E. Eickhoff: Venedig - Spätes Feuerwerk

Cover
Titel
Venedig - Spätes Feuerwerk. Glanz und Untergang der Republik - 1700-1797


Autor(en)
Eickhoff, Ekkehard
Erschienen
Stuttgart 2006: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
440 S.
Preis
€ 29,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Papenheim, Düsseldorf

Ein Buch wie ein Rausch: üppig mit Karten (samt Verzeichnissen der behandelten Schauplätze), gut reproduzierten, teils farbigen Abbildungen, Zeittafeln und Glossar (wo gibt es das noch!) sowie Registern ausgestattet, ansprechend geschrieben, dabei Zeugnis einer stupenden Bildung und Gelehrsamkeit, prall gefüllt mit Angaben auch entlegener Literatur – das Werk eines Meisters. Die bibliographischen Verweise verraten einen immensen Fleiß. Dabei sind nicht nur gedruckte Quellen, sondern auch Archivalien für dieses Buch neu ausgewertet worden. Dass der Autor Ekkehard Eickhoff, fast 40 Jahre im Auswärtigen Dienst tätig und habilitierter Historiker, auch das gesellschaftliche und diplomatische Parkett kennt, spürt man auf Schritt und Tritt, und dies verleiht dem Werk einen angenehmen Duktus. Er nimmt uns mit zu Venedigs letztem Türkenkrieg (1714-1718) und zu der Strafaktion des Angelo Emo gegen die Barbaresken in Tunis (1781-1792) und führt uns durch die Welt der Palazzi, Opernhäuser, Salons, Casini und Kaffeehäuser. Wir lauschen einem der zahllosen Konzerte in den Konservatorien und verfolgen den Komödienstreit, in dem Goldoni mit Chiari und Gozzi wetteiferte. Wir wundern uns über die Regatta der Kurtisanen, staunen über die Pracht der Sensa, wo am Himmelfahrtstag der Doge die Vermählung Venedigs mit dem Meer vollzog, indem er vom goldenen Bucintoro aus einen Ring in die Fluten warf, und wir amüsieren uns im berühmten Karneval, wo alle Standesunterschiede fielen. Gespielt wird im Ridotto, bis es 1774 leider geschlossen wird. Gondeln fahren zu Stelldicheins und verschwiegenen Missionen. – Sicherlich: Venedig war im 18. Jahrhundert weder politisch noch wirtschaftlich eine der wichtigen Metropolen Europas. Seine Verfassung war altertümlich, wurde aber als eine der wenigen in Europa noch existierenden Mischverfassungen von den politischen Theoretikern immer noch eifrig studiert. Venedig war auch weiterhin ein wichtiger Nachrichtenplatz zwischen Ost und West, und die Republik überlebte nicht zuletzt deshalb, weil ihre Botschafter genauestens die Machtverhältnisse beobachteten und in ihren Relazioni vor den Pregadi – also dem Senat – Entscheidungsgrundlagen für das prekäre Manövrieren zwischen den Fronten lieferten. Vor allem aber sein kultureller Glanz und seine einzigartige Topographie übten nach wie vor eine unübertreffliche Faszination aus. Musik und bildende Künste, Feste und Salonkultur machten Venedig zu einem kulturellen Brennpunkt, der auch im 18. Jahrhundert fest auf dem Plan der Grand Tour stand, und wo – oftmals incognito – europäische Dynasten sich ein Stelldichein gaben.

Eickhoff ist ein verlässlicher Cicerone durch diese internationale Kultur der Lagunenstadt. Dabei verweist er immer wieder auf die herausragende Rolle von gebildeten Frauen, zumeist aus dem Patriziat stammend, aber nicht ausschließlich, wie zum Beispiel Giustiniana Wynne Rosenberg, die Tochter eines englischen Barons. Eickhoff schildert ihre tragische Liebesgeschichte mit dem Patrizier Andrea Memmo. Hochgebildet, musikalisch, literarisch und künstlerisch begabt, bildeten die Salons der Damen die gesellschaftlichen Mittelpunkte der Stadt. Andere Damen waren selbst hochberühmte Künstlerinnen, wie etwa die Porträtistin und Miniaturenmalerin Rosabal Carrieras, zu der Könige und Fürsten reisten, um sich verewigen zu lassen. Frauen bildeten, obwohl von der politischen Macht völlig ausgeschlossen, die gesellschaftliche Macht in der Stadt. Als Joseph II. 1769 und 1775 nach Venedig kam, widmete er etwa einen Gutteil seiner Zeit der hochgebildeten, geistreichen Contarina Barbarigo.

