Cover
Titel
Wiedervereinigungen während und nach der West-Ost-Blockkonfrontation. Ursachen der Teilung, Grundlagen der (fehlenden) Einheit untersucht an den Fallbeispielen Vietnam, Jemen, Deutschland, China und Korea


Autor(en)
Cieslik, Thomas
Reihe
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectumverlag, Politikwissenschaften 10
Erschienen
Anzahl Seiten
387 S.
Preis
DM 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Roesler

Das Ende der Ost-West-Konfrontation im Ergebnis des Zusammenbruchs des sowjetischen Herrschaftssystems führte nicht nur zur Befreiung der meisten sozialistischen Länder von Diktatur und Planwirtschaft, sondern veränderte auch die Weltkarte: Es kam zu Zusammenschlüssen von bis dahin durch einen „eisernen Vorhang“ getrennten Ländern und zu Teilungen von Staaten, die Jahrzehntelang als stabil gegolten hatten. Es war also nicht verwunderlich, wenn Sozialwissenschaftler – Politologen und Historiker vor allem – sich nach 1990 dieses Phänomens annahmen.

Da die Sozialwissenschaftler der vom „Vereinigungsgeschehen“ betroffenen Länder vor allem mit der Analyse der „eigenen“ Trennung bzw. Vereinigung beschäftigt waren, blieb es zunächst weltpolitisch bzw. universalgeschichtlich orientierten Wissenschaftlern aus Drittländern vorbehalten, die sich aus den territorialen Veränderungen ergebenden politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüche länderübergreifend auszuwerten. Dabei forderte die Zahl der Fälle, vor allem aber ihre geographische, ethnische, wirtschaftliche und soziale Verschiedenheit, - die es übrigens den Beteiligten so erscheinen ließ, als handele es sich just in ihrem Fall um einen einmaligen, unverwechselbaren Vorgang - , dazu auf, sich des Instruments des historischen Vergleichs zu bedienen. Da nach 1989 die Häufigkeit der Teilungen – man denke nur an die Aufsplitterung Jugoslawiens und der Sowjetunion – die Zahl der Vereinigungen bei weitem übertraf, wurde von den interessierten Wissenschaftlern der Variante „Scheiden“ größere Aufmerksamkeit gewidmet als der Variante „Vereinigen“. Bereits 1991 fragte der Amerikaner Allen Buchanan nach der Moral politischer Scheidung von Staaten. Ein Jahr später befasste Milica Bookman sich mit den wirtschaftlichen Ursachen und Folgen von Länderauflösungen.

In gegebenen Kontext verwundert es nicht, wenn die von Vereinigung bzw. Teilung Betroffenen geraume Zeit benötigten, über den Tellerrand ihres eigenen Landes zu schauen. So war es im Falle Deutschlands nicht verwunderlich, dass die vergleichende wissenschaftliche Forschung zum Thema erst ein Jahrzehnt nach der dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik einsetzte und auch nicht, dass es sich dann um internationale Vergleiche von Vereinigungen handelte. Während Jörg Roesler in seinem 1999 erschienenen Buch Vereinigungen entsprechend seiner Charakteristik des deutschen Falles unter dem Aspekt des „Anschlusses“ auswählte, hat Thomas Cieslik diese Auswahl – einem anderen Charakteristikum des deutschen Falles entsprechend - unter der Klammer „Wiedervereinigung“ vorgenommen.

