberger hat sich der Mühe unterzogen, die oft komplizierten Zuständigkeits- und Entscheidungsprozesse der am Denkmal Beteiligten aufzuzeigen. Sie untersucht die parteipolitischen Konflikte und Bestrebungen, sich über das jeweilige Denkmalvorhaben zu profilieren. Diese Konflikte verweisen auf die gesellschaftspolitische Dimension, die Denkmälern auch im multimedialen Zeitalter zukommt. Allerdings wäre es leserfreundlicher gewesen, wenn die Komplexität der Ereignisse – ähnlich wie es dann in der Zusammenfassung geschieht – stärker systematisiert worden wäre.

Wie Tomberger zeigt, wichen beim Harburger Denkmal die Nutzungsweisen von den Erwartungen und Intentionen der Künstler ab. Nach der Einweihung waren die Bürger aufgefordert, die Bleiummantelung des 12 Meter hohen Pfeilers mit ihrer Unterschrift zu signieren und dadurch ein Zeichen gegen Faschismus zu setzen. Die beschrifteten Teile des Pfeilers wurden nach und nach in den Boden versenkt. Diese künstlerische Lösung richtete sich gegen die traditionelle Form vieler Denkmäler, indem sie die gebräuchliche Vertikale zwar aufnahm, diese aber nach Partizipation der Öffentlichkeit im Boden versinken ließ. Damit verweigerten sich die Künstler einerseits der tradierten Formensprache der Denkmalkunst, die im 20. Jahrhundert vielfach ideologisch missbraucht worden war. Vor allem aber verweigerten sie den Anspruch auf Dauerhaftigkeit, der den meisten Denkmälern inhärent ist. Allerdings blieb ein Teil des Pfeilers auch nach der Absenkung, wie geplant, durch ein Fenster eingeschränkt sichtbar.

Während das Konzept insofern aufging, als sich die Öffentlichkeit beteiligte und der Pfeiler im Laufe von sieben Jahren versenkt werden konnte, schmückten die Besucher das Denkmal nicht nur mit feinsäuberlichen Unterschriften. Sie bekritzelten den Bleimantel mit langen Schleifen und Linien oder schrieben rechtsradikale Parolen und Symbole darauf. In dieser Situation fanden die Künstler sowie die politisch Verantwortlichen neue Deutungsmuster (S. 67ff.). Jeder, der sich in irgendeiner Form gegen das Denkmal richtete, war dem Faschismus-Verdacht ausgesetzt oder wurde bezichtigt, die NS-Zeit verdrängen zu wollen (auch wenn die Kritzeleien anscheinend überwiegend unpolitisch waren). Die künstlerische Avantgarde fungierte als „Aufbewahrungsort freiheitlich-demokratischer Tradition“ (S. 309), doch ging sie dabei rigide, ja undemokratisch vor, indem sie „die Akzeptanz des Denkmals zum einzig möglichen Ausdruck einer wahrhaft demokratischen Haltung“ erklärte (S. 310, S. 73ff.).

Ein wichtiger Grund für Tombergers Auswahl der Werke in Harburg und Kassel war die „ihnen attestierte Vorbildhaftigkeit“ (S. 303) als typische Gegendenkmäler: „Immer wieder ist den beiden genannten Denkmälern bescheinigt worden, paradigmatisch für eine neue Form künstlerischen Gedenkens an den NS-Genozid zu sein.“ (S. 9) Tomberger verdeutlicht das Spannungsverhältnis, dass der künstlerischen Avantgarde stets Autonomie zugesprochen wird, dass auch Gegendenkmäler aber fast ausnahmslos Auftragswerke und daher von politischen Entscheidungsträgern abhängig sind. Der Autorin zufolge war die Entscheidung für die beiden Denkmäler in Harburg und Kassel nicht in erster Linie von inhaltlichen oder formalen Kriterien geleitet, sondern in beiden Fällen Ausdruck des politischen Willens der Verantwortlichen, Kunst als Standortfaktor für die überregionale Imagepflege einzusetzen.

