M. Vitiello: Il principe, il filosofo, il guerriero

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Titel
Il principe, il filosofo, il guerriero. Lineamenti di pensiero politico nell'Italia ostrogota


Autor(en)
Vitiello, Massimiliano
Reihe
Hermes-Einzelschriften 97
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Krautschick, Berlin

Massimiliano Vitiello legt seit drei Jahren einen um den anderen Beitrag zum ostgotischen Königtum in Italien vor. Bisher waren die Formen der Repräsentation und herrscherlichen Selbstdarstellung der Ostgotenkönige nach römischem Muster sein Thema. Nun wendet er sich hier ihrem ideologischen Hintergrund zu und beschreibt, nach welchen Denkmodellen die Rolle eines germanisch-barbarischen Königs im Zentrum der Romanitas etikettiert wird und wie sie sich in den politischen Ereignissen der Zeit spiegelt. Überraschend ist es nicht, dass die Beurteilungskriterien, an denen sich damals jeder Herrscher und eben auch Barbarenkönige messen lassen mussten, auf (neu)platonische Vorstellungen zurückzuführen sind, die im wesentlichen von der bildungsbeflissenen Senatsaristokratie getragen wurden.

Basis aller Äußerungen Vitiellos zu dessen Nachfolgern sind selbstverständlich die Feststellungen, die er zu Theoderich dem Großen treffen kann (S. 22-35 u. 45-63). Theoderich ist der ‚Fürst‘, der etwa in den Excerpta Valesiana, wenn auch nicht der höchsten Bildung teilhaftig, wie Salomo als weiser und gerechter König erscheint und den Cassiodor als einen Philosophen im Purpur darzustellen versuchte. Er wird deshalb gern mit Traian und Valentinian verglichen, die gerade anicischen Kreisen als die ‚guten‘ Kaiser galten. Ausgangspunkt ist für Vitiello (S. 19ff.) aber die Schilderung des Streits um die Bildung seines Enkels bei Prokop (BG 1,2-4), den er als Auseinandersetzung über die Rolle des Ostgotenkönigs in Italien interpretiert (S. 35-40 u. 63-68). Die zwei sich gegenüber stehenden Erziehungsmodelle (S. 40-44) für den minderjährigen Gotenkönig sieht auch er als eher klassische Bildung im Sinn römisch-platonischer Philosophie bzw. als reine Militärausbildung. Die Spuren des römischen Herrschaftsmodells in der (Selbst-)Darstellung Theoderichs als neuem Princeps lassen sich auch für seinen Schwiegersohn Eutharich nachweisen (S. 71-78), der zu seinem Nachfolger aufgebaut wurde, allerdings vorzeitig verstarb. Sie finden sich ebenfalls bei Gregor dem Großen (S. 68ff.), der jedoch auch seinen Anteil an der posthumen Dämonisierung des Gotenkönigs hatte. In den Getica des Jordanes bilden sie sogar das „Leitmotiv“ für die Darstellung der Ostgotenherrschaft (S. 79-90); Vitiello erweist, dass die Konzeption einer indirekten Akkulturation der Goten vermittels des Eintretens der Amaler, denen bis fast ins letzte Glied Bildungsbeflissenheit attestiert wird (S. 43), in das traditionelle römische Herrschaftsmodell nach dem Muster eines Macrobius gar nicht so weit von dessen philosophischen, eben (neu)platonischen Vorstellungen abweicht, eigentlich sogar darauf fußt (S. 90-105).

Eine Facette der Idee vom bonus princeps nimmt in der Generation nach Theoderich konkretere Formen an. Gleich, ob in den Variae Cassiodors seiner Tochter Amalasuntha die männlichen Tugenden eines ‚Philosophenkönigs‘ beigelegt (S. 114-134) oder auf Theodahad darüber hinaus auch in den ephemeren Gedichten des Appendix Maximiani solche platonischen Kategorien angewendet werden (S. 135-151), die argumentative Zurschaustellung der Hinwendung zu den römischen Idealen einer guten Regierung ist deutlicher akzentuiert. Zwar hat der von Vitiello zur Erläuterung herangezogene einzige zeitgenössische ‚Fürstenspiegel‘, der anonyme Dialogus de scientia politica1, kaum eine Verbindung zum ostgotischen Italien, doch liefert er den Hintergrund für die Parallelüberlieferung bei Prokop (S. 152-162), der überhaupt am ehesten über die politischen Auseinandersetzungen um das ostgotische Königtum berichtet und andererseits am Beispiel Theodahads in ironischer Weise die Diskussionen über die Bedeutung der Philosophie für das Herrschertum und die Grenzen seiner platonischen Fundierung in der Realität aufzeigt.