Radikale Tendenzen hingegen hatten es in der Lagunenstadt schwer. Zu streng war die Kontrolle des Rates der Zehn bzw. der Inquisitoren. Allerdings war auch das kulturelle und politische Klima der Stadt kein Nährboden für extreme Ansichten. Zwar gab es durchaus, vor allem um 1770, Reformpläne, wie die alte Verfassung so verbessert werden könne, dass Entscheidungen schneller und kompetenter gefällt werden könnten, aber die Grundlagen der politischen Ordnung standen nicht zur Disposition – auch nicht 1789. Der antirömische Affekt war in Venedig seit alters her endemisch, doch war er verbunden mit dogmatischer Strenge. Die Freimaurerloge „Union“, 1774 gegründet, spielte keine bedeutende Rolle in der Stadt, bis sie 1785 auf Betreiben der Inquisition aufgelöst wurde.

Die Stärke des Buches, seine farbenprächtigen Schilderungen, die Liebe zum Detail, ist jedoch zugleich auch seine Schwäche. Die 341 Seiten Haupttext sind dichteste Beschreibungen, in denen man sich teilweise leicht verliert. Systematische Zwischenkapitel etwa zur Sozialstruktur der Stadt, hätten den Text bereichert und zugleich aufgelockert. Vergleiche zum Beispiel der venezianischen Salonkultur mit der anderer bedeutender Städte hätten die Besonderheit Venedigs stärker herausgestellt. Hervorragend hingegen ist das Kapitel über die Agonie der Republik gelungen. Eickhoff kann schlüssig nachweisen, dass die Republik nicht an inneren sozialen Spannungen zugrunde gegangen ist. Die Volksschichten standen treuer zum hergebrachten Staatswesen als manche Patrizier. Als der unvollständig zusammengetretene Große Rat am 12. Mai 1797 mit 512 gegen 20 Stimmen die Aufhebung der Verfassung zugunsten eines repräsentativen Regierungssystems beschloss, waren die einzigen, die protestierten, die draußen stehenden Schiavoni, Angehörige der slawischen Bevölkerung der Republik. Nur die Masse vor dem Palast schrie „Viva San Marco“. Die meisten Nobili hatten es vorgezogen, zur entscheidenden Abstimmung erst gar nicht zu erscheinen. Widerstand gegen Napoleon wäre allerdings auch zwecklos gewesen. Der Übergang zur neuen Municipalità verlief gemäßigt. Jakobiner gab es nur sehr wenige. Die neue Führungsschicht setzte sich aus bürgerlichen Honoratioren, aber auch aus Nobili zusammen. Nur ein einziger Vertreter aus dem „Volke“, der Gastalde der Fischer von San Nicolò, saß in der neuen Gemeindevertretung. 1798 schließlich zogen, wie im Frieden von Campoformio vereinbart, die Österreicher in die Stadt ein. Sie hatten damit ihr altes Ziel erreicht, die Republik im Süden der Habsburgermonarchie einzuverleiben.

Ekkehard Eickhoff hat uns ein Panorama Venedigs im 18. Jahrhundert geschenkt, das auf größter Gelehrsamkeit fußend, dennoch ein breiteres Publikum anspricht – was für Werke von Fachhistorikern ja keineswegs selbstverständlich ist. Sicherlich wird der „Zunfthistoriker“ beklagen, dass das Werk auf neuere Fragestellungen der Sozial- und Kulturgeschichte nicht eingeht und auch über die Schilderungen hinaus zu keiner generellen These führt, abgesehen von der Tatsache, dass die kulturelle Bedeutung Venedigs im 18. Jahrhundert unmissverständlich herausgearbeitet wird. Auch kann man kritisieren, dass sich das Werk nur auf eine kleine soziale Schicht und auf wenige Themen – etwas Politik und viel Salonkultur, Musik, Theater und Feste beschränkt. Eickhoff selbst betont aber, dass er kein erschöpfendes Handbuch der Politik und Gesellschaft Venedigs schreiben wollte. In dieser Beschränkung indessen ist ihm ein Meisterwerk gelungen – zuweilen etwas langatmig und unübersichtlich, aber in seiner Detailtreue nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Geschichte Venedigs. Jeder, der sich mit vergleichbaren Themen der europäischen Geschichte beschäftigt, wird gerne auf dieses zuverlässige Werk zurückgreifen, um Analogien und Unterschiede zwischen den Kulturen Europas ausmessen zu können.

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