Darüber hinaus jedoch wurde mit den beiden Denkmälern die „Werkgattung rehabilitiert und so erneut für den politischen Kontext verfügbar“ gemacht (S. 20). Anerkennend nennt Tomberger auch die hochgradig interaktive Komponente des Harburger Mahnmals – als etwas, was zuvor „vollkommen unüblich“ war (S. 57). Ferner verweist sie darauf, dass es bis in die 1980er-Jahre wenige künstlerische Arbeiten im öffentlichen Raum gab, die die Erinnerung an die NS-Zeit „konkret ortsbezogen“ umsetzten (S. 211). Dennoch kommt Tomberger zu dem Ergebnis, dass es den beiden ausgewählten Gegendenkmälern nicht gelungen sei, alternative Deutungsmodelle zu entwickeln: „Sie erweisen sich keineswegs, wie die bisherige Forschung glauben ließ, als Gegendenkmäler in dem Sinne, dass sie die traditionellen Denkmalfunktionen zu überwinden vermögen.“ (S. 323) Auch wenn der allgemeine Titel des Buchs dies vermuten lässt, findet sich darin leider kein vertiefender Überblick zur Entwicklung des Genres „Gegendenkmal“.

Als weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit versteht Tomberger die geschlechtergeschichtliche Perspektive. Auch durch mehrfaches Wiederholen dieser These wird der Vergleich von Denkmälern mit dem männlichen Geschlechtsorgan allerdings nicht einleuchtender. Generell erscheinen mir die unterschiedlichen, als geschlechtergeschichtlich verstandenen Lesarten der Deutungsproduktionen zu weit entfernt von den Werken selbst und auch durch die sie umgebenden Diskurse nicht hinreichend belegbar. Tomberger interpretiert die „Versenkung der aufgerichteten Vertikalen, des phallisch codierten Signifikanten“ als „Verlust sowohl einer väterlichen Identifikationsfigur als auch eines machtvollen Nationalstaates“, indem sein „Gegenüber, die weiblich konnotierte Wunde [...] als eine Art Aufbewahrungsort [fungiert], der die beschädigte Männlichkeit birgt und zu erneuern verspricht“ (S. 326). Die Denkmäler seien als „Ort einer Selbstverständnisdebatte der politischen Linken“ zu verstehen. Aber warum sich dieses Angebot „vornehmlich an männliche Altersgenossen der 1940 und 1944 geborenen Künstler – und den männlichen Teil jener NS-Nachgeborenen, die als 68er-Generation respektive Kriegskindergeneration gefasst werden“, richten soll (S. 329), bleibt unverständlich. Laut Tomberger dienten die beiden ausgewählten Denkmäler „einer politisch-kulturellen Elite zur Selbstversicherung und Verständigung über Männlichkeit“ (S. 330). Sie könnten aber auch als Wunde des deutschen Kollektivs gelesen werden, die das NS-Regime hinterlassen habe (S. 319), sowie als „Wunde [der] metaphorisierte[n] deutsche[n] Teilung“ (S. 319, S. 322).

Die Gefahr der Überinterpretation ist bereits zu Beginn des Buches angelegt. In den theoretisch-methodischen Überlegungen schreibt Tomberger, dass sie „Spekulationen gezielt als methodisches Verfahren [einsetzt], um aus den Äußerungen der jeweiligen AkteurInnen mögliche Motive und Intentionen abzuleiten und unterschiedliche Varianten gegeneinander abzuwägen“ (S. 35). Dies ist nicht plausibel – weder wenn es um die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichten der Denkmäler geht noch um die Motive der beteiligten Politiker oder Künstler. Insbesondere die Deutungsversuche, die aus den Künstlerbiographien abgeleitet werden, bleiben spekulativ und setzen indirekt jene Überhöhung von Künstlerpersönlichkeiten fort, die Tomberger selbst kritisiert.

Der Nachweis unterschiedlicher, sich im Zeitverlauf wandelnder Bedeutungszuschreibungen an Denkmäler ist durchaus interessant, bleibt aber unbefriedigend, da Tomberger den Bereich der möglichen, von den Werken selbst ausgehenden Bedeutungen nicht durch eigenständige Werkanalysen eingrenzt und konkretisiert. Eine allein auf Denkmalsdiskurse gerichtete Perspektive kann methodisch nicht überzeugen. Tombergers berechtigte Kritik an einer Kunstpublizistik, die oftmals bloß die Aussagen von Künstlern übernimmt, sollte gerade dazu anhalten, fundiertere Maßstäbe zu entwickeln.

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