Ausgehend von diesen Wiedervereinigungen interessiert Cieslik sich für bereits vollzogene oder angestrebte Wiedervereinigungen von Staaten, die nach 1945 im Ergebnis der Systemkonfrontation eine separate Entwicklung hatten. So lässt sich die manchem Leser auf den ersten Blick vielleicht willkürlich erscheinende, auf jeden Fall aber bunte Zusammenstellung von „Wiedervereinigungsfällen“, die er untersucht, erklären.
Mit seiner Veröffentlichung hat sich Thomas Cieslik die Aufgabe gestellt, die Frage zu beantworten, ob es fallübergreifende Ähnlichkeiten in den untersuchten Wiedervereinigungsprozessen gibt, oder ob sie nach unterschiedlichen Mustern ablaufen. Dazu war es notwendig, alle Fälle nach einer gleichlautenden Matrix danach abzufragen „welche Faktoren des Ost-West-Konfliktes letzten Endes ausschlaggebend für erfolgte oder noch nicht erfolgte Wiedervereinigung sind“.(S. 22).

Auf Grund der von ihm ermittelten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der fünf Wiedervereinigungen unterscheidet Thomas Cieslik zwei Gruppen: China (bezogen auf Teiwan)und Korea befinden sich auf der einen, Deutschland, Vietnam und Jemen auf der anderen Seite. Aus Ciesliks Fragestellung geht hervor, dass er die Ursachen für die Wiedervereinigung weniger in der Politik der beiden jeweils getrennten Staaten, als in internationalen Konstellationen, vor allem im Kampf der Supermächte um Einflussbereiche sieht. Dieses Herangehen entspringt aus seiner These, dass die „äußere“ Wiedervereinigung vor allem „Begleitprodukt internationaler Rahmenbedingungen“ und deren Veränderung ist. (S. 244).

Insofern ist bei Cieslik die Entwicklung zur Vereinigung nicht in erster Linie das Resultat von „Wandel durch Annäherung“, sondern von „Annäherung durch Wandel“. China und Korea lagen - seit den 60er Jahren – am Rande des Konfrontations- und teilweise auch des Einflussbereichs der beiden Supermächte USA und UdSSR. Der Kollaps der Sowjetunion führte nicht automatisch dazu, dass die Region Ostasien machtpolitisch völlig in den Einflussbereich der USA geriet. Die Vereinigten Staaten müssten erhebliche, hinsichtlich ihres Ergebnisses kaum kalkulierbare Anstrengungen unternehmen, um eine Vereinigung zugunsten „ihrer“ Teilstaaten durchzusetzen. Die übrig gebliebene Supermacht ist deshalb nach Cieslik in Ostasien eher am Status quo interessiert und überlässt auch die „äußeren“ Wiedervereinigungsbemühungen weitgehend den jeweiligen beiden Verhandlungspartnern.

Die „inneren“ Bemühungen um Wiedervereinigung sind, davon geht Cieslik im Konsens mit anderen Vereinigungsforschern aus, mit dem juristischen Zusammenschluss der vorher separaten Teilstaaten noch längst nicht erledigt. Im Unterschied zur „äußeren“ wird die „innere“ Wiedervereinigung „vom stärkeren Regime autonom bestimmt“. (S. 244). Ausdruck dieser Tatsache sei, dass im Falle der realisierten Wiedervereinigung in drei untersuchten Fällen - Deutschland, Jemen und Vietnam - nach einer kurzen Phase der Systemparallelität in den sich vereinigenden Gebieten – der stärkere Teil den schwächeren „absorbiert“ habe. (Cieslik vermeidet in diesem Zusammenhang den in Deutschland gebräuchlicheren Begriff „Anschluss“).

Als wichtigstes Kriterium für die Absorption sieht Cieslik die Übernahme der Verfassung des stärkeren Teilstaates durch den schwächeren an. Dieser Schritt wurde sowohl in Deutschland als auch in Vietnam getan. In Jemen scheiterte die Verwirklichung einer neuen, gemeinsam erarbeiteten Verfassung nach einiger Zeit am Übergewicht des Nordens gegenüber dem Süden. Die Ergebnisse der Wiedervereinigung sieht Cieslik kritisch. Nicht nur sind die Aufwendungen zur Herbeiführung der wirtschaftlichen und sozialen Einheit weitaus größer gewesen, als während des Vereinigungsprozesses erwartet. Nicht nur ist der Angleichungsprozess noch längst nicht abgeschlossen. Auch sei es in keinem Falle bisher gelungen die „innere Einheit“ herzustellen; hauptsächlich, weil die Vereinigung keine Fusion, sondern eine Absorption war. Ciesliks bemerkenswertem „Modell für eine optimale Wiedervereinigung“ liest sich - auch für den deutschen Fall – wie eine Zusammenstellung von Unterlassungssünden.

