Titel
Nervenkitzel und Freizeitvergnügen. Automobilismus in Deutschland 1886-1914


Autor(en)
Haubner, Barbara
Erschienen
Göttingen 1998: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
225 S.
Preis
€ 5,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele Metzler, Seminar fuer Zeitgeschichte, Universität Tübingen

Wie stark der Einfluß der Technik auf wirtschaftliche Entwicklung, gesellschaftliche Formationen, kulturelle Deutungsmuster und individuelle Lebensweisen im späten 19. und 20. Jahrhundert war, läßt sich kaum irgendwo besser ablesen als an der Geschichte des Automobils. Es war ein Verkehrsmittel und stand doch stets als Chiffre für Modernität schlechthin - mitsamt all den positiven wie negativen Konnotationen, die sich damit verbanden. Die gesellschaftlich und kulturell zu verortenden Diskussionen über Automobilismus, welche den Aufstieg des Automobils von Anfang an begleiteten, sind deshalb ebenfalls als Teil seiner Geschichte zu lesen. In der Forschungsliteratur hat sich diese Sicht auf die Vielschichtigkeit des Phänomens "Automobilismus" längst etabliert, ohne daß freilich bereits eine alle Aspekte integrierende Darstellung vorliegt.

Auch die Studie von Barbara Haubner ist weit von einer Synthese entfernt. Sie beschäftigt sich mit den Anfangsjahren des Automobilismus in Deutschland; die zeitlichen Eckpunkte setzt sie 1886, dem Jahr der ersten Versuchsfahrten von Carl Benz und Gottlieb Daimler, und dem Kriegsausbruch 1914. Thema des Buches sind "die Auswirkungen der Motorisierung auf die Gesellschaft" (S. 13). Wie fielen die gesellschaftlichen Reaktionen auf das neue Verkehrsmittel aus, wer interessierte sich für das Automobil, wer verhalf ihm schließlich zum Durchbruch? Dies sind die zentralen Fragen, die Haubner untersucht.

Der Ausgangspunkt ist technikgeschichtlich gewählt. Haubner geht auf die technischen Vorläufer des Automobils ein, wie Dampfwagen oder erste Konstruktionen mit Verbrennungsmotor oder auch das Fahrrad, an dem bereits Möglichkeiten der Massenproduktion erprobt wurden und für dessen Bau manche Teile nötig waren, die später auch in der Automobilproduktion Verwendung fanden. Den technischen Durchbruch zum Automobil erzielten schließlich unabhängig voneinander Carl Benz sowie Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach, deren Biographien etliche Gemeinsamkeiten aufweisen: Alle stammten sie aus Handwerkerfamilien, durchliefen eine technische Ausbildung und betrieben selbständig kleine Werkstätten, in denen sie an der Konstruktion von Motoren arbeiteten. Als der Kapitalbedarf dieser Werkstätten stieg, wurden sie in Aktiengesellschaften umgewandelt. Im Laufe der Jahren entstanden daraus industrielle Großbetriebe, wie Haubner in ihrem zweiten, vornehmlich wirtschaftsgeschichtlich orientierten Großkapitel darlegt.

Die Wege zum wirtschaftlichen Aufstieg verliefen durchaus kurvenreich. Denn zunächst hatten die deutschen Automobilproduzenten Erfolg auf dem französischen Markt, wo das Automobil von Anfang an auf eine breitere Resonanz als in Deutschland stieß, wo es doch schließlich "erfunden" worden war. Von Frankreich und seiner starken Automobilindustrie gingen vor dem Ersten Weltkrieg kräftige Impulse für die deutsche Entwicklung aus, sei es, weil der Absatzmarkt jenseits des Rheines Wachstum beförderte, sei es, weil der Lizenzbau französischer Modelle neuen Unternehmern gute Startchancen gab. Um die Jahrhundertwende begannen schließlich die deutschen Produzenten, gegenüber den französischen Konkurrenten aufzuholen. Zwar konnten die Deutschen die Vorrangstellung Frankreichs, Großbritanniens und der USA nicht aufbrechen, doch waren die Zuwachsraten von Automobil- und Zuliefererindustrie vor dem Krieg bereits beachtlich. Die Automobilbranche schickte sich an, zu einem Leitsektor zu werden. Dazu trugen auch technische Innovationen bei, insbesondere Maybachs Mercedes-Konstruktion von 1901, mit der das Automobil, bis dahin noch an der Kutsche orientiert, "zu einer eigenständigen Form" fand (S. 65).

