K. Deinhardt: Jena als Universitätsstadt 1770-1830

Titel
Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830


Autor(en)
Deinhardt, Katja
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kl. Reihe 20
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Holtz, Universität Tübingen

Einem Brief Johann Wolfgang von Goethes an Friedrich Schiller, geschrieben Ende Juli 1800, ist der Titel der vorliegenden Studie entnommen. Sie entstand im Kontext des Sonderforschungsbereichs „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ 1 und wurde im Wintersemester 2005/06 an der Philosophischen Fakultät der Universität Jena als Dissertation eingereicht. In seinem Brief gab Goethe seinem Dichterkollegen und Freund eine Beschreibung Jenas als Stadt des Wissens, der Wissenschaft und der Unterhaltung. Er pries die ‚geistige und leibliche Nahrung’, die Jena bereithalte. Gerade zu dieser Zeit, um 1800, entwickelte sich Jena – gemeinsam mit Weimar – zu einem kulturellen Zentrum. Allerdings „wurde“ das „Ereignis Weimar-Jena“ nicht einfach, es wurde vielmehr „gemacht“ (S. 15): Gelehrte, Intellektuelle und Künstler folgten dem Ruf des Landesherrn an den Weimarer Hof bzw. die Jenaer Universität, mehrten dessen Ruf und zogen weitere Interessierte nach. Ein dichtes Kommunikationsnetz umgab Hof und Universität. Dies berechtigt zur Frage, ob und gegebenenfalls wie Jena (und Weimar) in diese Kommunikationsstrukturen eingebunden war.

Ausgangspunkt der Studie ist die spezifische Struktur der Universitätsstadt Jena. Ihr Ziel ist es, in der mit Reinhart Koselleck sogenannten Sattelzeit den Wandel von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft transparent zu machen und zugleich die Bezüge zwischen der Stadt Jena und dem „Ereignis Weimar-Jena“ herauszuarbeiten. Dabei sollte die Untersuchung des sozialen Gefüges in der Stadt darüber Auskunft geben, wer als Träger des gesellschaftlichen Wandels gelten konnte: das mittlere städtische Bürgertum mit Innovativpotential 2 oder das neu entstehende Bürgertum der Beamten, Akademiker und Unternehmer. 3 In Erweiterung dieser unterschiedlichen Forschungsansätze wurde die gesamte Einwohnerschaft in die Überlegung einbezogen. Weiterführend erschien zudem der Ansatz einer Beachtung bislang vernachlässigter landesherrlicher Städte, wozu sich Jena als landesherrliche (Universitäts-)Stadt anbot. Die „Analyse des Typus Universitätsstadt“ (S. 10) ermöglichte darüber hinaus einen erweiterten Blickwinkel auf die Träger von Modernisierung. Denn als Universitätsstadt lag in Jena der Schwerpunkt der Bevölkerung ohne Zweifel auf der außerhalb der städtischen Verfassung stehenden Akademikerschaft, die zur Gruppe des neuen Bürgertums gerechnet wurde. Hier ließ sich beobachten, wie dieses neue Bürgertum in der Stadt aufgenommen wurde, welche Beziehungen – auch verwandtschaftlicher Art – sich entwickelten, welche Kommunikationsebenen entstanden und gepflegt wurden und wie sich das bürgerliche Vereinswesen entfaltete.

Die Universitätsstadt Jena, der Wandel zur bürgerlichen Gesellschaft und die angesprochenen Bezüge bilden die drei zentralen Themenstellungen der Arbeit. Aufbauend auf der Sozial- und Wirtschaftsstruktur sowie den demographischen Gegebenheiten im ersten Kapitel werden im zweiten Kapitel die Entwicklung der städtischen Verfassung sowie die verschiedenen politischen Institutionen und Interessensvertretungen in den Blick genommen. Im dritten Kapitel werden die innerstädtischen Machtverhältnisse thematisiert. Das vierte Kapitel beleuchtet dann konkret die Finanzpolitik, die Sozialpolitik und das Krisenmanagement der Stadt – Stichwort Universitätskrise 1799/1803, militärische Katastrophe 1806, Rheinbundzeit und Septemberunruhen 1830. Unter der Überschrift „Die geteilte Gesellschaft?“ wird im fünften Kapitel endlich nach den Beziehungen zwischen Stadt- und Universitätsbevölkerung gefragt. Im Einzelnen geht es hier zunächst um wirtschaftliche, rechtliche und verwandtschaftliche Beziehungen, dann um die Frage nach potentiellen gemeinsamen Geselligkeitsformen. Die Studie beruht vor allem auf der Auswertung umfangreichen Akten- und statistischen Quellenmaterials (S. 20) unter Hinzuziehung der im Rahmen des Sonderforschungsbereichs angelegten Datenbanken (Kirchenbücher, Hof- und Adresskalender).