Um zu seinen Ergebnissen zu gelangen, musste Cieslik das gesamte Methodenwerk der vergleichenden Geschichtsforschung bemühen. Bei der historischen Komparistik handelt es sich um ein anspruchvolles, nicht einfach zu handhabendes Genre der Geschichtsforschung. „Vergleichen ist schwer und erfordert besondere Anstrengungen. Es setzt umfangreiches Wissen voraus, häufig auch besondere sprachliche Kompetenz und vor allem: breite, nicht allzu spezialisierte Fragestellungen“. Das schrieb einer der profiliertesten deutschen „vergleichenden Historiker“, Jürgen Kocka, im Jahre 1993. Thomas Cieslik, Jahrgang 1972 , ist ein noch sehr junger Historiker. Dass es ihm gelungen ist, das komplizierte Wiedervereinigungsthema zu bewältigen, zeugt von seiner Begabung auf dem schwierigen Gebiet der historischen Komparistik.

Natürlich gibt es aus der Sicht des Rezensenten zu Ciesliks Buch auch kritische Bemerkungen. Diese betreffen jedoch nicht die angewandten Methoden, die gewonnenen Erkenntnisse und gezogenen Schlussfolgerungen, sondern seine Art und Weise der Darlegung. Die angewandten Methoden sind in der Darstellung noch zu sehr sichtbar und wirken teilweise aufgesetzt. Es entsteht manchmal der Eindruck, dass der jeweilige Vereinigungsfall in das Prokrustesbett einer bestimmten Fragestellung gezwungen wird. Vielleicht hätte man auch dem Narrativen, z.B. zur Darstellung der Interessen der verschiedenen Klassen und Schichten am Vereinigungsprozess, mehr Raum geben sollen. Jedoch: Cieslik vermerkt mit der gnadenlosen Präzision, die seine Analyse auszeichnet. „Das Volk hat in der Regel keine direkte und unmittelbare Möglichkeit, die Vereinigung zu legitimieren.“ (S. 244).

Es ist ein wenig schade, dass Ciesliks Buch nicht bereits einige Jahre früher erschienen ist, als anlässlich des 10. Jahrestages der deutschen Wiedervereinigung Publizistik und Wissenschaft sich noch einmal sehr breit der Vereinigungsproblematik und den Vereinigungsfolgen widmeten. Das vorliegende Buch ist in der Lage, dem damals blühenden Subjektivismus strenge Beurteilungskriterien entgegenzusetzen. Da aber die von BRD und DDR 1990 vollzogene Wiedervereinigung den Deutschen weiterhin Probleme bereiten wird und die nächsten runden Jahrestage unvermeidlich kommen, soll abschließend gesagt werden: Für jeden, der dann zur Feder greift, wäre es einen Gewinn, Ciesliks Buch vorher gelesen zu haben.

Allan Buchanan, Secession. The Morality of Political Divorce form Fort Sumter to Lithuania and Quebec, Westview Press, Boulder/San Francisco/Oxford 1991.
Milica Zarkovic Bookman, The Economics of Secession, St.- Martins Press, New York 1992.
Jörg Roesler, Der Anschluss von Staaten in der modernen Geschichte. Eine Untersuchung aus aktuellem Anlass, Peter Lag, Frankfurt/M./Berlin/Bern/Brüssel/New York/Wien 1999.
Jürgen Kocka, Comparative Historical Research: German Examples, in: International Review of Social History 38/1993, S. 374.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension