Cover
Titel
Staatsfinanzen - Staatsverschuldung - Staatsbankrotte in der europäischen Staaten- und Rechtsgeschichte.


Herausgeber
Lingelbach, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
VII und 384 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhold Zilch, Berlin

Der vorzustellende Band dokumentiert Beiträge eines Symposiums an der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom März 1998, das Rechtswissenschaftler, Historiker, Theologen und praktische Juristen zu dem immer aktuellen Thema der Staatsfinanzwirtschaft zusammenführte. Das zu große thematische, zeitliche und methodische Spektrum verbietet eine eingehende Vorstellung aller 24 abgedruckten Aufsätze und mag zu der Entscheidung des Herausgebers geführt haben, sie in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen abzudrucken. Zu allem Überfluss fehlen im Inhaltsverzeichnis (S. IX f.) einige Untertitel, was die Orientierung des Lesers unnötig erschwert (so z.B. für Jörn Eckert, Privatrecht und Staatsbankrott. Zur juristischen Bewältigung von Inflation und Aufwertung 1923/24, S. 87-106; Gerhard Lingelbach: Die Große Inflation 1923 - ein Staatsbankrott des Reichs? Zur Bewältigung der Inflation im Zusammenspiel von Judikatur und Exekutive, S. 203-235; Gábor Mathé, Staatshaushalt - Staatswirtschaft - Privatwirtschaft. Gegenstände des Staatsvermögens, dessen Bestimmung und die Organisation des Schatzamtes in Ungarn, S. 237-250). Andere Aufsätze versprechen mit globalen Titeln mehr als sie dann tatsächlich bieten - bei aller Achtung vor akribischen Detailstudien: Reinhard Heydenreuters Untersuchung „Der Steuerbetrug und seine Bestrafung in den deutschen Territorien der frühen Neuzeit“ (S. 167-183) beschränkt sich „auf ein paar Beispiele aus dem Herzogtum und Kurfürstentum Bayern“ (S. 167). Ähnlich reduzieren sich die Belege von Bernd-Rüdiger Kern zur landesherrlichen „Kontrolle über die Gemeindeverschuldung in frühneuzeitlichen Rechtsquellen“ (S. 191-202) auf das Kurpfälzer Recht und dessen Ausstrahlung in die Oberpfalz, nach Württemberg, Baden-Hachberg, Kurbayern, Würzburg und Kurhessen. Und Klaus-Peter Schroeder exemplifiziert seine „Notizen zur reichsstädtischen Finanzlage am Vorabend des Reichsdeputationshauptschlusses“ (S. 293-304) an der Entwicklung in Lindau am Bodensee sowie in der nur wenig bekannten, bei Heilbronn gelegenen Reichsstadt Wimpfen.

Drei Beiträge sind staatsfinanzwissenschaftlicher bzw. staatsrechtlicher Natur ohne historischen Diskurs (Herbert Giersch, Staatsverschuldung in der offenen Gesellschaft, S. 117–122; Janos Zlinsky, Verfassungsmäßiger Schutz des Geldes. Eine thesenhafte Skizze, S. 383f.) bzw. untersuchen die „Verfassungsrechtliche Funktion und [den] Schutz des Geldes unter dem Grundgesetz“ (Christian Waldhoff, S. 335-355) sowie „Die Staatsverschuldung und das demokratische Prinzip der Herrschaft auf Zeit“ (Reinhard Mußgnug, S. 251-262).

