S. Müller: Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49

Titel
Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49.


Autor(en)
Müller, Sabrina
Reihe
Krieg in der Geschichte 3
Erschienen
Paderborn 1999: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Marra, Historisches Institut der Universität Dortmund

Die 150jährige Wiederkehr der europäischen Revolution von 1848 führte 1998 und 1999 zu einer Fülle von neuen Publikationen. Zahlreiche regionalhistorische Studien und Museumsausstellungen haben zum Teil erstmalig die Ereignisse "vor Ort" erschließen können. Erwähnenswert ist dabei vor allem der von Wilfried Reininghaus und Horst Conrad herausgegebene Katalog zur gleichnamigen und noch immer präsentierten Wanderausstellung "Für Freiheit und Recht. Westfalen und Lippe in der Revolution 1848/49".1 Auch im Zusammenhang mit der vom Deutschen Historischen Museum Berlin und der Schirn Kunsthalle Frankfurt/Main konzipierten zentralen Ausstellung zum Revolutionsgeschehen erschien ein umfangreicher Katalogband.2 Für die breite Öffentlichkeit konnten besonders diese Veranstaltungen und Kataloge die revolutionären Ereignisse von 1848/49 transparent machen und teilweise auch in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Aber auch die geschichtswissenschaftliche Forschung erhielt durch das "Jubiläumsjahr" wichtige Impulse. Eine Reihe von Untersuchungen, die unterschiedliche Bereiche der Revolution und ihrer Rückwirkungen auf den Alltag, die Gesellschaft und Politik reflektieren, beleuchten die Revolution aus verschiedenen Blickwinkeln. Man denke dabei an das neue grundlegende Übersichtswerk von Wolfgang J. Mommsen,3 aber auch an zahlreiche Sammelbände, so zum Beispiel der von Wolfgang Hardtwig herausgegebene Aufsatzband.4 Interessant sind jedoch besonders die Studien, die einzelne wichtige Aspekte erschließen. Unter diesen Publikationen befindet sich die von Sabrina Müller bereits 1996/97 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichte und 1999 veröffentlichte Dissertation über Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49.

Müller greift mit ihrer Untersuchung bisher bestehende Desiderate in der Forschung auf. Erstmalig für diesen Zeitraum behandelt die vorliegende Arbeit in einem größeren Umfang das Militär und die Soldaten sowie deren Handlungsspielräume und Erfahrungen während des Einsatzes in der Revolution 1848/49. Die Arbeit erschließt damit jedoch auch gleichzeitig einen bisher weitgehend unberücksichtigten Bereich der militärhistorischen Forschung. Gerade in den 1990er Jahren öffnete sich die Militärgeschichtsforschung auch sozial- und gesellschaftshistorischen Aspekten. Bisher behandelten diese neueren thematischen Untersuchungen gleichwohl nahezu ausschließlich das Soldatendasein in der Frühen Neuzeit sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Zwar wurden dadurch neue Forschungsansätze geschaffen und auch weitergehende Sichtweisen entwickelt, doch stellt die vorliegende Arbeit von Sabrina Müller sowohl chronologisch als auch thematisch ein Novum in der militärhistorischen Forschung dar.

Die Fragestellung der Arbeit von Sabrina Müller ist hingegen nicht so einfach zu verifizieren. Als Ausgangspunkt will sie global die Verhaltensweisen der Armee und der Soldaten in den Jahren 1848/49 untersuchen, um ihre Funktion und das Konfliktpotential des Militärs als Teil der exekutiven Gewalt sowie der Soldaten als zum Teil revolutionären Part aufzuzeigen. Allerdings sind die inhaltlichen Darlegungen von Müller in ihrer sehr ausführlichen Einleitung indifferent und schwer nachvollziehbar formuliert, so daß eine präzise Interpretation nicht einfach ist. Beispielsweise erscheint es sehr kompliziert, den Zusammenhang zwischen den methodischen Untersuchungsansätzen, die der Protestforschung sowie der Historischen Anthropologie entstammen, und den benutzen Quellen sowie deren Analyse zu finden. Das mag zum Teil auch an der wenig flexibel gestalteten inhaltlichen Struktur und an dem etwas unübersichtlich wirkenden Aufbau der gesamten Arbeit liegen.

