H. Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen

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Titel
Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1660


Autor(en)
Schilling, Heinz
Reihe
Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2
Erschienen
Paderborn 2007: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
684 S.
Preis
€ 118,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Externbrink, Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Mit „Konfessionalisierung und Staatsinteressen“ wird von Heinz Schilling ein weiterer, der Frühen Neuzeit gewidmeter Band des von Heinz Duchhardt und Franz Knipping initiierten „Handbuchs der Geschichte der Internationalen Beziehungen“ vorgelegt. Sein Beitrag umfasst den Zeitraum zwischen 1559 bis 1660. Ausgangspunkt ist der Frieden von Cateau-Cambrésis, der das Zeitalter der Italienkriege beendete und jenes der spanischen Hegemonie einläutete, den Abschluss bilden die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück, mit denen sich die wohl bedeutendste Zäsur in der Geschichte der frühneuzeitlichen internationalen Beziehungen verbindet, sowie der Pyrenäenfrieden und der Friede von Oliva von 1659 und 1660, die Konflikte beilegten, deren Ursprung ebenfalls in der großen Krise der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts liegt.

Der Konzeption des Handbuchs der Internationalen Beziehungen liegt einerseits ein multiperspektivisches Verständnis von Politik zugrunde, andererseits hat man sich aber, um die Einheitlichkeit der Bände zu gewährleisten, auf eine inhaltliche Gliederung in zwei Blöcke, „A. Rahmen“ und „B. Ereignisse“, geeinigt. So bleibt auf den ersten Blick nur wenig Raum zu einer individuellen Gestaltung des zu behandelnden Stoffes. Schilling weicht jedoch zu Gunsten einer Dreiteilung vom vorgegebenen Schema ab.

In einer knappen Einleitung skizziert Schilling die methodisch-theoretischen Voraussetzungen, die seiner Darstellung zugrunde liegen. Acht „Problemfelder“ benennt Schilling, die „eine Analyse und Darstellung der ‚internationalen Beziehungen’ sachlich, […] konzeptionell, methodisch und begrifflich zu lösen hat, will sie den Ansprüchen einer ‚modernen’ Politikgeschichte Genüge leisten“ (S. 5). Erstens müssten sowohl die „Triebkräfte“ der Dynamik bestimmt werden, die die Epoche zwischen 1560-1660 zu einer „Vorsattelzeit der Moderne“ werden ließen, als auch die „Höhe- und Wendepunkte“ einer von ausgeprägter Bellizität geprägten Epoche, an deren Ende sich auf der Basis von Völkerrecht und „Souveränitätsprinzip“ eine relativ stabile Staatenordnung ausgebildet hatte. Der Krieg blieb zwar weiterhin Merkmal der europäischen Staatenpartikularität, er nahm aber bis zum Ausbruch der Revolutionskriege nicht mehr den zerstörerischen Charakter der Kriege und Krisen des frühen 17. Jahrhunderts an (S. 5f.). Zweitens gelte es, die Akteure zu bestimmen, ein komplexes Unterfangen, bedenkt man, dass Kategorien wie der souveräne Machtstaat oder exakte Grenzen, die für das 19. und 20. Jahrhundert eine präzise Beschreibung von Akteuren und Systemen erlauben, sich im 17. Jahrhundert noch im statu nasciendi befanden. Drittens sei die Beziehung von Religion und Politik im „konfessionellen Zeitalter“ zu analysieren: Welchen Einfluss hatte die Konfession auf Entscheidungsprozesse (S. 6-10)? Viertens und fünftens konstatiert Schilling, dass für die internationalen Beziehungen der Epoche andere geographische Schwerpunkte galten als etwa für die des 19. Jahrhunderts und identifiziert relativ autonome „Mächtezonen“ (Osmanisches Reich, Süd- und Westeuropa unter spanischer Dominanz, Nordisch-Baltischer Raum, Mittel- und Südosteuropa mit dem Alten Reich als Zentrum), die erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts zu einem gesamteuropäischen „Staatensystem“ zusammenwuchsen, wobei, sechstens, darauf hinzuweisen sei, dass dieses „Staatensystem“ keineswegs die Voraussetzungen strenger Systemtheorie erfüllt, sondern von Offenheit und Prozesshaftigkeit geprägt war (S. 10-13). Siebtens müsse die „kulturelle Dimension von Politik“, die vor allem anhand von Repräsentation, Symbolik und der Wahrnehmung frühneuzeitlicher Herrschaft und von Herrschaftsansprüchen thematisiert wird, in die Darstellung einbezogen werden. Achtens schließlich müsse der Blick auch auf die „alltägliche, subjektive Erfahrung“ von Politik (S. 14f.) gerichtet werden.

