E. Hackspiel-Mikosch u.a. (Hrsg.): Kleidung

Titel
Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation. Kleidung zwischen Repräsentation, Imagination und Konsumption in Europa vom 18. bis zum 21. Jahrhundert


Herausgeber
Hackspiel-Mikosch, Elisabeth; Haas, Stefan
Reihe
Studien zur Geschichte des Alltags 24
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gundula Wolter, Kunsthochschule Berlin-Weissensee, FB Modedesign, Geschichte und Theorie

Der Titel des Sammelbands ist Programm. Der Inhalt setzt sich aus neun Beiträgen der von Elisabeth Hackspiel-Mikosch und Stefan Haas initiierten Tagung „Uniformen fürs Zivile“ (Krefeld 2002) zusammen, ergänzt durch sechs weitere Aufsätze zwecks Verdichtung und Komplettierung. Mit vorliegendem Band wollen die Herausgebenden die Diskussion zur theoretischen Auseinandersetzung mit Uniformen in ihrer historischen und zeitgenössischen Dimension vorantreiben. Dies ist ihnen trotz - oder gerade wegen? - der Akzeptanz von sehr unterschiedlichen Annäherungen an das Sujet hervorragend gelungen.

Dem Hauptteil vorangestellt ist ein sehr informativer Beitrag von Hackspiel-Mikosch und Haas, der die für das Thema relevanten Standardwerke kurz und prägnant vorstellt und Forschungsdesiderate - hier vor allem die geringe Beachtung von Uniformen für die Inszenierung von Männlichkeit - formuliert. Der Hauptteil besteht aus drei Teilen. In seiner Gliederung spiegelt sich die zuvor präzise vorgestellte Argumentationsführung wider, die sich in drei Stränge gliedert: dem des Kontextes - Ziviluniformen als Resultat eines dynamischen Prozesses -, dem des Kommunikativen - Ziviluniformen erhalten ihre Bedeutungen in einem komplexen Prozess von Sinnstiftung und Wahrnehmung - und dem der Symbolik, des Verweisens. Hierdurch werden die fünfzehn Fachbeiträge aus unterschiedlichen Disziplinen in der Verschiedenheit, auch Gegensätzlichkeit ihrer Ansätze, in ihrer inhaltlichen Komplexität und ihren unterschiedlichen Forschungsfeldern sinnvoll strukturiert. Man ist aufgerufen, Bezüge herzustellen oder auch Widersprüche und Diskrepanzen aufzudecken, ihnen nachzuspüren und eigene Positionen zu entwickeln.

Die sechs unter dem Aspekt „Konfigurationen: Praktiken der Gestaltung und des Gebrauchs“ subsumierten Beiträge basieren zumeist auf schriftlichen Quellen (Staats-, Bundes- und Landesarchiven, Zentral- und Privatarchiven, Verordnungen, Erlassen, Gesetzesblättern, Akten, Protokollen, Bekleidungsvorschriften et cetera), die zum Untersuchungsgegenstand befragt werden.

Elisabeth Hackspiel-Mikosch dokumentiert und kommentiert auf hohem Niveau die „Vorläufer der zivilen Uniformen im 18. Jahrhundert“ anhand von schriftlichen und bildlichen Quellen der Hochzeitsfeierlichkeiten am Dresdener Hof August des Starken aus dem Jahr 1719. Sie interpretiert „Hofmonturen als Inszenierung fürstlicher Macht im höfischen Fest“, was ihr in allen Facetten vorzüglich gelingt. Monica Kurzel-Runtscheiner zeichnet die Anfänge und die Entwicklung der Ziviluniform in Österreich mittels neu erschlossenen Quellenmaterials aus österreichischen Archiven nach. Die im Titel genannten Veränderungen der höfischen Bekleidungsetikette - „Vom ‚Mantelkleid’ zu Staatsfrack und Waffenrock“ - werden hier erstmals kontextualisiert und in ihrer Bedeutung als Zeichen von hierarchischen Veränderungen beleuchtet. Beide Beiträge überzeugen durch ihre sorgfältige Recherche und ihre Beispielhaftigkeit. Der Aufsatz Marieluise Kliegels - „Von Tarifen und Versteigerungen. Bereiche der Livreeverwaltung an deutschen Adelshöfen vornehmlich im 19. Jahrhundert“ - gibt aufschlussreiche Einblicke in die Bedeutung und das Funktionieren von Livreekammernverwaltungen. Besonders interessant ist ihre Dokumentation der Weiterverwendung von abgetragenen Stücken, mit der Einschränkung, dass die hierfür benutzten Quellen wegen ihrer Datierung (1910/1913) irritieren. Gleichermaßen deskriptiv ist der Beitrag von Leonid Efimoviv Šepelev über „Ziviluniformen im zaristischen Russland“. Als wissenschaftlicher Archivar mit dem Interessensschwerpunkt Heraldik/ Ziviluniformen dokumentiert Šepelev zwar akribisch die Abfolge von Kleidererlassen und deren Umsetzungen, doch ohne Interpretationen anzubieten oder Hintergründe auszuleuchten. In scharfem Kontrast hierzu steht der höchst anregende Aufsatz „’Sarafan for Court Ladies’. Gendering Court Uniform in Russia“ von Olga Vainshtein, senior researcher an der Staatlichen Universität in Moskau. Die Autorin reflektiert hier zum einen die politische Bedeutung der Kleiderentscheidungen von Katharina der Großen, zum anderen deren geschlechtliche Implikationen. Es folgt die Darstellung der Entwicklung des Sarafans, eines ärmellosen Übergewandes, das zunächst von beiden Geschlechtern getragen wurde, bis es im 19. Jahrhundert zu einem ausschließlich weiblich konnotierten Kleidungsstück wurde. Diese Umdeutung führt sie überzeugend auf die Verstetigung der Geschlechterpolarität zurück. Den Abschluss bildet der sehr gut recherchierte Beitrag von Thomas Lüttenberg über “Beamte im Waffenrock. Genese und Charakter deutscher Ziviluniformen im Kaiserreich (1871 - 1918)“, in dem der Autor die verschiedenen Stadien der Entscheidungsfindung für neue Ziviluniformen rekonstruiert und die bisherige Annahme, Wilhelm II. sei der Initiator der Einführung des „altbrandenburgischen Waffenrocks“, falsifiziert. Lüttenberg interessiert hier vor allem der Aspekt der „Traditionserfindung“ (S. 134ff.) und die der Entscheidung für die Wiederbelebung von traditionellen Kleiderformen zugrundeliegenden Intentionen. Sein Beitrag hat exemplarischen Wert für die Uniform- und Trachtenforschung.

