O. Rathkolb u.a. (Hgg.): Mit anderen Augen gesehen

Cover
Titel
Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955-1990. Österreichische Nationalgeschichte nach 1945, Bd. 2


Herausgeber
Rathkolb, Oliver; Maschke, Otto M.; Lütgenau, Stefan August
Reihe
Sonderreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 2
Erschienen
Anzahl Seiten
909 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ingrid Böhler, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck

Erstmals liegt mit dem hier besprochenen Sammelband, für den die Stiftung Bruno Kreisky Archiv im Rahmen eines Projekts Vor- und Zuarbeiten leistete, ein umfassendes Werk zur Außenpolitik der Zweiten Republik vor. HistorikerInnen mit Ambitionen über die Geschichte der jüngeren österreichischen Außenpolitik zu schreiben, werden dem Herausgeber-Trio dafür dankbar sein. Dass sich auch noch künftige AutorInnen im Forschungsfeld Verdienste erwerben können, ergibt sich aus der Konzeption des Bandes.

Da ist – erstens – die Fokussierung auf „den Abschnitt der aktiven Neutralitätspolitik nach 1955 mit besonderer Betonung des Zeitraumes der 1960er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre“ (S.XI). D.h., nicht nur die von Gerald Stourzh monumental dokumentierte Geschichte des Staatsvertrages, sondern auch die EG-Beitrittsverhandlungen sowie die von Februar bis September 2000 von den EU-14 gegen Österreich verhängten Sanktionen werden allenfalls gestreift.

Zweitens möchte das Buch die Außenbewertungen Österreichs – somit den Widerhall nationalen Geschehens oder auch österreichischer außenpolitischer Initiative – in der historischen Dimension erforschen. Oliver Rathkolb begründet diesen Ansatz mit der zunehmenden Bedeutung, die im von Globalisierung und Europäisierung geprägten Österreich den kollektiven Erinnerungen oder Sichtweisen des Auslands als Formungsfaktor österreichischer Identität zukommt (S. XII ff.). Die Einleitung verheißt damit einen sozialgeschichtlichen bzw. kulturwissenschaftlichen Zugang zur Außenpolitik; Distanz zu klassischer, mit dem Ruch des Konservativen behafteter Diplomatiegeschichte wird hergestellt. Weiterführende Untersuchungen bieten sich an, schließlich thematisiert der Band erst die auswärtigen Perzeptionen und noch nicht ihre Zusammenhänge mit innenpolitischen Vorgängen bzw. gesellschaftlichen Entwicklungen.

Selbstverständlich wird dem Blick der Nachbarstaaten, aber auch Moskaus und Washingtons, besondere Einflusskraft auf Österreich zugetraut. Entsprechend der Hochblüte global ausgerichteter Außen- und Neutralitätspolitik in den Kreisky-Jahren zwischen 1970 und 1983 finden sich unter den insgesamt 25 Artikeln außerdem Beiträge zur Rolle Österreichs im KSZE-Prozess, zu seiner Stellung bei den blockfreien Staaten oder seinem Image in Israel bzw. in der arabischen Welt.

Drittens: Aufgrund des vielfach fehlenden empirisch gesicherten Wissens (und daher auch wissenschaftlicher Experten) wurden als Autoren großteils ehemalige Diplomaten gewonnen. Dieses Faktum verschafft dem Buch seinen eigenen Charakter zwischen Primärquelle und Sekundärliteratur. Der Co-Herausgeber Otto M. Maschke, selbst jahrzehntelang im höheren Auswärtigen Dienst sowie als Autor einer systematischen, material- und detailreich erarbeiteten Studie zu holländischen Österreich-Bildern im Band vertreten, attestiert seinen ehemaligen Kollegen „untadelige patriotische Gesinnung“ (S. 417).

Diese Haltung legen sie auch als Autoren nicht ab. Bewertungen – wie sie etwa der langjährige Außenminister Peter Jankowitsch über den damaligen Generalsekretär bei den Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, oder die Versäumnisse österreichischer Außenpolitik hinsichtlich der blockfreien Staaten seit der 2. Hälfte der 1980er zumindest andeutet – sind keineswegs die Regel; ebenso die Offenheit, mit der Herbert Grubmayer auf Instrumentalisierbarkeit bzw. Widersprüche österreichischer Politik im Zusammenhang mit Syrien und dem Libanon aufmerksam macht. Mancher Beschreibung „heißer Eisen“ haftet dagegen etwas gar Allgemeines an, bei der dann auch die Akteure fehlen oder ein austrophober Journalist als Einzeltäter auftritt.

