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Titel
Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik


Autor(en)
Hachmeister, Lutz
Erschienen
Anzahl Seiten
283 S.
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Otfried Jarren, Universität Zürich, Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ)

Der Autor hat sich viel vorgenommen: Er will den Übergang zur „Berliner Republik“ skizzieren anhand des Wandels des politischen Journalismus in Deutschland. Anhand ausgewählter politischer Publizisten und politischer Formate (Printmedien wie Fernsehen) will er zeigen, wie sich dieser Wandel vollzogen hat und vollzieht. Biografische Skizzen wie auch Fallstudien über den „neuen“ politischen Journalismus in der neuen deutschen Hauptstadt Berlin sollen den Strukturwandel im politischen wie auch im medialen System gleichermaßen aufzeigen. Im Unterschied zum üblich gewordenen sozialwissenschaftlichen Zugriff mit Strukturanalysen und aggregierten Befunden auf Basis von Befragungen oder Inhaltsanalysen, hält sich Lutz Hachmeister an die publizistischen Persönlichkeiten und ihr Programm, ihre Erfolge, ihre Niederlagen und ihre Ziele. Und er setzt bei der publizistischen Elite und den Elitemedien an. Vereinzelt werden auch Politiker in die Betrachtungen einbezogen. Das Auswahlverfahren ist aber hoch selektiv: Die Analyse basiert auf der Medienberichterstattung, vielfach werden medienkritische Veröffentlichungen aus Medien verwendet, in einigen Fällen wurden auch Interviews geführt. Damit wird vor allem das rekonstruiert und diskutiert, was medienöffentlich von Journalisten oder über journalistische Akteure behauptet wurde. Politische Prozesse und Entscheidungen bleiben in dieser Analyse ausgespart, so dass letztlich keine sicheren Aussagen über den postulierten Journalismuswandel und die Folgen für das politische System (bezogen auf das Verhältnis zu politischen Akteuren, Prozessen oder politischen Entscheidungen) möglich sind. Hier hält sich Hachmeister wohltuend mit Bewertungen zurück, wenngleich schon ein kritisches Bauchgrimmen über den Zustand des politischen Journalismus deutlich wird. Mehr aber als ein Grimmen ist es nicht, denn von „Mediokratie“ (Thomas Meyer), also einem überbordenden Einfluss der Medien auf die Politik, geht Lutz Hachmeister explizit nicht aus. 1 Ihn stört vielmehr das mehrheitlich vorhandene Berufs- und Rollenverständnis heutiger politischer Publizisten.

Hachmeister wählt als Heuristik das journalistische Feld und bezieht sich dabei explizit, aber knapp, auf Bourdieu. Er geht „grundsätzlich und zeitdiagnostisch“ (S. 10) vor und fragt, ob der Berliner politische Journalismus noch dazu taugt beziehungsweise befähigt sei, eine „Gegenelite“ (S. 47) zu bilden, also autonom über gesellschaftlichen Wandel zu berichten und zu reflektieren und damit zur gesellschaftlichen Selbstaufklärung beizutragen. Das Votum ist klar: Der Autor zweifelt am deutschen politischen Journalismus, aber wohl auch an den anderen gesellschaftlichen Eliten, die sich alle bequem eingerichtet hätten. Man spürt es: Hachmeister ist den journalistischen Eliten nahe, er ist partiell bei ihnen, weil er ihre Funktion und Rolle grundsätzlich anerkennt, aber zugleich ist er nicht dabei – weil er nicht dabei sein will? Es wird nicht nur kritisiert, sondern vielfach auch hämisch kommentiert. Lebenswelt, Habitus und Mentalität von politischen Journalisten sollen offen gelegt werden, soweit es die (Zeitungs-)Quellen und Interviewpartner hergeben. Als Leser muss man hier einiges aushalten können, denn der Grad an Vetternwirtschaft und Korruption in den deutschen Landen scheint groß. Vor allem wird deutlich, wie wenig politisch-moralische Substanz hinter manchem Qualitätsmedium zu stecken scheint. Doch: Ist das tatsächlich ein neues Phänomen?

Was dabei herauskommt, ist lesenwert, weil äußerst material- und faktenreich – zumindest bezogen auf einzelne journalistische Akteure (politische Publizisten) und ihre Redaktionen beziehungsweise Medienhäuser: Das Interesse des Autors richtet sich auf die „publizistische Persönlichkeit“. Damit wird ein anderer Akzent gesetzt als in den meisten kommunikations- und politikwissenschaftlichen Studien, die politische Kommunikationsstrukturen und Rollenträger erfassen, sich aber für Einzelne nicht (mehr) interessieren. Diese Akzentsetzung macht die Analyse grundsätzlich interessant, es werden aber auch die Grenzen der Erklärung deutlich, weil die strukturellen Dimensionen – zumal bezogen auf das politische System mit seinen Akteuren – ausgeblendet und vernachlässigt werden. Dafür aber, und dass macht die vorliegende Analyse innovativ und relevant, wird das journalistisch-politische Aktionsfeld in Berlin plastisch herausgearbeitet. Es werden die Orte, die Kreise und die Vorder- wie die Hinterbühnen benannt und ausgeleuchtet, es wird „das Amalgam von Publizistik, Politik und Entertainment“ (S. 23) klar benannt, es wird mit dem zunehmenden „Prominenzjournalismus“ und seinen vielfältigen Berliner Formen detailreich bekannt gemacht und abgerechnet. Vor allem die neuen Rollen politischer Publizisten, und Sabine Christiansen ist ja nur eine davon gewesen, nimmt Lutz Hachmeister aufs Korn. In den Fallstudien zeigt sich die Stärke des Vorgehens, denn hier werden viele Details ausgebreitet und Zusammenhänge dargestellt – das politische Publizistenfeld samt Filz und Vetternwirtschaft erhält Konturen.