Die insgesamt 21 historischen Überblicksdarstellungen und Spezialuntersuchungen, einige ohne bzw. nur mit summarischen Quellenangaben versehen, spannen einen zeitlichen Rahmen vom Mittelalter (Günter Baranowski, Zum Abgaben- und Gebührenwesen in der Kiever „Rus“, S. 1-22; Enno Bünz: Bistumsfinanzen und Klerusbesteuerung als Problem der vorreformatorischen Kirche, Das Subsidium caritativum im Erzbistum Mainz, S. 67-86) bis zum Ende des 20. Jahrhunderts (Katalin Botos: Die Ungarische Nationalbank und der Staatshaushalt in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Rolle der Ungarischen Nationalbank bei der Staatsfinanzierung, S. 23-37). Die Untersuchungen von Klaus Franzen „Zur Geschichte unserer gegenwärtigen Staatsverschuldung“ (S. 107-116) sowie von Hans Hattenhauer „Bonn und Weimar“ (S. 145-165) versuchen zudem direkt Entwicklungen bis ins Heute aufzuzeigen bzw. Schlussfolgerungen für die Finanzpolitik zu ziehen. Hervorhebenswert sind mehrere, teilweise aus den Akten gearbeitete Untersuchungen zur Frühen Neuzeit (Christian Hattenhauer, Anmerkungen zur Regulierung der Staatsschulden nach dem Dreißigjährigen Krieg, S. 123-144; Dietrich Pirson: Das bayerische Schuldenwerk aus dem 18. Jahrhundert, S. 263-276; Uwe Schirmer: Die Institutionalisierung fürstlicher Schulden in Sachsen im 15. und 16. Jahrhundert, S. 277-292; Jörg Wolff: Reformation und staatliche Finanzwirtschaft in Brandenburg, S. 357-381). Letzterer Beitrag irritiert aber dadurch, dass als Quelle zur brandenburg-preußischen politischen und Geistesgeschichte des 16. Jahrhunderts ausführlich neben Theodor Fontanes „Wanderungen“ aus dem 1848 erschienenen Roman von Willibald Alexis „Der Werwolf“ zitiert wird. Episoden aus dem Übergang ins 19. Jahrhundert und zum Konstitutionalismus beschreiben Jürgen Brand „Die Assignaten oder: der revolutionäre Bankrott“ (S. 39-53), Harm-Hinrich Brandt „Der österreichische ‘Staatsbankrott’ von 1811. Rechtliche Problematik und politische Konsequenzen“ (S. 55-65) und István Kajtár „Modernisierung in Ungarn im 19. Jahrhundert und die Staatsfinanzen anhand rechtshistorischer Beispiele“ (S. 185-190). Im späten 19. Jahrhundert schließlich sind die Ausführungen von Andreas Thier zur „Steuergesetzgebung und Staatsfinanzen in Preußen 1871-1893“ (S. 311-333) angesiedelt, während Ferenc Sik die „Steuerpolitik in Ungarn 1914 bis 1918“ (S. 305-309) beschreibt, wobei für die nicht eng mit der Finanzgeschichte der Habsburger Monarchie vertrauten Leser Ausführungen zur Steuerpolitik im cisleithanischen Landesteil sowie zur gesamtstaatlichen Kriegsfinanzpolitik wünschenswert gewesen wären.

Geographisch entfallen somit neben jeweils einem Aufsatz zur Kiever Rus, zu Frankreich und einem zu Österreich vier Studien auf Ungarn sowie 15 auf Deutschland bzw. deutsche Territorien. Damit bleibt die im Titel versprochene europäische Sicht doch punktuell.

Abschließend bleiben dem Rezensenten angesichts dieses Konglomerats drei Anmerkungen: Erstens ist es sehr bedauerlich, daß die Autoren mit ihrem wissenschaftlichen Umfeld nicht vorgestellt werden, was die Einordnung ihrer Forschungen und die Bewertung ihrer spezifischen Sichtweisen erleichtern würde. Zweitens leidet dieser Protokollband - wie die meisten! - daran, dass Inhalte und Ergebnisse der wissenschaftlichen Diskussionen auf dem Symposium ausgespart bleiben und die im Dialog gewonnenen Anregungen und Erträge nicht in einem zusammenfassenden Bericht aufgenommen wurden. Schließlich wäre es drittens reizvoll gewesen, auch mit den staatsfinanziellen Anschauungen von Robert Gf. Hué de Grais bekannt zu werden, fand doch die Tagung mit Unterstützung des Fördervereins Hué de Grais Wolkramshausen e.V. statt. Sein Namensgeber war Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur als Regierungspräsident von Potsdam sondern vor allem als Autor zahlreicher juristischer und verwaltungsrechtlicher Veröffentlichungen einer der bekanntesten preußischen Beamten. Größte Verbreitung fand sein „Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen und dem Deutschen Reiche“, das zu Lebzeiten 22 Auflagen (zuletzt 1914) hatte und in dem jeweils ein ganzes Kapitel die Überschrift „Finanzen“ trug. 1

Anmerkung:
1 In der 16. Aufl., Berlin 1904 z.B., die 658 Seiten umfasste, war es das Kap. 5, S. 172-253.

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