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Titel
Justiz in Brandenburg 1945-1955. Gleichschaltung und Anpassung


Autor(en)
Pohl, Dieter
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 50
Erschienen
München 2001: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
414 S.
Preis
DM 136,52
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lutz Prieß

Totalitäre Regime bedienten und bedienen sich zur Durchsetzung ihres Machtanspruch auch stets der Justiz. Für die Erforschung der Geschichte der Klassenjustiz nach 1945 in der SBZ/DDR ist daher von besonderem Interesse, wie sich einerseits der Bruch mit dem Nationalsozialismus und andererseits die Entwicklung zur sozialistischen Justiz, als Mittel der Diktatur des Proletariats, vollzogen hat. Neben zahlreichen Darstellungen zur Geschichte der Justiz in der SBZ/DDR gibt es bisher wenige regionalgeschichtliche Studien zu diesem Thema.

Die Veränderungen des Justizappparates und der Rechtspraxis im Land Brandenburg und seiner Nachfolge-Bezirke (Cottbus, Frankfurt/Oder und Potsdam) zwischen 1945 und 1955 sind Gegenstand der Studie von Dieter Pohl. In drei Kapiteln wird der Aufbau und Wandel der Justiz von den Neuanfängen 1945 auf kommunaler Ebene bis zur Etablierung der Justiz unter SED-Diktatur Mitte der fünfziger Jahre nachgezeichnet. In einem abschließendem Kapitel unternimmt Pohl den Versuch eines Diktaturvergleichs der brandenburgischen Justizentwicklung der Nachkriegsjahre mit dem „Leitbild Sowjetjustiz“ und der Justizpraxis in der „Volksdemokratie“ Polen.

Pohl beschreibt im ersten Kapitel detailliert die Entwicklung der brandenburgischen Nachkriegsjustiz vom sowjetischen Einmarsch im Frühjahr 1945 bis Anfang 1948. Drei Eckpunkte der Entwicklung werden vorrangig thematisiert: der unmittelbare Einfluß sowjetischer Besatzungsorgane auf die Entwicklung von Justiz und Rechtswesen, die Entnazifizierung der Justiz und der Einfluß der KPD/SED-Politik auf die brandenburgische Justizentwicklung. Die sowjetische Besatzungsmacht übte in Gestalt ihrer örtlichen Kommandanturen, durch die Befehlsgebung der SMAD sowie die Verhaftungs- und Verurteilungspraxis des NKWD/MWD und sowjetischer Militärtribunale (SMT) einen unmittelbaren Einfluß auf die Rechtssituation in Brandenburg, wie im ganzen Osten Deutschlands, aus.

Wie Pohl jedoch nachweist, kann auf Grund der anfänglich relativ eigenständigen Entwicklung der brandenburgischen Nachkriegsjustiz weder von einer „Sowjetisierung“ der Justiz noch von einem bestimmendem Einfluß der SED in diesem Zeitraum gesprochen werden. Die Anzahl von SED-Mitgliedern im Justizapparat war in den unmittelbaren Nachkriegsjahren ebenso gering wie der Einfluß zentraler und regionaler Parteigremien. Die SED besaß jedoch jederzeit im Bündnis mit der sowjetischen Militärverwaltung einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf Personalentscheidungen im Justizapparat. Ein spät überwundenes Hindernis für die Durchsetzung der parteipolitischen Linie in der unmittelbaren Nachkriegsjustiz bestand für die SED vor allem im Mangel an geeigneten Kadern. Pohl benennt viele Juristen, die beim Wiederaufbau der brandenburgischen Justiz nach Kriegsende mitgewirkt haben, sie waren mehrheitlich keine KPD- oder SED-Mitglieder.

Pohl legt auch nahe, die Bedeutung der sogenannten Volksrichter -aus der Bevölkerung angeworbene und in Schnellkursen ausgebildete Richter - für die ersten Jahre der Justizentwicklung in der SBZ bzw. im Land Brandenburg nicht zu überschätzen. Er zieht für die Entwicklung der ersten Nachkriegsjahre das Fazit, daß bis Anfang 1948 die Entwicklung der Justiz in Brandenburg „nicht grundlegend anders als in den Ländern der Westzonen“ (S. 98) verlaufen sei.

Die Anfänge der „Gleichschaltung der Justiz“ in der SBZ und in Brandenburg sieht Pohl 1947/48. Der Wandel der politischen Rahmenbedingungen durch die Stalinisierung der SED, die Stärkung zentralistischer Strukturen und Mechanismen in der Ostzonenverwaltung sowie der zunehmende Einfluß der sowjetischen Militäradministration auf die Entwicklung des Rechtswesens schaffte auch in Brandenburg Bedingungen für einen „Angriff auf die Justiz“.
Weil aber der Justizabteilung im Zentralsekretariat der SED, wie auch das Justizreferat im Landesvorstand der brandenburgischen SED, immer noch nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter hatte, übernahm die Deutsche Justizverwaltung (DVJ) zentrale Aufgaben der Gleichschaltung und der Justizsteuerung in den Ländern der SBZ/DDR bis 1952/53.

