R. v. Friedeburg u.a. (Hrsg.): Politik und Religion

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Titel
Politik und Religion: Eigenlogik oder Verzahnung?. Europa im 16. Jahrhundert


Herausgeber
von Friedeburg, Robert; Schorn-Schütte, Luise
Reihe
Historische Zeitschrift Beiheft 45
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
VI, 165 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Vogel, Facoltà valdese di teologia, Roma

Der vorliegende Sammelband enthält die Beiträge einer Sektion des Historikertages in Halle an der Saale von 2002. Zwar sind zwischen dem Kongress und der Drucklegung fünf Jahre vergangen, dies aber nimmt der Veröffentlichung nichts von ihrer Bedeutung. Konzeptionell verfolgt der Band zwei Zielrichtungen, von denen nur eine im Titel ausdrücklich erscheint, nämlich die klassische Frage nach dem Verhältnis von Politik und Religion in der frühen Neuzeit. Erörtert wird diese allerdings – und das ist die zweite Zielrichtung – in einer europäisch vergleichenden Perspektive, die sich von der Idee der nationalen Sonderwege zu lösen und eine „gemeinsame europäische Dimension“ (so in der Einleitung der Herausgeber, S. 7) zu entwickeln sucht. Forschungsgeschichtlich verknüpft sind beide Aspekte dadurch, dass sie das im späten 19. Jahrhundert entwickelte Bild der Reformationszeit als Wegbereiter der Moderne im Sinne einer Trennung von Politik und Religion und der Ausbildung territorialer Staatlichkeit modifizieren.

Damit treten die Herausgeber zugleich für eine Rehabilitierung des politischen Ansehens des Alten Reichs im 16. Jahrhundert ein. Während Religion und Politik in England autoritär von der Krone bestimmt blieben und in Frankreich die durch mehrere minderjährige Herrscher bedingte zwischenzeitliche Schwäche des Königtums zu einem langen Religionskrieg führte, blieben Krieg und gewaltsame Durchsetzung des herrschaftlichen Willens im Reich eher Ausnahmen: „Die Überformung der durch die Reformation entstandenen Konfliktlage durch rechtsförmige Verfahren, durch Anstände, Ausgleiche, Verträge, und die auf diese Verfahren einwirkenden Diskussionen der Juristen und Theologen, scheinen von einer anderen Welt“ (Einleitung, S. 12). Dieser Vergleich wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, dass Kaiser Karl V. dort, wo er unmittelbar herrschte (in den Niederlanden), einen durchaus anderen Stil pflegte.

An erster Stelle unter den Aufsätzen steht ein Beitrag von Luise Schorn-Schütte, der für das Luthertum des 16. Jahrhunderts die „Verzahnung“ von Politik und Religion in der konkreten politischen Kommunikation untersucht. Deutlich wird dabei, dass man keineswegs aus Luthers normativer Unterscheidung der beiden „Reiche“ auf eine entsprechende Regierungspraxis schließen darf. Vielmehr arbeitet Schorn-Schütte einen Kreis theologischer „Politikberater“ heraus, die eng und auf Augenhöhe mit den juristischen Räten zusammenwirkten. Im Ernestinischen Sachsen gehörten zu ihnen – neben den Wittenberger Universitätstheologen, die regelmäßig durch ihre Gutachten in Erscheinung traten – auch bislang oft unterschätzte Personen wie Justus Menius oder Basilius Monner. Es folgt eine von Robert von Friedeburg verfasste Erörterung der territorialen Konzeption von Herrschaft im 16. und 17. Jahrhundert. Aus ihr geht hervor, dass der Augsburger Religionsfriede von 1555 mit der bekanntlich erst am Ende des Jahrhunderts in den Quellen erscheinenden Formel Cuius regio, eius religio nicht angemessen zusammengefasst ist. Vielmehr deutet der Religionsfriede Herrschaft noch traditionell als „Wahrnehmung einzelner Herrschaftsrechte“ (S. 33, Anm. 1, nach Ernst Schubert); erst in der Folgezeit entwickelt sich eine juristische Konzeption von „Landeshoheit“ (S. 45). Das herrschaftliche ius reformandi ging demnach der territorialen Konzeption voraus, bildete aber zugleich ein wesentliches Instrument für die Durchsetzung territorial definierter Herrschaft, „insofern es die Spreu vom Weizen trennte, zwischen denjenigen Gruppen im Reich unterschied, die es für sich beanspruchen konnten, und denen, die das nicht konnten“ (S. 48). Im Vergleich zum Absolutismus Englands und Frankreichs sei Herrschaft im Protestantismus des Alten Reichs im 17. Jahrhundert aber noch an naturrechtliche Konzeptionen gebunden geblieben, in deren Zentrum die custodia utriusque tabulae des Dekalogs stand. Insofern erscheint die Herrschaftskonzeption der lutherischen Reformation weder als Vorform des Nationalstaats des 19. Jahrhunderts noch als autoritärer „Sonderweg“, sondern als rechtlich gebundene Machtausübung.

