Titel
Noten nach Plan. Die Musikverlage in der SBZ / DDR-Zensursystem, zentrale Planwirtschaft und deutsch-deutsche Beziehungen bis Anfang der 1960er Jahre


Autor(en)
Hinterthür, Bettina
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
574 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Lokatis, Historisches Institut, Universität Potsdam

Für die Verlagsgeschichte der DDR ist „Noten nach Plan“ ein grundlegendes Werk, ja, ein Glücksfall, weil mit einem einzigen Buch so gründlich wie anschaulich gleich eine ganze Reihe dringender Desiderate aufgearbeitet werden.

Es entfaltet akribisch recherchierte und pointensicher dargestellte, spannende Verlagsgeschichten, sowohl von traditionsreichen Firmen wie Breitkopf & Härtel, Friedrich Hofmeister und C.F. Peters (die Enteignung des jüdischen Alteigentümers durch die SED im Bündnis mit Arisierern bietet ein schauriges Kriminalstück) mit ihrer hochkomplizierten deutsch-deutschen Streit- und Beziehungsgeschichte, als auch von DDR-Neugründungen wie den VEB Lied der Zeit (dessen Gründer, der Arbeitersänger Ernst Busch, bei der SED in Ungnade fiel, als er sich der Verstaatlichung widersetzte), Deutscher Verlag für Musik (der gegründet wurde, um trotz des Breitkopf & Härtel- Boykotts der Westverlage eine gesamtdeutsche Bach- und Händel-Ausgabe zu ermöglichen) und Verlag für neue Musik (trotz der langjährigen Ausgrenzung von Zwölftonmusik).

Erstmals erfährt man auch Näheres über das Schicksal einer Vielzahl kleinerer Musikverlage, die nach 1945 keine Lizenz erhielten. Für die Zeit vor dem 2. Weltkrieg, als in Leipzig 85 Prozent aller irdischen Noten gedruckt wurden, wird deren Zahl auf wenigstens 60 geschätzt. Und da es der Autorin um die Gesamtheit der verlegerischen Musikproduktion geht, kommen auch Verlage in Betracht, die, wie der Mitteldeutsche Verlag in Halle und der Thüringische Volksverlag, nur zeitweise oder, wie Tribüne, Neues Berlin und der Militärverlag, gelegentlich Musikalien herstellten. Wie viele auch über den engeren Bereich der Musik hinausweisende verlagsgeschichtliche Details zu solchen Firmen finden sich allein in den Fußnoten!

Behandelt wird, wie man wohl früher gesagt hätte: „allseitig“ das ganze Tableau der Musikalienproduktion: die Musikzensur wie die Druckereien, die Notenstecher wie der Zwischenbuchhandel, der Leihverkehr und die Devisenpolitik, das Papiergeschäft und die Rechteverwertung im deutsch-deutschen Spannungsgeflecht, womit auch endlich einmal auf die Rolle der AWA („Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiete der Musik“) in ihrer Beziehung zur GEMA eingegangen wird. Wir erfahren von der Unterdrückung der Gesangsvereine (künftig eine Sache der Massenorganisationen) und dem Ende der Arbeiterchöre in der frühen DDR, von Begutachtungsschlachten zwischen Berliner und Dresdner Komponistenzirkeln und, Beethoven hätte den Zensor umarmt, von dem Verbot einer Bearbeitung der Neunten Symphonie für Akkordeonorchester.

„Die Auswirkungen der deutschen Teilung auf die vielen in Leipzig, dem Zentrum des deutschen Musikalienverlags, ansässigen Musikalienverlage, auf die Musikalienverlegung in der SBZ/DDR insgesamt und auf den Musikalienexport (a), die Integration des Musikalienhandels in das System der zentralen Planwirtschaft durch die Neugestaltung der Eigentumsverhältnisse der Musikverlage, der Musikalienproduktionsstätten und des Musikalienzwischenhandels und -sortiments und die damit verbundenen Folgen für die verlegerische Arbeit (b) und schließlich die Ausbildung und das Zusammenspiel der Instanzen, die an der Planung von Musikalienverlagen maßgeblich beteiligt waren (c), bilden die zentralen Schwerpunkte der Untersuchung (S. 12 f.).

Ein komplizierteres Thema scheint kaum vorstellbar. Die Autorin untergliederte ihren Stoff in vier Teile, die den Phasen 1945 -1951 (mit einem instruktiven Rückblick auf das Leipziger Musikverlagswesen in der Vorkriegszeit), 1951-1953, 1953-1957 und 1958 bis Anfang der 1960er-Jahre gewidmet sind. Danach hatte das Musikverlagswesen der DDR nach reichlichen Turbulenzen einen bis 1989 weitgehend stabilen Zustand erreicht.

Man kann dem Buch nur möglichst viele kluge Leser wünschen. Es ist jedoch in einer wirtschaftshistorischen Schriftenreihe erschienen, wo es sein Publikum nicht leicht finden wird, leider auch ohne Register, wofür der Verlag bei einem solchen Preis scharf zu tadeln ist. Dabei ist „Noten nach Plan“ keineswegs nur für Bücherfreunde und Musikwissenschaftler von Interesse, sondern bietet Sozial- und Kulturwissenschaftlern, Transformationsforschern und DDR-Historikern mit gesamtdeutschem Horizont ein Füllhorn von Anregungen und neuen Einsichten.

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