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Titel
Karl Griewank (1900-1953). Ein deutscher Historiker im "Zeitalter der Extreme"


Autor(en)
Kaiser, Tobias
Reihe
Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 23
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang E. J. Weber, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg

Wie haben sich diejenigen Wissenschaftler, zu deren professionellem Anspruch es traditionellerweise gehört, die Zeitläufe am besten verstehen und sich deshalb am besten in ihnen kritisch einrichten oder sie sogar beeinflussen zu können, in der Epoche der stärksten Umbrüche der neuzeitlichen deutschen Geschichte verhalten? Dieser spannenden Frage geht die vorliegende, unter der Betreuung von Hans-Werner Hahn entstandene, 2004 in Jena angenommene geschichtswissenschaftliche Dissertation nach. Sie beruht auf einer ungewöhnlich breiten Quellengrundlage und beleuchtet anhand einer die lebens- und die werkgeschichtliche Dimension verknüpfenden Untersuchungskonzeption den Fall eines heute kaum mehr bekannten Lehrstuhlinhabers.

Karl Griewank stammte, auch wenn sein Vater Arzt war, aus dem Milieu des evangelischen Pfarrhauses. Als im Jahr 1900 Geborener gehörte er der von Ulrich Herbert so genannten „Generation der Sachlichkeit“ an, ohne jedoch deren vorwiegend antiliberale, völkisch-rassistische und in diesem Rahmen aktivistisch-pragmatische Prägung zu teilen. Der Besuch des Realgymnasiums – statt eines humanistischen – war wohl eher äußeren Umständen geschuldet, ebenso die Annahme zunächst einer Hauslehrerstelle nach dem Studium in Göttingen, Leipzig, Rostock und Berlin. Die Promotion erfolgte Ende 1922 in Rostock. Sein auch in der Selbsteinschätzung eigentlicher Lehrer und Förderer wurde Willy Andreas, dessen politischer Weg vom ‚Vernunftrepublikaner’ und ‚Herzensmonarchisten’ seit den ausgehenden 1920er-Jahren zunehmend deutlicher nach rechts führte. Von 1924 bis 1926 war Griewank als Lokalreporter in Berlin tätig. Anschließend folgte als entscheidende Weichenstellung die durch den akademischen Lehrer vermittelte Übernahme einer Referentenposition bei der damaligen Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, der späteren Deutschen Forschungsgemeinschaft. Dank seines Organisationstalentes, Engagements und seiner kommunikativen Begabung behielt er diese Anstellung nicht nur bis zur Jenaer Professur im Oktober 1946 bei, sondern stieg auch informell zum zweitwichtigsten Repräsentanten der finanziell wie politisch in schwierigen Gewässern segelnden Fördergemeinschaft auf. Von seinem Lehrer teilweise massiv betriebene Professurenprojekte ließen sich dagegen nicht realisieren. Auch bei der Berufung nach Jena spielten glückliche Umstände eine wesentliche Rolle.

Zwar war Griewank nachweislich seit 1919/20 demokratisch orientiert und von der braunen Ideologie nur sehr punktuell erfasst worden. Auch schätzte man den um unvoreingenommene Wahrheitssuche bemühten, liberalen, professionell ausgewiesenen, in der akademischen Selbstverwaltung und Universitätspolitik engagierten sowie auch akademisch erfolgreichen Lehrer zunächst allseits. Dennoch geriet der als „bürgerlicher Objektivist“, „Kosmopolit“ und schließlich „Reaktionär“ Beschimpfte schon bald in den Malstrom der Stalinisierung ostdeutscher Universitäten und Wissenschaft. Obwohl von einzelnen westdeutschen Historikern zumindest mangelnden Widerstands dagegen verdächtigt, wurde ihm im Frühjahr 1953 noch die Stelle des hauptamtlichen Sekretärs der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angeboten. Griewank scheiterte indessen mit seinem Versuch, sich dafür formell in der DDR beurlauben zu lassen oder eine legale Ausreise mit allem Besitz zu erreichen. Diesen Rückschlag konnte der mittlerweile an fast allen Fronten bedrängte, bereits über 50jährige nicht mehr verkraften; er verfiel in eine Depression und beging Selbstmord.

Der Autor weist Griewanks „abgerissen[es] und unvollendet[es]“ Werk (S. 433) überzeugend als im Kern traditionell politikgeschichtlich aus, wenngleich es über Friedrich Meinecke und Erich Marcks ideengeschichtlich erweitert und im Fall der bekanntesten Monographie über den „Neuzeitlichen Revolutionsbegriff“ (1955 posthum erschienen) sogar kulturhistorisch innovativ war. Aufgrund seiner Beanspruchung durch die DFG-Tätigkeit konnte Griewank allerdings nur vergleichsweise wenig publizieren, und seine Themen blieben mit wenigen Ausnahmen letztlich im von der Zunft abgesteckten Bereich. Auch seine Lehre und seine akademische Betreuung entsprachen eher der an den besseren Historischen Seminaren der Zeit geläufigen Praxis, wiewohl deren Vorzüge im Vergleich mit denjenigen Formen, welche die stalinistische Wissenschaft mit sich brachte, nachhaltige Würdigung verdienen. Ungewöhnlich dürften hingegen Griewanks Zivilcourage, seine Geradlinigkeit und sein taktisches Geschick in den zahlreichen Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern gewesen sein.

Tobias Kaisers nüchterne, ausgewogene und kritische, um elf zentrale Quellen, ein Lehrveranstaltungsverzeichnis und eine Zusammenstellung der Schriften Griewanks ergänzte Dissertation markiert ein neues Niveau historiographiegeschichtlicher Biographik. Sie ist weder eine intellektuelle Biographie, deren Ausblendung lebensgeschichtlicher Aspekte einschließlich von Karrierezusammenhängen, Netzwerken usw. heute wissenschaftsgeschichtlich kaum mehr zu überzeugen vermag und vielfach apologetisch konnotiert ist, noch eine antiquarische Materialanhäufung. Vielmehr werden konsequent reflektiert alle relevanten Bezüge zusammengeführt und zu einer durchweg überzeugenden Darstellung verdichtet. Zudem bietet sie eine Vielzahl bisher unbekannter Details, so etwa zu den Beteiligten an der Kampagne gegen Griewank im Jahr 1951, zu seinem Schülerkreis und zur historiographiegeschichtlichen Vereinnahmung des Gelehrten erst durch die DDR-Geschichtswissenschaft, dann in der Geschichtswissenschaft des heutigen Deutschland.

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