Jena war nicht nur Universitäts-, sondern auch Residenz- und Ackerbürgerstadt und stieg im Untersuchungszeitraum sogar zur Industriestadt auf. Dominant blieb jedoch – ökonomisch wie sozial – die Universität. Die universitären Konjunkturen ließen sich in den demographischen Strukturen der Stadt ebenso ablesen wie in wechselnden Illegitimitätsraten. Ein Moment der Abgrenzung bildeten die unterschiedlichen Rechtskreise, denen Universitätsmitglieder und Stadtbürger angehörten. So führten die Stadtordnungen von 1810 und 1825 zu Konflikten der Universitätsverwandten mit der Stadt, weil diese teilweise in das städtische Bürgerrecht integriert wurden, auf ihre universitären Privilegien aber nicht verzichten wollten. Der Großteil der Professoren und Studenten behielt seinen rechtlichen Sonderstatus jedoch bei.

Sozial gingen – zumindest in Jena – Stadt und Universität weitgehend getrennte Wege. Das unterschiedliche Bildungsniveau verhinderte übergreifende Gesellschaftsformen. Die akademischen Kreise organisierten sich exklusiv in Sozietäten. Teile der Stadteinwohnerschaft trafen sich ihrerseits in eigenen Zirkeln und schlossen davon die Studenten aus. Lediglich der Verein mit dem programmatischen Namen „Eintracht“ schuf – auf einer mittleren bzw. gehobenen städtischen Schicht – ein gemeinsames Vereinsleben von Handwerkern und Studenten sowie einigen wenigen Angehörigen des mittleren Beamtentums. Die „Eintracht“ bot damit einerseits die Möglichkeit zum geselligen Zusammensein, andererseits bildete sie ein Forum für politische Diskussion. Anlass zur Gründung und Klammer für beiderlei Kooperationen war der 300. Jahrestag des Thesenanschlags Martin Luthers. Der Anschluss an akademische Kreise gelang freilich nur wenigen Familien der städtischen Führungsschicht. Die akademische Bildung führte hier nicht nur zur Übernahme von Patenschaften, es waren sogar Konnubien möglich. So besaßen etwa die Bürgermeisterfamilien Paulsen und Vogel verwandtschaftliche Beziehungen zu bildungsbürgerlichen Kreisen. Auf mittlerer Verwaltungsebene fand, dank einer akademischen Ausbildung auf beiden Seiten, jedoch ein Austausch zwischen Stadt und Universität statt. Mehrheitlich lebten um 1800 Stadtbürger und Universitätsangehörige aber noch in getrennten, durch sozialen Status und kulturellen Habitus bestimmten Welten. Die Stadträte in Weimar und Jena blieben rein städtische ‚Veranstaltungen’. Eine Bildung von Familiendynastien oder gar eine Oligarchisierung ließ sich nicht beobachten. Der 1810 vollzogene politische Elitenwechsel, der mit einer personellen Vergrößerung des Gremiums verbunden war, ging auch mit einem Generationswechsel einher. Neu war jetzt die Erweiterung der Rekrutierungsbasis in Richtung der Beamtenschaft. In der Folge nahmen vor allem Universitätsbeamte die neuen kommunalpolitischen Mitwirkungsmöglichkeiten wahr. Die prinzipielle Offenheit des städtischen Bürgertum zeigt die Wahl des Professors Heinrich Luden 1822 zum städtischen Abgeordneten.

Ein ähnliches Bild lässt sich auch mit Blick auf den „Ereignisraum Weimar-Jena“ zeichnen. Die hier bestehenden Bezüge waren in erster Linie ökonomisch bedingt. Die Stadt stellte die Infrastruktur für die Universität bereit und profitierte ihrerseits vom wissenschaftlichen und kulturellen Geschehen. Nur wenige Stadtbewohner waren aber in die Netzwerke des „Ereignisraums“ eingebunden. Hierzu trug auch bei, dass in Jena öffentliche Einrichtungen wie beispielsweise ein Theater fehlten. Interessierte Universitätsdozenten orientierten sich ohnehin nach Weimar.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Studie arbeitet ein großes gesellschaftliches Beharrungspotential in der Sattelzeit um 1800 heraus. Sie zeigt daneben aber auch erste Ansätze zu gesellschaftlicher Veränderung, die freilich noch deutlich an Dynamik gewinnen mussten, um die ständische Gesellschaft des Alten Reiches in eine bürgerliche Gesellschaft zu transformieren. Die wichtige Funktion von Bildung in diesem Transformationsprozess ist erneut deutlich geworden.

Anmerkungen:
1http://www2.uni-jena.de/ereignis/ (27.11.2007).
2 Vgl. Gall, Lothar (Hrsg.), Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft (Stadt und Bürgertum 4), München 1993.
3 Vgl. Lundgreen, Peter (Hrsg.), Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums, Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986-1997) (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte 18), Göttingen 2000.