Im Jahr 1949 mußte sich auch das brandenburgische Justizministerium der Struktur der DJV anpassen. Damit waren die Grundlinien der Personalpolitik und die Gesetzgebung auf die DJV übergegangen. Jedoch entzogen sich viele Justizmitarbeiter dem direkten Einfluß der DJV dadurch, daß sie die zwecks Kontrolle angeforderten Arbeitspläne oftmals nicht aufstellten. Die brandenburgische Sowjetische Militäradministration (SMA) gab erst zweieinhalb Jahre nach Errichtung der Provinzialjustizverwaltung die Schaffung einer eigenen Rechtsabteilung bekannt. Sie verfolgte jedoch von Anfang an eine Zentralisierung der Justizpolitik auf Landesebene. Für die Analyse des Einflusses der sowjetischen Organe auf die brandenburgische Justizentwicklung wurden bisher keine russische Akten aus dem Bestand der SMA Brandenburg ausgewertet. Der mittlerweile zugängliche Bestand im Russischen Staatsarchiv (GA RF Moskau) und die Akten der SMAD-Rechtsabteilung im Archiv des Russischen Außenministeriums bedürfen noch einer gesonderten Einsichtnahme, die allerdings im Rahmen seiner Studie von Pohl nicht durchgeführt werden konnte.

Die Gleichschaltung der Justiz in Brandenburg war durch den zunehmenden Einfluß der kommunistisch geprägten Kaderpolitik geprägt. Pohl zählt dazu den „zweiten Personalaustausch“ nach der Entnazifizierung - der Beginn der Tätigkeit einer neuen Generation von Volksrichtern 1948/49 -, die Neubesetzung von Stellen im Justizbereich mit SED-Parteikadern, die Politisierung der Justizschulung, politisch motivierte Disziplinierungen sowie Entlassungen oder Kriminalisierung von Justizmitarbeitern. Die Einschränkung der Kompetenzen der Landesjustizverwaltungen durch Abgabe von Aufgaben im Strafrecht an andere Instanzen, beschreibt Pohl am Beispiel der Entwicklung der brandenburgischen Kriminalpolizei, der Landesverwaltung für Staatssicherheit, des Strafvollzugs und der Landeskontrollkommission. Bis 1952 ebneten sich die Unterschiede in der Justizentwicklung der fünf Länder in der DDR derart ein, so daß auch in Brandenburgs nicht mehr von einer eigenständigen Landesjustiz gesprochen werden konnte.

Die Auflösung der Länder und die Bildung der Bezirke führte zur Überleitung der Hauptabteilung Justiz in Potsdam auf die drei Justizverwaltungsstellen in Cottbus, Frankfurt/Oder und Potsdam. Tiefgreifender als der strukturelle Umbau der ehemaligen Landesjustiz erwies sich die zunehmende Instrumentalisierung der Justiz durch die SED. Pohl datiert den Weg zur „sozialistischen Justiz“ ab Sommer 1952. Mit der Proklamation des Aufbaus der „Grundlagen des Sozialismus“ in der DDR wurden auch die Ziele und Aufgaben der Justiz neu bestimmt. Pohl führt etliche Beispiele aus der Rechtspraxis der drei genannten Bezirke an, die davon Zeugnis ablegen, wie die Justiz einen Beitrag zur Umwälzung der Gesellschaft leistete und die neuen Macht- und Eigentumsverhältnisse verteidigte. Dazu gehörten der Kampf gegen „Reaktionäre“ im Dorf, gegen Großbauern, die Repression von kleinen und mittleren Unternehmern, vermehrte Wirtschaftsstrafverfahren bei „Angriffen auf das Volkseigentum“ u. a. Aktivitäten. Wie Pohl beschreibt, entlud sich während des Volksaufstandes vom Juni/Juli 1953 der aufgestaute Zorn von Teilen der Bevölkerung in Brandenburg/Havel, Rathenow u. a. Orten gegen die politischen Urteile gegen Bauern und Privatunternehmer.
Durch gewisse „Entlastungsmaßnahmen“ - Überprüfung von Urteilen, Amnestie bzw. „bedingte Strafaussetzung“, Einstellung von Verfahren usw. - versuchte die Justiz wieder mehr Vertrauen bei der Bevölkerung zu gewinnen.

Mit der vergleichenden Perspektive öffnet Pohl einen neuen Blick auf die Entwicklung der Nachkriegsjustiz in Brandenburg und seinen Nachfolgebezirken. Die Anwesenheit sowjetischer Besatzungstruppen und die Oberhoheit sowjetischer Besatzungsorgane schufen besondere Bedingungen für die Entwicklung der Rechtspolitik im Osten Deutschlands. Trotzdem bleibt Pohl bei seiner Einschätzung: „Tendenzen einer Sowjetisierung der Justiz kann man in der SBZ [erst]ab 1948/49 beobachten, sie brachen mit den Umorganisationen des Jahres 1952 durch.“ (S. 339)

Der Exkurs &#8222;Justiz in der >Volksdemokratie<: Parallelfall Polen?" (S. 342ff.) eröffnet dem Leser Einsichten in die Rahmenbedingungen der polnischen Justizpraxis nach 1944 und die Struktur und Tätigkeit der polnischen Justiz. Pohl beschreibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Justizentwicklung in Polen und Ostdeutschland.
Abschließend vergleicht Pohl die Zielsetzungen , die Organisation und die Justizpraxis totalitärer Diktaturen. Dabei betont er auch die Ambivalenz der Rolle der Justiz unter totalitärer Herrschaft: &#8222;Einerseits erhöht sie durch ihre Verfahrensmäßigkeit die Legitimität der Strafpolitik der Regime, andererseits entstehen dadurch auch Spielräume für die Juristen, im Einzelfall drakonische Gesetze abzumildern.&#8220; (S. 368)

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