Die zweite Hälfte des Bandes ist der Reformation in Frankreich und England gewidmet. Marc Greengrass geht dabei den Ursachen der Gewaltexzesse in der französischen Geschichte des 16. Jahrhunderts nach. Er folgt dabei der von Natalie Zemon Davis und anderen repräsentierten Forschungsrichtung, die religiösen Faktoren als Gewaltauslöser ernst zu nehmen und nicht durch hintergründige politische oder wirtschaftliche Motive zu relativieren. Für unzureichend erklärt er jedoch die These von Denis Crouzet, der 1990 die Gewaltsamkeit der französischen Religionskriege mit weit verbreiteten apokalyptischen Ängsten erklärte. Hierin, so Greengrass, unterschied sich die Bevölkerung Frankreichs nicht von der anderer europäischer Regionen (S. 86-88). Greengrass eigener Ansatz geht dagegen davon aus, dass die Gewalt durch das Aufeinanderprallen zweier grundverschiedener Konzeptionen von „Glaube“ mit jeweils gegensätzlicher ‚cultural structure’ und ‚cultural meaning’ (unter Aufnahme der von John R. Hall entwickelten Begrifflichkeit) verursacht worden sei. Die Gewaltsamkeit der Auseinandersetzungen in Frankreich war demnach dadurch bedingt, dass mit Katholizismus und Calvinismus zwei religiöse Systeme aufeinanderstießen, die auf eine geschlossene und einheitliche kulturelle Umsetzung zielten – und deshalb nach Greengrass auch als „Ideologie“ bezeichnet werden könnten (S. 82). Ein weiterer Faktor war nach Greengrass, dass Calvin in Verfolgungssituationen – neben der Emigration – das Vorbild der Märtyrer, also das Erleiden obrigkeitlicher Gewalt, empfahl. Gerade die Martyrien delegitimierten aber aus protestantischer Sicht die weltliche Gewalt und rechtfertigten damit wiederum gewaltsamen Widerstand (S. 85f.). Fraglos sind dies anregende Überlegungen. Auch für sie gilt allerdings, dass sie nur bedingt erklären können, warum gerade Frankreich über Jahrzehnte zum Schauplatz von Religionskriegen wurde. Vielleicht bewährt sich an dieser Stelle bislang doch am ehesten die bereits erwähnte politikgeschichtliche Perspektive mit ihrem Verweis auf die zwischenzeitliche Schwäche der Zentralinstanz des Königtums.

Die letzten beiden Beiträge, verfasst von Ralph Houlbrooke und Martin Ingram, befassen sich mit der Reformation in England. Houlbrooke beschreibt die englische Reformationsgeschichte aus der Perspektive einer permanenten, manchmal fruchtbaren Spannung zwischen reformwilligen, ja „visionären“ Theologen und einer ausgesprochen konservativen Regierungspraxis, die in der Religionspolitik vor allem auf maximalen Einfluss der Krone auf die Kirche zielte und darin zum Bruch mit dem Papst getrieben wurde. Ein dezidiertes religiöses Konzept, freilich im gegenreformatorischen Sinne, schreibt Houlbrooke allein Mary I. (1553-1558) zu. Komplementär zu diesem Beitrag sind die Ausführungen Ingrams, die sich der Frage widmen, inwiefern die reformatorischen Maßnahmen sich in der Frömmigkeit der Bevölkerung niederschlugen. Dabei schlägt er einen Bogen von der Kleruskritik der vorreformatorischen Periode, die sich oft an den (nicht sonderlich zahlreichen) Fällen sexueller Inkontinenz entzündete, über die durchgehende Schwächung der traditionellen Frömmigkeit in den 1530er-Jahren (S. 135f.) und eine Phase sozialrevolutionärer Unruhe unter Edward VI. (S. 145f.) bis hin zur allmählichen Etablierung einer spezifisch anglikanischen Frömmigkeit unter Elisabeth I. Letztere wurde am Ende des 16. Jahrhunderts von der großen Mehrheit der Bevölkerung geteilt und umfasste, neben einem deutlichen Antikatholizismus, ein Erwählungsbewusstsein als „God’s chosen people“.

Sowohl in der europäisch-vergleichenden Perspektive als auch in der Erörterung des Widerstandsrechts liest sich die vorliegende Veröffentlichung als fruchtbare Ergänzung des im Jahre 2005 ebenfalls von Luise Schorn-Schütte herausgegebenen Sammelbands über das Interim.1 Beide Bände revidieren die Troeltsch-Webersche Wertung des konfessionellen Protestantismus als Hemmfaktor der Modernisierung, indem sie auf die in diesem Kontext betonte Rechtsbindung von Herrschaft sowie auf Optionen legitimen Widerstands für den Fall verweisen, dass der Herrscher die custodia utriusque tabulae missachtete. Gerade diese „konservative“ Interpretation herrschaftlicher Autorität ist als Vorläufer moderner Rechtsstaatlichkeit zu würdigen.

Anmerkung:
1 Luise Schorn-Schütte (Hrsg.): Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 203), Heidelberg 2005. Vgl. auch Lothar Vogel: Rezension zu: Schorn-Schütte, Luise (Hrsg.): Das Interim 1548/50. In: H-Soz-u-Kult, 16.06.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-2-193>.

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