Der zweite Themenkomplex handelt von „Repräsentationen: Ziviluniformen als Symbol von politischer Herrschaft, sozialer Distinktion und kultureller Weltkonstitution“. Im Fokus steht hier die Ambivalenz in der Wahrnehmung von Ziviluniformen. Insa Großkraumbach konkretisiert dies am Beispiel eines „doppelt beschriebene[n] Körper[s]“, der Uniform eines ländlichen Polizeidieners im frühen 19. Jahrhundert. Ausgehend von der Annahme, „dass vestimentäre Codes nicht nur über ihre Visualität, sondern auch und wesentlich über die Performanz ihres Trägers sowie durch die Reaktionen und Beurteilungen der sozialen Umwelt […] Bedeutung generieren“ (S. 150), erweitert sie den üblichen Zugang zur Uniformforschung - die Dechiffrierung von Codes - durch Einbeziehung von weiteren Komponenten wie Gestik, Handlungsebene, zeitlich-räumlichem Kontext et cetera. Ihr Beitrag steht exemplarisch für eine sinnvolle Verknüpfung von Identitäts- und Interaktionsforschung mit Körpergeschichte und sozialer Kleiderforschung (S. 151), nur wünschte man sich etwas prägnantere Aussagen und Schlussfolgerungen. Die zwei daran anschließenden Aufsätze sind in dieser Beziehung klarer. Jochen Rammings Beitrag „’… in dem Costüme eines protestantischen Geistlichen’“ handelt von der Verbreitung und dem Symbolgehalt des Rabbinerornates in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mithilfe von Amtstrachten und Ziviluniformen soll Anfang des 19. Jahrhunderts die Achtung und der Respekt von öffentlichen Ämtern gefördert werden. Der Autor hebt hier besonders die große Vorbildfunktion des Protestantismus für die jüdische Gottesdienstreform hervor, die sich an der formalen Annäherung der Ornate ablesen ließe. Ralph Winkle, tätig am Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrung“ der Universität Tübingen, analysiert die „Symbolpolitik in der Disziplinargesellschaft des 19. Jahrhunderts“ am Beispiel von Volksorden und Uniformierung. Der Autor geht auf alle wichtigen Bedeutungsebenen ein, die mit staatlichen Auszeichnungen und ihrem sozialen Ansehen verbunden sind, wie: Repression – Gratifikation; Standardisierung – Individualisierung; Nivellierung – Subjektivierung; Unterwerfung – Honorierung. Besonders aufschlussreich ist das Kapitel über Wert- und Bedeutungsverluste als Folge inflationärer Verleihungspraxis (S. 188ff.). Der Aufsatz von Čedomir Vasić: „From Prince’s Servant to Civil Servant. Civilian Uniforms in Serbia in the 19th Century“ ist wiederum sehr deskriptiv, während sich der Beitrag Alexandra Hillringhaus über “Propaganda und Provokation. Politische Uniformen in Deutschland zwischen den Weltkriegen“ durch ein bemerkenswert hohes Maß an analytischer Durchdringung und intelligenter Kontextualisierung auszeichnet. Sämtliche Formen der Uniformierung nach 1918 werden von Hillringhaus zunächst als generelles Ordnungsprinzip gesehen. Anschließend arbeitet die Autorin überzeugend die - teils nur minimalen - Unterschiede zwischen den vier wichtigsten Verbänden in der Phase „symbolischer Aufrüstung“ (1918 – 1925) heraus und interpretiert und bewertet sie. Den Themenkomplex beschließt Efrat Tseëlon mit einer ambitionierten Zusammenstellung der Argumente pro und kontra Schuluniform. Ausgehend von der Geschichte der Uniformierung rekapituliert Tseëlon die wesentlichen Argumente pro Schulkleidung, konfrontiert sie mit Gegenargumenten und konstatiert, dass die Befürworter fast ausschließlich mit Annahmen operieren, für Erfolge gebe es keine Beweise.

