R. Sabbatini (Hrsg.): L'occhio dell'ambasciatore

Titel
L’occhio dell’ambasciatore. L’Europa delle guerre di successione nell’autobiografia dell’inviato lucchese a Vienna


Herausgeber
Sabbatini, Renzo
Reihe
Collana del Dipartimento di Studi Storico Sociali e Filosofici, Facoltà di Lettere e Filosofia (Arezzo) – Università di Siena
Erschienen
Milano 2006: Franco Angeli
Anzahl Seiten
391 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Zollinger, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Wirtschaftsuniversität Wien

Mag die Republik Lucca zwar nicht als ergiebigstes Forschungsobjekt bei der Untersuchung diplomatischer Beziehungen des 18. Jahrhunderts erscheinen, so lohnen gerade die diplomatischen Aktivitäten wegen der Fragilität dieser Republik im Schnittpunkt internationaler Machtansprüche das historiografische Interesse. Dies um so mehr, wenn eine handelnde Person zum Ausgangs- und Angelpunkt der Darstellung gemacht wird. Mit diesem Zugriff gelingt Sabbatini eine Brechung auf mehreren Ebenen, die er zur Basis von Perspektivenwechseln macht – zu einem „gioco di sguardi“. Der in diplomatischen Diensten stehende Carlo Domenico Mansi (1682-1750) ist die Zentralfigur, deren Werdegang und diplomatische Tätigkeit eng mit dem Europa der Erbfolgekriege verwoben wird. Zentrale Quelle der Darstellung ist die Lebensbeschreibung Mansis („Memoria della mia vita“), die dieser seinen Söhnen hinterlassen hat, die jedoch nur bis 1734 reicht. Die restlichen sechszehn Jahre, die Mansi ebenfalls im Dienste Luccas verbrachte, beschreibt Sabbatini anhand reichhaltigen Quellenmaterials.

Zunächst wird das soziale und kulturelle Umfeld analysiert, Familie, Erziehung und Ausbildung, sein Status als Adeliger im republikanischen Gemeinwesen, soziale und ökonomische Aktivitäten. Als „gentiluomo“ einer kleinen und armen Republik, deren „Wohlstand“ wie der des Hauses Mansi hauptsächlich in Oliven besteht, konnte auch Carlo Domenico keine großen Reichtümer und Ehren erwarten. Vielleicht diente das auch nur zur nachträglichen Rechtfertigung seines Lebensnarrativs, das von ausgeprägtem Individualismus, Streben nach Unabhängigkeit und Mobilität gekennzeichnet ist. Andererseits ist seine politische Identität dezidiert republikanisch und meritokratisch. Sie erlaubt geistige Freiheit und Urteilsvermögen im Gegensatz zur Servilität und Enge aristokratischer Sozietäten. Obwohl Sabbatini nachweist, dass das von Mansi angetretene Familienerbe bescheiden war, reichte es aus, um seiner Passion des Reisens zu frönen. Den „nobile genio del viaggio“ empfahl er als beste Schule für Adelige, die nicht das Glück hätten, an einem großen Hof mit internationalem Publikum erzogen worden zu sein. Reise-Erfahrungen bedeuteten Renommee, selbst in „modern“ anmutender Form, wie etwa im Falle Hollands, „che viddi quasi tutta ma in breve tempo“. Die individuelle Passion lässt sich allerdings auch in das Schema der „Grand Tour“ einschreiben, als Akkumulation von kulturellem Kapital. Sie ermöglichte den mit Empfehlungsbriefen ausgestatteten Reisenden Zutritt zu Höfen, aber auch ökonomisch vielversprechende Bekanntschaften wie jene von John Law, den Mansi in Paris kennen lernt.