Unüberhörbar ist dennoch, dass die „Causa Waldheim“ in vielen Botschaften als diplomatischer Super-Gau erlebt wurde. Einmal mehr kommt der „Sonnenkanzler“ Bruno Kreisky auch als außenpolitische Lichtgestalt zu Ehren. Die bei Sammelbänden kaum vermeidbare Inhomogenität ist ausgeprägt. Die Texte changieren zwischen Fachaufsatz und persönlich gehaltener Schilderung. Wo Authentizität den Ton angibt, fehlen mitunter wissenschaftliche „Beigaben“ in Form von Literaturhinweisen und Quellenbelegen; die Herausgeber haben aber alle Länderstudien zumindest mit einer Chronologie der formalen bilateralen Beziehungen sowie einer Auswahlbibliografie versehen.

Vorgefundene und sich allenfalls wandelnde Beurteilungen Österreichs werden nicht immer auf ihre unterschiedliche Verbreitung bei Entscheidungsträgern, (gelenkten oder unabhängigen) Meinungsbildnern und öffentlicher Meinung hinterfragt bzw. nach diesem Kriterium getrennt. Bei den wenigen Fällen, wo v.a. die politische Ebene Berücksichtigung findet – und dort bestimmen meist handfeste Interessen und nicht Images das Geschehen –, stellt das Resultat eine konventionelle Zusammenfassung der bi- oder multilateralen Beziehungen dar. Atmosphärische Hintergründe und Perzeptionen der Öffentlichkeit bzw. dadurch ausgelöste Image-Verschiebungen bleiben dann unsichtbar.

Ein Beispiel hierfür bilden die Ausführungen des ehemaligen Botschafters in Rom, Emil Staffelmayr, zum Südtirol-Konflikt, dem jahrzehntelang dominanten Thema zwischen Italien und Österreich. Ihnen sind jedoch der Artikel des Sozialpsychologen Joe Berghold zum in der italienischen Gesellschaft vorherrschenden Österreichbild vorangestellt. Abgesehen von der Richtigstellung, dass es 1993 zu keinem Freundschaftsvertrag zwischen Italien und Österreich kam (S. 300 versus 312), erhellt die Konfrontation der beiden Texte die Unterschiede zwischen politik- bzw. diplomatiegeschichtlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Sie wirft gleichzeitig die Frage ihrer wechselseitigen Ergänzung auf. Ausgangspunkt ist das Motiv „Mitteleuropa“, dem bei beiden Autoren ein wichtiger Stellenwert für die Aussöhnung zwischen Italien und Österreich zukommt. Berghold führt die Wiederentdeckung italienischer Affinitäten für ein v.a. kulturell imaginiertes Mitteleuropa, die in den 1980ern zusammen mit einer Österreich-Nostalgiewelle auftauchten, als wichtige Etappe einer langfristigen atmosphärischen (die politischen Ereignisse antizipierenden) Verbesserung an.

Staffelmayr hingegen findet die Erklärung für das italienische Entgegenkommen, das zur offiziellen Beendigung des Südtirol-Streits im Jahr 1992 und zur Unterstützung Österreichs bei den EG-Beitrittsverhandlungen führte, in den machtpolitischen und wirtschaftlichen Zentraleuropa-Ambitionen Italiens. Österreich war in diesem Szenario ein entscheidender geostrategischer Brückenkopf.

Wie sieht „das Ausland“ Österreich? Das Buch gibt darauf viele Antworten und lässt sich dadurch auch als („Beicht“-)Spiegel für nationale Gewissenserforschung benützen. Z.B. zehrt die Zweite Republik vom verklärenden Glanz vergangener Geschichte und Geister, von Monarchie und Mozart. Nicht nur das Land selbst, auch die anderen erblicken in ihm eine Kulturnation. Das Ausland ist sich aber ebenso einig, dass Österreich mit seiner jüngeren Vergangenheit in einem ungeklärten Verhältnis lebt. Jenes internationale, weit über die engere Nachbarschaft hinaus reichende Ansehen, das Österreich Bruno Kreiskys aktiver Neutralitätspolitik verdankte, scheint langsam aufgebraucht. Umso mehr genießt Österreichs Sicherheitspolitik ein nachlässiges Image, so wie es speziell bei den „stammesverwandten“ Nachbarn im Rufe eines „Schlawiner-Staates“ steht.

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