Die letzten drei Aufsätze sind unter dem Titel „Imaginationen: Die Uniform als Traum und Wahn“ subsumiert. Die Beiträge zeigen bislang eher unübliche Wege auf, sich dem Thema ‚Ziviluniform’ zu nähern. Shoshana-Rose Marzel spürt dem symbolischen Gebrauch von Uniformen in Émile Zolas Romanzyklus „Les Rougon-Macquart“ nach und stellt fest, dass Zola das Handeln in und mit Uniformen nicht nur als Werkzeug zur Beschreibung von Realität, sondern auch als Träger von symbolischen Botschaften einsetzt. Der Beitrag von Heidi Helmhold und Birgit de Boer dokumentiert eine im Rahmen der Tagung vorgeführte Performance über “Fassadenkleidern. Von der Architektur des uniformen Körpers. Ein- und Ausrüstungen in EchtZeit“. Ihre „VortragsAktion“ arbeite, so Helmhold/ de Boer, „am Schnittfeld von wissenschaftlicher und populärer Gegenstandsrezeption“ (S. 255) und solle dem Gegenstand mittels Trivialisierung und Popularisierung seine „wissenschaftliche Ästhetisierung“ entziehen (S. 257). Abschließend diskutiert die Kulturwissenschaftlerin Elke Gaugele im Sprachduktus der Genderforschung „Uni-Formen des Begehrens. Uniformen, Fetischismus und die textile Konstruktion moderner Genderidentitäten“. Ausgehend von der Annahme, dass Kleidung ein „zentrales Medium der Genderkonstruktion [ist], über das ein kulturell und sozial genderisierter Körper geschaffen wird“ (S. 284), kommt die Autorin zu dem Schluss, dass „Die ‚Erotik der Macht’ des gepanzerten, uniformierten Männerkörpers […] in der heterosexuellen Kultur der Moderne zur Figur der Domina transformiert“ wird (S. 282). Bei Gaugele zeigt sich besonders deutlich, in welcher eindrücklicher Weise sich Blickwinkel durch interdisziplinär konzipierte Projekte erweitern können.

Die Beiträge des Sammelbandes weisen eklatante Unterschiede im Sprachgebrauch, in ihrer Methodik und in ihrer inhaltlichen Substanz, analytischen Qualität und Aussagekraft auf. Dies ist vor allem auf die verschiedenen Hintergründe der Autorinnen und Autoren - vertreten sind die Disziplinen Geschichte, Kunstgeschichte, Textilwissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Kulturwissenschaft, Volkskunde, Geschlechterforschung, Ästhetik und Kommunikation - zurückzuführen. Doch dadurch, dass die Aufsätze mit Überlegung ausgewählt, intelligent zusammengestellt und erfreulich sorgfältig redigiert sind, kommt es beim Lesen zu keinen größeren Irritationen. Das im Vorwort von Hackspiel-Mikosch und Haas formulierte Anliegen, durch den Sammelband die Diskussion um Ziviluniformen „in theoretisch-konzeptioneller wie empirisch-analytischer Hinsicht voran[zu]bringen“ (S. 8), ist bestmöglich erreicht. Das vorliegende Werk ist ein erster - allerdings ein bemerkenswert ambitionierter und in dieser Form auch mutiger - Schritt, der aufs Neue vor Augen führt, wie wichtig ein wissenschaftlicher Austausch respektive eine Kooperation zwischen den verschiedenen Disziplinen zu Fragestellungen der Kleiderforschung ist und wie groß die Lücken in der Grundlagenforschung zu Kleiderthemen gegenwärtig noch immer sind. 1

Anmerkungen
1 Näheres hierzu siehe Wolter, Gundula, Verdammt, verlacht, verspottet - Schand- und Zerrbilder der Mode, in: Rasche, Adelheid; Wolter, Gundula (Hrsg.), Ridikül! Mode in der Karikatur 1600 - 1900, Berlin/ Köln 2003, S. 18 - 38, hier S. 33ff.