G. Metzler: Internationale Wissenschaft und nationale Kultur

Titel
Internationale Wissenschaft und nationale Kultur. Deutsche Physiker in der internationalen Community 1900 - 1960


Autor(en)
Metzler, Gabriele
Erschienen
Göttingen 2000: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
DM 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Jürgen Teichmann

Dass Naturwissenschaft wesentlicher Teil moderner Kulturgeschichte ist, wird langsam auch in Deutschland erkannt. Doch fehlen entsprechende Arbeiten, die als Brücke zwischen den – immer noch recht festgefügten – Bastionen der Allgemeingeschichte auf der einen Seite und den von – meist – Naturwissenschaftlern besetzten wissenschaftshistorischen Forschungsbereichen auf der anderen fungieren können. Hier hat sich, beeinflusst vorwiegend aus dem angelsächsischen Bereich, ein wenig getan – etwa bei der Aufarbeitung deutscher Großforschungsprojekte im 20. Jh., bei der Forschungsförderung, bei der Wissenschaftspolitik in Deutschland nach 1945, aber vieles bleibt noch zu tun – insbesondere auch bei der Verlängerung solcher Arbeiten zurück in das 19. Jh.

Gabriele Metzlers Besuch ist ein neuer geglückter Beitrag einer Historikerin zu diesem Feld. Physik wird gerne als die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts angesehen, insbesondere mit der Bedeutung der Atomphysik und –technik bis in die 60er Jahre (parallel entwickelte sich die Festkörperphysik und –technik ab den 50ern zu – schließlich – noch größerer gesellschaftlicher Bedeutung). Die Physiker, die bei der Entwicklung des neuen atomistischen Weltbildes wesentliche Rollen in der Gesellschaft bekamen, sind nun v. a. Metzlers Untersuchungsobjekt. Sie trägt zum ersten Mal alle verfügbare Literatur zusammen und entwirft daraus eine reichhaltige Übersicht, wie deutsche Physiker dem Internationalitätsanspruch von Naturwissenschaft gerecht oder nicht gerecht wurden, wie die internationale Physiker-Community durch 2 Weltkriege und 3. Reich erheblich in Frage gestellt wurde. Es zeigt sich, dass Physiker in Deutschland (und ich meine, eine vergleichende Studie würde zeigen, das gilt auch für andere Nationen), doch bis 1960 erheblich auch nationalistisch oder zumindest beeinflusst von Nationalkultur dachten, gesellschaftlich handelten und vielleicht auch Physik verstanden. Umgekehrt benutzten Politik und Öffentlichkeit Wissenschaft als Aushängeschild (z.B. Albert Einstein als – praktisch – deutschen Kulturbotschafter um 1920) oder sahen sie sogar als „Machtersatz“ nach 1918 (etwa die Nobelpreise 1919). Deutsche Physiker verfielen Anfang des 1. Weltkriegs der gleichen nationalistischen Barbarei wie viele andere (indem sie einen „Krieg der Wissenschaftler“ entfachten, welche Nation nun wertvoller in der Entwicklung von Wissenschaft gewesen sei – damit den als Wert gesehenen Vorteil von intersubjektiver Vergleichbarkeit naturwissenschaftlicher Ergebnisse geradezu pervertierend: sie zum Herabklassifizieren von Nationen benutzend), standen dem Nationalsozialismus wie viele andere deutsche Intellektuelle genauso hilflos gegenüber – gerade auch was die Vertreibung jüdischer Kollegen betraf. Nur interne Streitigkeiten wie mit der „deutschen Physik“ der NS-Anhänger wurden etwas deutlicher ausgetragen.

Man muss nicht mit allen Urteilen Metzlers einverstanden sein, um ihr Buch gut zu finden. So glaube ich nicht, dass eine kleine Arabeske des theoretischen Physikers und einflussreichen Lehrers Arnold Sommerfeld in seinem berühmten Lehrbuch zur Atomphysik eine „Kapitulation vor Spengler“ und wesentlicher Beweis für mystische Anschauungen bei ihm (und anderen) war. Viel mehr hätte mich eine Darstellung des Aufstiegs der theoretischen Physik als eine typisch deutsche Entwicklung interessiert - und ihre Spiegelung in der International Community. Der Gegensatz theoretische Physiker – Experimentalphysiker bleibt seltsam dünn, die industrielle Physik mit ihren Vertretern wird nicht einmal gestreift, doch gibt es hier in der Tat noch überall große Forschungslücken.

Manche Details könnte man noch erwähnen, doch sei das Buch als Übersicht rundherum zu empfehlen – insbesondere erhält jeder Allgemeinhistoriker ausführlichste Literaturhinweise auch über das Hauptthema des Buches hinaus.

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