Obgleich die Arbeit vom Thema und Anspruch innerhalb der militärhistorischen Forschung sowie der Revolutionsforschung bestehende Lücken schließt, benutzt die Autorin weiterhin tradierte methodische Strukturen, die sie jedoch nicht mit den postulierten Untersuchungsansätzen verbindet. Dieses Manko zieht sich allerdings nicht durch das gesamte Werk, sondern wird einige Male zugunsten einer "dichten Beschreibung" im Sinne der Historischen Anthropologie sowie durch einige ausführliche Schilderungen konkreter Einzelschicksale durchbrochen.

Leider werden interessante Sachverhalte, so das Protestverhaltens der Bevölkerung und die Schilderungen von Einzelschicksalen, nicht immer entsprechend ausgeführt. Beispielsweise sind im ersten Hauptkapitel 'Soldaten im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft' die 'Antijüdischen Ausschreitungen' (S. 73f.) der Bevölkerung gegen die etwaige politische Gleichstellung der Juden nur im Ansatz und mit Hilfe von Zitaten beschrieben worden. Eine Interpretation der Geschehnisse oder die Darstellung des militärischen Einsatzes gegen solche Exzesse werden hingegen nicht gegeben. Gerade in Hinblick auf die zuvor von der Autorin angeführten methodischen Forschungsansätze (Protestforschung, Historische Anthropologie) kann angesichts der nur äußerst knappen Darstellungen von Protestmöglichkeiten kein befriedigendes Forschungsergebnis erzielt werden.

Erst im Verlaufe des zweite Hauptteils der Arbeit‚ der sich mit der zivilen und militärischen Sozialisation der Soldaten beschäftigt, werden die sozialhistorischen Forschungskomponenten etwas deutlicher. Beschrieben wird die Herkunft und Sozialstruktur der Soldaten sowie das Rekrutierungsverhalten des Militärs nach geographischen und beruflichen Aspekten. Die Autorin konstatiert, daß ein Großteil der Soldaten der Handwerkerschaft und dem Tagelöhnermilieu entstammte. Gerade in diesem Bereich arbeitete die Autorin mit zahlreichen demographischen Übersichten zu den Zivilberufen, Einheiten und Untersuchungsgebieten. Demgegenüber erfolgt eine nur rudimentäre Interpretation der Ergebnisse. So wird auf S. 171 im Zusammenhang mit dem Offizierskorps nur beiläufig erwähnt, das "der hohe Anteil adeliger Offiziere in den Kavallerie-Regimentern [...] eine konservative Einstellung der Mannschaften [begünstigte]", ohne daß jedoch eine notwendige und detaillierte Erklärung für diesen möglichen Zusammenhang gegeben wird.

Die abschließenden Bewertung der Forschungsergebnisse durch die Autorin wird wesentlich dadurch geschmälert, daß die Studie nur Literatur bis 1997 berücksichtigt. Die neuere Literatur des für die Revolutionsforschung wichtigen Jahres 1998 fehlt völlig, obgleich sich die Autorin im Schlußkapitel explizit auf das "Jubiläumsjahr" bezieht (S. 314) und die Publikation erst 1999 erschienen ist. Hier wäre sicherlich eine verzögerte Drucklegung unter Berücksichtigung der neueren Literatur sinnvoller gewesen. Die im abschließenden Kapitel dargelegten Forschungsthesen und Erkenntnisse erweisen sich bei näherer Betrachtung nicht gerade als neu, wenngleich die gesamte Abhandlung und Untersuchung inhaltlich ein Desiderat darstellt, wie bereits zu Beginn der Besprechung ausgeführt wurde. Dennoch stellt die Studie von Sabrina Müller einen wesentlichen Beitrag zur Sozialgeschichte des Militärs und des Revolutionsgeschehens 1848/49 dar, auch wenn der methodische Ansatz stellenweise im wahrsten Sinne des Wortes im Ansatz stehengeblieben ist.

Anmerkungen:
1Wilfried Reininghaus / Horst Conrad (Hgg.): Für Freiheit und Recht. Westfalen und Lippe in der Revolution 1848/49, Münster 1999.

2 Lothar Gall (Hrsg.): 1848. Aufbruch zur Freiheit, Berlin: Nicolaische 1998.

3 Wolfgang J. Mommsen: 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830-1848, Frankfurt/Main: Fischer 1989.

4 Wolfgang Hardtwig (Hrsg.): Revolution in Deutschland und Europa 1848/49, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1998.

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