D. Armitage: The Declaration of Independence. A Global History

Cover
Titel
The Declaration of Independence. A Global History


Autor(en)
Armitage, David
Erschienen
Anzahl Seiten
302 S.
Preis
€ 22,10
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Matthias Middell, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Produkt eines Aufenthaltes von David Armitage am Charles Warren Center for Studies in American History an der Harvard University, beruht diese Mischung aus Essay und Quellendokumentation auf der Durchsicht von mehr als 100 Unabhängigkeitserklärungen weltweit, die die zunächst sehr amerikanische Geschichte der Declaration of Independence zu einer gelungenen Fingerübung in global orientierter Historiographie machen.

Mit artifiziellen Begründungen der Globalität des berühmten Papieres, das die Unabhängigkeit der 13 Kolonien festschrieb, hält sich der Autor nicht lange auf, teilt aber immerhin so viel Anekdotisches mit, dass der irische Hintergrund des Druckers John Dunlap, die holländische Herkunft des Papiers, das über England nach Nordamerika geliefert worden war, sowie der Ursprung des Rohmaterials für das silberne Tintenfass in Mexiko oder Peru es klar werden, um an den verbreiteten Topos der im 18. Jahrhundert enger zusammenwachsenden atlantischen Welt erinnern zu können.

Nach diesen Abschweifungen in die materielle Welt, folgt eine Studie, die primär auf der Grenze zwischen Politik- und Ideengeschichte angesiedelt ist. Seine beiden zentralen Thesen entwickelt der Verfasser im ersten Teil.

Die Unabhängigkeitserklärung begründete ein neues Genre, das durch die Verflechtung dreier Textsorten gekennzeichnet war und sich deshalb als besonders wirkmächtig erweisen sollte: eine Erklärung der Unabhängigkeit von jeglicher anderen politischen Macht (wenn auch an späterer Stelle – S. 30 – durch den schönen Satz von der declaration of independence als einer declaration of interdependence relativiert); eine Erklärung der Rechte und schließlich einem politischen Manifest. Jede einzelne dieser Textsorten wäre durch die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts separat zu verfolgen, aber gerade das Changierende zwischen ihnen machte die Erklärung des 4. Juli 1776 zum Gründungstext. Demzufolge sieht der Verfasser auch kaum Belege für den Vorbildcharakter früherer Erklärungen, etwa jener des „Abfalls der Niederlande“, wie Zeitgenosse Schiller formulierte. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die Gründungsväter der USA die historischen Analogsituationen nicht gründlich betrachtet hätten. Entscheidend für die Neubegründung des Völker- und Staatenrechts wurde das Handbuch „The Law of Nation“ (1758) des Schweizer Juristen Emer de Vattel, der festgehalten hatte, dass jede Form der Selbstregierung, die frei von Abhängigkeiten gegenüber anderen Mächten sei, den Charakter eines souveränen Staates begründe. (S. 39) Hierauf beriefen sich nicht nur die Verfechter der amerikanischen Unabhängigkeit, sondern ihre europäischen Unterstützer, und schließlich erkannte die britische Krone genau augrund dieses Sachverhaltes 1783 die Unabhängigkeit auch tatsächlich an. Der Weg von der faktischen Unabhängigkeit über ihre juristische Proklamation zur völkerrechtlichen Anerkennung war damit vorgezeichnet, und noch viele Unabhängigkeitsbewegungen sollten ihn fortan gehen oder dies zumindest versuchen.

Die zweite These erklärt die Prominenz des Textes aus seiner strategischen Bedeutung für die moderne Weltgeschichte. Die Erklärung markierte die Passage von einer Welt der Imperien zu einer Welt der Staaten. Weniger ein (erst später akutes) nation-building nach innen als vielmehr die Abgrenzung im Prozess der state-formation nach außen sei das Anliegen der Autoren gewesen. Hierin folgten ihnen in den darauf folgenden zwei Jahrhunderten immer wieder historische Akteure, so dass im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts tatsächlich die Welt mit wenigen Ausnahmen von Staaten bedeckt wurde, die Souveränität über ihr Territorium und die Gestaltung der Lebens- und Rechtsverhältnisse ihrer Bürger beanspruchten. Die Auflösung der Sowjetunion, Jugoslawiens und die Teilung der Tschechoslowakei habe diesen Prozess faktisch vollendet.

Dem Beleg dieser beiden Thesen dient sowohl der erste Teil des Buches, der sich in drei Kapitel gliedert, von denen das erste das Zustandekommen der Erklärung beschreibt, während das zweite die unmittelbare Resonanz bei den Zeitgenossen in den Amerikas und in Europa (mit einer so starken nordatlantischen Achse, dass man am globalen Anspruch des Buches zuweilen zu zweifeln beginnt) und das dritte das Echo in der longue durée erzählt. Der zweite Teil enthält 13 der S. 145-156 tabellarisch aufgeführten Erklärungen, die der Autor für die Jahre 1776 bis 1993 gesammelt hat. Unter den in extenso abgedruckten Dokumenten, wovon die ersten drei sich auf die USA-Erklärung direkt beziehen, schließen die Unabhängigkeitsdeklarationen von Haiti (1804) und Venezuela (1811) die oben genannte Lücke einer Vernachlässigung der nur wenige Jahre nach dem nordamerikanischen Aufbruch stattfindenden südamerikanischen Independencía, während die Beispiele Neuseelands (1835), Texas (1836) und Liberias (1847) die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts repräsentieren; die tschechoslowakische Erklärung von 1918, die vietnamesische 1945 und die israelische 1948 die beiden großen Nachkriegssituationen des 20. Jahrhunderts, während die Unilateral Declaration of Independence Südrhodesiens von 1965 den Prozess der Dekolonisierung widerspiegelt.

Gefällig geschrieben, ist das Buch ein Essay im besten Sinne des Wortes. Vorstellbar wäre an manchen Punkten eine Vertiefung gewesen – so geht der Autor meines Erachtens allzu rasch über die Kontroverse um das Verhältnis von amerikanischer Unabhängigkeitserklärung und französischer Menschenrechtserklärung hinweg – mit dem Verweis auf Friedrich von Gentz’ Unterscheidung zwischen defensiver und offensiver Revolution ist ein Spannungsfeld aufgezeigt, das bis in die Gegenwart Wirkungen hat, wenn es um das Recht auf bewaffnete Durchsetzung der Eigenstaatlichkeit und Souveränität ebenso wie um die soziale Vertiefung dieser Souveränität geht. Armitage gibt selbst Hinweise auf die Diskussion im Kongress über die Inklusion der Sklaven in den Geltungsbereich der Erklärung (S. 59f.), und zeigt im weiteren historischen Verlauf den Gebrauch der Unabhängigkeitsformel durch Owen und andere für die Souveränitätsansprüche der Armen gegenüber der Logik des Eigentums auf. (S. 94f.)

Dies mindert jedoch weder das Lesevergnügen noch die Überzeugungskraft der beiden Thesen, die der Verfasser mit Stringenz durch seinen Text verfolgt.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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