Die andere Seite der Medaille ist der Kreis der Propagandisten der platonischen Auffassung von guter Herrschaft (S. 165-222). Boëthius verwendet ausgehend von der ‚gottgleichen‘ Stellung des Kaisers etwa in seiner Consolatio Philosophiae gegen den Tyrannen Theoderich das gleiche platonische Vokabular wie Cassiodor zum Lob aller Amalerkönige. Beide stellen sich zugleich selbst in ihrer Rolle als ‚Ratgeber‘ des Hofes dar. Leider ist das persönliche und ideologische Beziehungsgeflecht der Wortführer in der Debatte um das gotische Königtum in Italien, unter Ennodius, Symmachus, Boëthius, Cassiodor, Cethegus und Maximian sowie zwischen diesen Gelehrten, den Päpsten und den Amalerkönigen, obwohl es offensichtlich ist, schier unentwirrbar; auch Cassiodors Ordo generis Cassiodororum, den Vitiello hier als ‚roten Faden‘ verstehen will, deutet allenfalls auf das senatorische Milieu der Anicier hin, in dem das (neu)platonische Denkschema besonders guten Nährboden fand. Aber Vitiello gelingt es, einsichtig zu machen, wie der Versuch ablief, das ostgotische Königtum mit dieser Gedankenwelt entnommenen und auf sie zielenden Vorstellungen zu rechtfertigen.

Mit dem Sturz Theodahads und der Wahl des Witigis wendet sich das Blatt. Angesichts der von Justinian in Gang gesetzten Recuperatio imperii ist es vorbei mit der Ruhe, deren Schutz der ‚Philosophenkönig‘ sicher zu stellen hat. Gefragt ist nun ein erfahrener Militär, der ‚Krieger‘ (S. 225-245). Auch diese Eigenschaft kann Theoderich nicht fern gelegen haben; sie beeinflusste schon seine Äußerungen zur Rollenverteilung zwischen Römern und Goten in seinem Reich und war die gegebene Alternative im Streit um die römische Erziehung Athalarichs. Jedoch gehört die militärische Kompetenz ebenfalls zum (neu)platonischen Herrscherbild. Für Vitiello ist sie aber auch Ausdruck der vom ‚Germanentum‘ geprägten Rolle des Königs. Der Erklärungsnotstand gegenüber traditionellen Kreisen wie der Senatsaristokratie besteht also darin, dass es der gute Herrscher und Verteidiger Roms nun mit dem eigentlichen Kaiser zu tun hat. Noch einmal bemüht sich Cassiodor, die widerstreitenden Vorstellungen miteinander in Einklang zu bringen. Dem kriegsmächtigen Witigis stellt er in seinem letzten Panegyrikus die romanisierte und gebildete Amalerin Matasuntha an die Seite und das neue Königspaar gewissermaßen als Vereinigung beider Seiten der Machtausübung dar (S. 245-249).

Insgesamt steckt Vitiello den Rahmen ab, innerhalb dessen sich die ideologische Darstellung der Ostgotenkönige bewegt hat und allein bewegen konnte. Die Beantwortung der Frage, inwiefern Theoderich selbst auf (neu)platonische Vorstellungen zurückgriff, um seine Herrschaft als Fortsetzung des Kaisertums darzustellen, oder das aus den Quellen zu erschließende Bild nur aus der vorherrschenden Auffassung der Autoren resultiert, lässt Vitiello anscheinend bewusst offen. Jedenfalls verzichtet er etwa auf eine Diskussion von Hinweisen, die darauf deuten, dass er in Italien als eine Art ‚Vize-Kaiser‘ fungierte.2 Als tatsächlicher Erbe der Kaiser wäre es ja eine Selbstverständlichkeit, ihn als kaisergleichen Herrscher an den Kategorien der staatstragenden Ideologie zu messen. Allerdings erweckt die Tatsache, dass er in nahezu allen einschlägigen Quellen diesbezüglich die (neu)platonische Herrscherauffassung finden kann, den Eindruck, es handele sich um das Standardrepertoire spätantiken Bildungsgutes, den Autoren hätten möglicherweise gar keine anderen Kategorien zur Verfügung gestanden.

Ergebnis der Arbeit Vitiellos ist auf jeden Fall, dass sich bei Theoderichs Nachfolgern, für die er sich überhaupt mehr zu interessieren scheint, eine viel stärkere Betonung auf der philosophischen Grundlegung und Rechtfertigung ihrer Herrschaft und später dann die Abkehr davon als Reaktion auf die direkte Bedrohung durch Byzanz findet. Indem Vitiello zum Abschluss einen Bogen von Theoderich zu Karl dem Großen schlägt (S. 254-258), offenbart er seine Ansicht, dass er der Akkulturation im Gotenreich durchaus eine Chance gegeben hätte, wenn nicht die byzantinische Reconquista dazwischen gekommen wäre. Grenzen setzen seiner Untersuchung über „gli influssi del pensiero romano sulla monarchia gotica“, um einmal seine eigenen Worte zu verwenden (S. 15), „i suoi connotati germanici“ – und das nicht nur in zeitlicher Hinsicht.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch neuerdings MacCoull, Leslie C. B., Menas and Thomas: Notes on the Dialogus de scientia politica, in: Greek, Roman, and Byzantine Studies 46 (2006), S. 301–313.
2 Vgl. etwa Chrysos, Evangelos K., ’ANTIKAISAR, in: Byzance. Hommage à André N. Stratos, Athenai 1986, Bd. 1, S. 75–82.

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