Wandel und Umbruch in der politischen Hauptstadtkommunikation werden postuliert, ohne allerdings genauer auf die „Bonner Zeiten“, auf das „Raumschiff Bonn“ mit seinen spezifischen Beziehungsmustern zwischen Politikern und Journalisten einzugehen. die zentrale Schwäche des Bandes: Wie war es in der „Bonner Republik“? In der „Berliner Republik“ sei alles anders, zudem sei – so der Autor – die politische Kommunikation schlechter geworden: Nicht Politik wird vermittelt, sondern Journalisten und Politiker sind auf das engste miteinander verbandelt oder untereinander zerstritten, stellen sich in den zahllosen Talkshows dar, buhlen um Aufmerksamkeit zur Steigerung von Prominenz und Marktwert. Aus dem linksliberalen Projekt des politischen Journalismus (noch aus der Bonner Zeit stammend) mag noch kein neoliberales Projekt geworden sein, wohl aber macht Hachmeister einen „Generationswandel in der deutschen Publizistik“ aus (S. 64), mit einer Tendenz zur Entpolitisierung oder Eventisierung der politischen Kommunikation.

Doch was bringt das Hochhalten der „Leitpublizisten“ aus der Bonner Zeit? Hachmeister nennt alle Namen – wird da nicht ein Mythos erzeugt? Waren das alles unabhängige Persönlichkeiten, ohne PR- oder Lobby-Mandate, ohne monetäre Interessen und ohne Eitelkeiten? Wohl kaum. Mancher politischer Leitpublizist der „Berliner Republik“ mag einem nicht gefallen, aber herrscht erst seit heute eine „Mischung aus journalistischer Behäbigkeit und schriller Thesenpublizistik“ (S. 78) vor, existiert nur noch eine „Berliner Windmaschine“ (S. 82) in Form von wechselnden Politiker-PR-Lobby-und-Journalismus-Netzwerken? Auch wenn der ehemalige deutsche Bundeskanzler Schröder, von Hachmeister wiederholt zitiert, von „vermachteten Medien“ (S. 100) in der „Berliner Republik“ phantasiert hat – besonders glaubwürdig sind diese Aussagen nicht. Schröder wird ohnehin zu oft als Kronzeuge aufgeführt.

Auch in der Bonner Zeit gab es, wie wir in einer Reihe von jüngst erschienen Publikationen zu frühen Formen der „Medialisierung“ von Politik nachlesen können, vielfältige Formen von Kooperation und Konflikt zwischen Medienhäusern und Politikern. Der Filz zwischen Kohl sowie einem Teil seines Kabinetts und der Kirch-Gruppe ist ein auch im vorliegenden Band dokumentiertes Beispiel für die anhaltenden Tauschgeschäfte zwischen Politik und Medien. Der Wechsel von der „Bonner“ zur „Berliner Republik“ wird postuliert, aber nicht untersucht. So bleibt offen, weshalb erst in Berlin eine „nervöse Zone“ existieren soll.

Lutz Hachmeisters Buch ist kein Schnellschuss, sondern eine auch im theoretischen Anspruch überlegt konzipierte Studie. Es ist vor allem eine zeitgenössische Analyse, die aufgrund der dichten Beschreibungen in den Bann zieht und die zugleich Informationen bietet, die in streng methodisch vorgehenden empirischen Analysen zumeist fehlen. Luzide formuliert und zugespitzt argumentierend bietet der Autor uns einen Aufklärungsversuch an, und das ist nicht wenig: Über den Zustand der politischen Publizistik und den politischen Journalismus zu räsonieren ist eine Voraussetzung für ein besseres Selbstverstehen – zumal in der Profession der politischen Journalisten. Durch die vielen Hinweise auf Veränderungen in Politik und Gesellschaft in diesem Buch wird aber auch deutlich, dass mögliche Veränderungen im Journalismus nur im Kontext einer Analyse des Wandels des politischen Systems verstanden werden können. Dem „Feld des Politischen“ wäre demnach für die „Berliner Republik“ Aufmerksamkeit zu schenken. Der vorliegende Band liefert dazu viele Hinweise, aber noch keine hinreichende Analyse. Vielleicht wäre das ein zukünftiges, gemeinsames Projekt des politischen Publizisten Lutz Hachmeister mit einem publizistisch profilierten Politologen beziehungsweise einer Politologin?

Anmerkung:
1 Vgl. Meyer, Thomas, Mediokratie. Die Kolonialisierung der Politik durch das Mediensystem, Frankfurt am Main 2001.

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