Gleichwohl, zu einem Massenprodukt wurde es vor dem Krieg nicht. In Deutschland war das Automobil in den ersten Jahren ein Luxusartikel, Statussymbol für wohlhabende Schichten, noch weit davon entfernt, große Verbreitung zu finden. Im Gegenteil: Breite Kreise der Bevölkerung standen dem neuen Verkehrsmittel ablehnend, ja feindlich gegenüber. Dem Automobil unter diesen widrigen Umständen zum Durchbruch zu verhelfen, war das Anliegen der entstehenden Automobilvereine, die Haubner im dritten Großkapitel vorstellt. In diesen Vereinen war der Großteil der Automobilisten organisiert. Dabei handelte es sich in der Regel um wohlhabende Männer - der Anteil von Frauen, falls sie überhaupt aufgenommen wurden, war verschwindend gering -, deren Interesse vornehmlich dem Motorsport galt; als Transport- und Verkehrsmittel für den Alltag wurde das Automobil noch kaum genutzt.

Am exklusivsten von diesen Vereinen war der "Deutsche Automobil-Club" (gegr. 1899), in dessen Reihen Adelige, Besitzbürger und Automobilindustrielle den Ton angaben und der sich durch hohe Mitgliedsbeiträge und strenge Aufnahmekriterien seine soziale Exklusivität zu bewahren verstand. Daß sozialer Status auch den Einfluß des Vereins bestimmte, belegt das Beispiel des "Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs" (gegr. 1903, unter diesem Namen seit 1911 tätig), der zwar mehr Mitglieder und eine breitere gesellschaftliche Basis als der DAC hatte, aber weit weniger einflußreich war.

All diesen Vereinen - Haubner stellt zudem den "Mitteleuropäischen Motorwagen-Verein" von 1897 und den "Allgemeinen Schnauferl-Club" von 1900 ausführlich vor - war das Ziel gemeinsam, Zentren der Geselligkeit für ihre Mitglieder zu sein, ihnen Hilfen aller Art zu bieten, die das Reisen in dem anfangs sehr unbequemen und unzuverlässigen Verkehrsmittel erleichtern und sicherer machen sollten (die Bandbreite reichte von Versicherungsangeboten bis zur Einrichtung von Tankstationen). Doch in erster Linie ging es darum, das Automobil zu popularisieren, Widerstände in der Bevölkerung zu überwinden und gesetzliche Strangulierungen - so empfanden es die ersten Automobilisten - zu lockern. Diesem Zweck dienten Automobil-Ausstellungen und Automobil-Rennen, Versuche, die Gesetzgebung durch intensive Lobbyarbeit zu beeinflussen, Verkehrsbedingungen zu verbessern und durch Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung sowie in den eigenen Reihen dem "Automobilhaß" den Boden zu entziehen, wie Haubner in ihrem letzten großen Abschnitt eingehend darlegt.

Der Erfolg blieb diesen Bemühungen nicht versagt. Bis zum Kriegsausbruch, deutlich dann vor allem in den zwanziger Jahren, hatten sich die Fürsprecher des Automobils durchgesetzt, und blickt man auf die motorisierte Gesellschaft der Bundesrepublik, so erweisen sich die Argumente, die von den Pionieren für das Automobil in die Debatten eingespeist wurden, als überaus wirkungsmächtig: Das Auto erlaubt und fördert Individualismus, es weckt Gefühle von Freiheit und Unabhängigkeit. Daß der Automobilindustrie in der deutschen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere aber der zweiten Nachkriegszeit, elementare Bedeutung zukommt, erhöht die gesellschaftliche Anerkennung des Autos noch obendrein.

Haubners Studie erhellt einige wesentliche Aspekte in der frühen Geschichte der deutschen Automobilisierung. Die Darstellung ist gut lesbar, die beigegebenen Orts-, Namens- und Sachregister sind in ihrer Ausführlichkeit ausgesprochen nützlich.

Indes, ihrem Anspruch, die gesellschaftliche Bedeutung des Automobils aufzuzeigen, vermag Haubner nur teilweise gerecht zu werden. Denn zu diffus bleiben in dieser Arbeit die gesellschaftlichen und kulturellen Deutungsmuster, die den Aufstieg des Automobils begleiteten. Überhaupt keine Beachtung schenkt die Autorin den geschlechterspezifischen Differenzen in der Automobilrezeption, obwohl die Technikgeschichte längst diverse Ansätze für geschlechtergeschichtliche Perspektiven zu bieten hat. Auch die Bedeutung nationaler Rivalitäten für die Entwicklung von Automobilindustrie und (auto-)mobiler Gesellschaft werden nicht deutlich genug herausgearbeitet. Zwar weist Haubner auf den Stellenwert mancher Autorennen (v.a. des Gordon-Bennett-Rennens) für das nationale Kräftemessen hin, doch beläßt sie es leider bei einer bloßen Beobachtung, an die sich durchaus Erwägungen zum Modernitätsverständnis und dessen Rolle in den Rivalitäten hätten anschließen können. Ob die Rolle der Vereine bei der Durchsetzung des Automobils wirklich adäquat eingeschätzt wird, läßt sich kaum beantworten, solange andere mögliche Erklärungsfaktoren, die im gesellschaftlich-kulturellen Bereich zu finden wären, nicht hinreichend untersucht sind. Eine wirklich umfassende Geschichte des frühen Automobilismus in Deutschland muß noch geschrieben werden.

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