Dieses ambitionierte Programm behandelt Schilling in drei Blöcken: Dem „Rahmen“, einer Strukturgeschichte des Staatensystems der Epoche, folgen die „Räume und Akteure“ und schließlich die „Ereignisse“. In diesen Blöcken werden die oben aufgeführten Themenfelder zum Teil in ihrem Zusammenwirken, zum Teil getrennt erörtert. Der erste Block beinhaltet einen souveränen Überblick über die Voraussetzungen und Strukturen internationaler Politik im sich herausbildenden europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit. Hervorzuheben aus den Einzelabschnitten, die sich unter anderem mit Staatsbildung, Militärwesen, Wirtschaft und Demographie befassen, sind die Ausführungen über „Nichtstaatliche Akteure und informelle Netzwerke in den internationalen Beziehungen“ (S. 100-119), „Instrumente staatlicher Außenpolitik“ (S. 120-159) und „Kommunikation und Repräsentation der Macht“ (S. 160-190), in denen Schilling die neuesten Tendenzen der Forschung zu einer kulturgeschichtlich inspirierten „Diplomatiegeschichte“ bilanziert. Wichtig ist die angemessene Berücksichtigung der Mitwirkung nichtstaatlicher Akteure, zumal der beiden „konfessionellen Internationalen“ des Calvinismus und des Reformkatholizismus – etwa das Wirken des Jesuitenordens –, die an zentraler Stelle Entscheidungsprozesse steuern konnten (S. 119).

Die Ausführungen über „Instrumente“ der Außenpolitik berücksichtigen sowohl den unterschiedlichen Entwicklungsstand staatlich organisierter Diplomatie, von dem fast perfekt organisierten Dienst der Kurie oder der Republik Venedig bis hin zu den zu diesen Vorbilder langsam aufschließenden und sie überholenden diplomatischen „Korps“ Spaniens und Frankreichs, als auch die handlungsleitenden Maximen oder „Leitkategorien“ der Außenpolitik der Epoche: Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradition. Im Darstellungszeitraum, so Schilling, habe sich Konfession als die zentrale Leitkategorie zeitweilig derart gegenüber den anderen in den Vordergrund geschoben, dass man von einem „Konfessionsfundamentalismus“ sprechen kann (S. 395ff.). Dieser bewirkte eine tendenzielle Unfähigkeit zur Konfliktlösung, etwa durch eine eschatologische Aufladung der Auseinandersetzungen. Nach partieller Stagnation und inneren Unruhen (Frankreich) setzte die Konfessionalisierung von Außenpolitik im Prinzip überall eine Dynamisierung der Interaktionen zwischen den Akteuren in Gang, die in der Krise des Dreißigjährigen Krieges mündete, den Schilling – ungeachtet des weiterhin erheblichen Gewichts säkularer Politik – als Religions- und Staatenkrieg charakterisiert. Nur die Tatsache, dass Heinrich IV. ermordet wurde, kurz bevor er an der Spitze einer Armee ins Reich aufbrechen und militärisch im Jülich-Bergischen Erbfolgekonflikt intervenieren wollte, verhinderte wohl den Ausbruch des „großen“ Krieges schon 1610. Flankiert werden sollte dieses Unternehmen von einem Vorstoß des Herzogs von Savoyen in das Herzogtum Mailand. Damit wäre zweifellos bereits die Konfrontation zwischen Spanien und Frankreich herbeigeführt worden, die offen erst 1635 ausbrechen sollte.

Angesichts dieser Generalkrise der Staatenbeziehungen markiert der Westfälische Frieden, auch wenn er als europäische Friedensordnung nicht lange Bestand haben sollte, eine „Fundamentalzäsur“: Die regionalen Mächtekreise wurden zum frühneuzeitlichen Staatensystem zusammengeführt, die Technik der Friedensfindung auf dem Kongress wirkte normsetzend (S. 146, 166f.). Das Staatensystem zeichnete sich seitdem erstens durch seine Säkularität und die Autonomie der Politik gegenüber der Religion aus zweitens durch den Pluralismus der nominell gleichberechtigten Akteure in Gestalt der souveränen oder quasisouveränen Staaten, der drittens keine universalistischen Bestrebungen nach dem Modell der Universalmonarchie Karls V. mehr zuließ. Schließlich ist viertens der Rechtscharakter des Systems zu betonen: Das Völkerrecht regelte jetzt die Beziehungen der Akteure (S. 593-601).

Mit seiner Darstellung bietet Schilling einen souveränen Überblick, mit dezidierten Urteilen und auch neuen Akzentsetzungen. Zugleich lädt seine Interpretation der weitgehenden Konfessionalisierung der Außenpolitik zwischen circa 1580 und 1620/40 auch zum Widerspruch ein – war die Politik der Großmächte (avant la lettre) und mancher Aufsteigerstaaten wie Schweden, der Republik der Vereinigten Niederlande oder Savoyens, um nur einige zu nennen, tatsächlich vornehmlich durch die Leitkategorie Konfession bestimmt? Welchen Einfluss hatte die im Untersuchungszeitraum intensiv diskutierte Theorie einer säkularen Staatsräson bereits auf die Entscheidungsprozesse? Nicht nur den Forschungsstand zusammenfassen, sondern auch Impulse für die Forschung zu setzen – mehr kann man von einer Überblicksdarstellung nicht verlangen. Bedauerlich nur, dass der Verlag bei der Lektorierung wenig Sorgfalt hat walten lassen: So finden sich mehrfach schlechte Seitenumbrüche („Schusterjungen“), einmal (S. 419) bricht die Seite sogar mitten im Satz ab. Angesichts des Preises des Bandes ist dies keine Werbung für den Verlag.

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