Bald nachdem er, im Alter von vierzig, den Widerwillen gegen die Bindung durch Heirat (die seine materielle Basis deutlich erweiterte) überwunden hatte, verpflichtete ihn die Republik zu diversen öffentlichen Diensten (Mitglied einer Kommission, die sich mit der ökonomischen Krise beschäftigte) und zu einer Reihe von Auslandsmissionen. Der bedeutendste Auftrag sollte ihn nach Wien führen, wo er 1736 bis 1742 und 1745 bis 1748 im diplomatischen Dienst tätig war. Sabbatini analysiert die organisatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen dieses „Berufs“, der sich erst anschickte, ein solcher zu werden. So verstand sich Mansi mehr als „uomo di mondo“ denn als Diplomat. Eine Berufung gründete sich außer auf die adelige Erziehung in einem der seminaria nobilium auf den Usus, dass sich potenzielle Aspiranten ihre Erfahrungen in Begleitung von Verwandten aneigneten. In der Tat sollte auch der Erstgeborene Sohn Mansis den Vater als „camerate“ nach Wien begleiten, wo er später durch seine guten Beziehungen zum Hof als Vermittler in Lottogeschäften tätig war, bevor er selbst zu einem der bekanntesten Lottoentrepreneurs (in Württemberg und Brüssel) avancierte. In Lucca gab es zudem eine Verflechtung von außen- und innenpolitischen Chargen, die auf den „familialen“ bzw. „konsortialen“, auf dem gleichen Familiennamen und Geschlechterwappen beruhenden Zuschnitt der republikanischen Machtausübung zurückzuführen ist.
Detailreich werden Alltagsaspekte des diplomatischen Daseins beschrieben: vom begrenzten Handlungsspielraum über die Pflicht zur Korrespondenz und zur Archivierung, den Fährnissen von Chiffrierung, Zensur und Post, den Lebenshaltungskosten (auch für die „numerosa famiglia“, der Mansi in Wien vorsteht) und Ausgaben im korrupten Klientelismus der Residenzstadt bis hin zur unzureichenden Alimentierung von Seiten des lucchesischen „Officio“. Viele Aspekte rekonstruiert Sabbatini aus Dokumenten von Vorgängern und Nachfolgern Mansis. Während es dem Autor gelingt, die Netzwerke, in denen der außerordentliche Gesandte (und später Botschafter) seinem Metier nachgehen musste, umfassend zu rekonstruieren, ist die Beschreibung Wiens und des Wiener Hofs wohl hauptsächlich für italienische Leser gedacht und bildet – auch wegen der eher schmalen Literaturbasis – einen Schwachpunkt der Arbeit.

Das titelgebende Kapitel „Das Auge des Botschafters“ nimmt die kulturelle Perspektive Mansis auf und präsentiert dessen Ansichten zum „carattere de’ Principi“ und zum „genio de’ popoli“, zum System der politischen Beziehungen in Europa und zur „nazione austriaca“. Es ist einerseits nicht alles durch das Auge des Botschafters gesehen, denn Mansis Begegnungen mit Ludwig XIV., Frankreich oder England fanden vor seinen Missionen statt. Hier ist jedoch anzumerken, dass, wenngleich nicht alles, so doch ein (großer?) Teil dieser Beobachtungen den stereotypen Charakter zahlreicher Reisebeschreibungen dieser Zeit aufweisen. Auch Mansis Ausführungen zum österreichischen „Nationalcharakter“ entbehren der vom Autor konstatierten „finezza d’analisi“. Anderes freilich, wie die unmittelbaren Erfahrungen in Wien, vermittelt ein hohes Maß an Authenzitität. Und auch die Charakterisierungen etwa Karls VI. oder Maria Theresias bieten aufschlussreiche Facetten aus der Sicht eines Zeitgenossen.

Mangelnde Quellenkritik ist Sabbatii ebensowenig vorzuwerfen wie zu geringe Quellenkenntnis. Mit äußerster Akribie zeichnet der Autor das Leben Mansis nach. Das Buch versteht sich nicht als Diplomatiegeschichte, es ist die Geschichte eines in diplomatischen Diensten tätigen Adeligen. Es bezieht diplomatiegeschichtliche, kultur-, sozial- und wirtschaftshistorische Aspekte ein und ist damit ein Beitrag zu jener erweiterten Diplomatiegeschichte, die seit einiger Zeit gefordert wird.1 Gerade durch die Fokussierung auf die Person Mansis und die daraus resultierenden Perspektiven, die sich auf so genannte „weiche“ Faktoren wie Ideen, Werte, Kultur im weitesten Sinn beziehen, kann es als Baustein einer Kulturgeschichte der internationalen Beziehungen dienen. Solange Arbeiten, die diesen Anspruch zur Gänze einlösen, weitgehend fehlen, werden nationale Geschichtswissenschaften zudem solche „Außensichten“ begrüßen.

1 Ursula Lehmkuhl, Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte: Theoretische Ansätze und empirische Forschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Soziologischem Institutionalismus, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001) 394-423.

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