C. Vogel (Hrsg.): Bilder des Schreckens

Cover
Titel
Bilder des Schreckens. Die mediale Inszenierung von Massakern seit dem 16. Jahrhundert


Herausgeber
Vogel, Christine
Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Campus Verlag
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ute Seiderer, Studienwerk der Heinrich Böll Stiftung

Massaker bleiben im kulturellen Gedächtnis über viele Generationen hinweg verankert. Ihre Monstrosität verleiht ihnen jedoch etwas Unangreifbares, so dass sie oft nicht adäquat analysiert werden und die Mechanismen ihrer nachträglichen Festschreibung unklar bleiben. Schon allein deshalb ist es zu begrüßen, dass man nun mit dem von Christine Vogel herausgegebenen Sammelband eine Bilanz historischer Forschung zu diesem Thema in Händen hält. Das Buch geht auf eine Vorlesungsreihe des Graduiertenkollegs „Transnationale Medienereignisse“ an der Justus-Liebig Universität Gießen zurück sowie auf die Initiative einer französischen Nachwuchsforschergruppe unter der Leitung von David El Kenz, von der ebenfalls ein Sammelband vorliegt.1 Der Schwerpunkt des deutschen Buches liegt auf einer medientheoretischen Reflexion zur Darstellungsform von Gewalt.

In Vogels Sammelband werden historische Formen exzessiver Gewalt an Beispielen vorgeführt, bei denen sich die Frage nach dem wo und wie ihrer medialen Performanz besonders deutlich zeigt. Es wird davon ausgegangen, dass Massaker starke Emotionen auslösen, was ihnen besondere „Medienwirksamkeit“ verleiht. Zudem ist die Darstellung von Gewaltereignissen meist mit politischen Intentionen verbunden. Oft dienen so genannte Augenzeugenberichte weniger dem Gebot historischer „Objektivität“, als der „Inszenierung der Erinnerung“, wie der aufschlussreiche Beitrag von Thomas Kailer zum Massaker von Aussig im Juli 1945 zeigt. Mit dem Begriff der „Inszenierung“ rekurriert Kailer auf das Schlagwort im Untertitel des Bandes, das bei aller Berechtigung auch eine Schwäche in der Perspektive aufdeckt. Indem man nämlich davon ausgeht, dass jedes Massaker auf eine „Inszenierung“ abzielt, wird eine deutliche Reduktion vorgenommen – der Begriff bedarf deshalb der Präzisierung.

Eine Inszenierung ist immer eine Erhöhung, weg vom bloß Faktischen der Ereignisse. Kristl Philippi betont in ihrem Beitrag in Anlehnung an Goffman, dass „Inszenierung immer Intentionalität impliziert, wobei man jedoch zwischen unterschiedlichen Graden und Motiven ‚strategischer Kalkuliertheit’“ (S. 231f.) unterscheiden müsse. Eine Inszenierung braucht zudem immer ein Medium, mit dessen Hilfe sie sich überhaupt als solche explizieren kann. Sie ist daher per se etwas Mediales. Wo aber hört der Gewaltakt auf, und wo fängt die Inszenierung an? Findet die Inszenierung bereits während des Gewaltakts statt oder wird sie erst nachträglich als solche wahrgenommen? Liegt der Inszenierung möglicherweise gar kein Gewaltakt zugrunde beziehungsweise nur ein geringerer als nachträglich angenommen? Letzteres wird in Philippis Beitrag zum Massaker von Temesvar in Rumänien (1989) vorgeführt, das von den Medien überdimensional aufgebauscht wurde. Eine systematische Abgrenzung der Inszenierungsvarianten beziehungsweise Schnittstellen zwischen dem Gewaltakt und seiner medialen Aufbereitung wird jedoch kaum diskutiert. Stattdessen wird eher mit Marshall McLuhan davon ausgegangen, dass Sinn und Zweck der Nutzung eines Mediums in seiner Selbstreferentialität liegt (S. 237). Die teilweise inflationär verwendete Begrifflichkeit der „Inszenierung“ führt nicht immer dazu, dass am Ende eines Beitrages ersichtlich ist, worin die spezifische Komponente des jeweiligen Massakers und seiner Einschreibung in das kollektive Gedächtnis tatsächlich gelegen hat.

Es muss zudem erwähnt werden, dass das Buch sich schwerpunktmäßig auf die Frühe Neuzeit und die Gegenwart konzentriert, es also keine geschlossene chronologische Entwicklung abbildet. Sind beziehungsweise waren aber diese beiden Zeiträume auf eine spezifische Weise für Massaker disponiert? Ist das Zeitalter der Aufklärung mit seinem expliziten Vernunftbegriff den praktischen und medialen Strategien des Schreckens weniger anheim gefallen? – Diese Vermutungen drängen sich auf, bleiben aber unbeantwortet. Nur in einer Fußnote wird erwähnt, dass die aktuelle Geschichtswissenschaft die gegenwärtige Epoche als Zeitalter der Massaker betrachtet (S. 51). Die fokussierten Zeiten erscheinen durch ihre spezifische Charakterisierung für manchen Leser immerhin in neuem Licht. Das gilt vor allem für die Frühe Neuzeit, von der wir eine Menge über den Umgang mit damals gängigen Medien (Flugschriften, Tagesprotokolle, Briefe, Kupferstiche usw.) erfahren. Besonders plastisch hebt sich hierbei der Beitrag von Wolfgang Cilleßen über die niederländische Erinnerungskultur zur „Schwarzen Legende“ ab, der, inhaltlich fundiert, den Freiheitskampf der Niederländer gegen die Spanier im 16. und 17. Jahrhundert in seiner medialen Rezeption vorstellt und auf ikonografische Gestaltungsprinzipien und Argumentationsmuster in dazu vorliegenden Illustrationen eingeht.

In mehreren Beiträgen wird zwar die Kardinalfrage aufgeworfen, welches Medium eingängiger auf die Einbildungskraft wirkt (Bild, Schrift oder Ton), sie wird jedoch unterschiedlich beantwortet oder nur als periphere Frage gestreift. Gleichwohl findet nirgendwo eine Diskussion zum benutzten Bildbegriff statt, wie der Haupttitel „Bilder des Schreckens“ vermuten ließe. Das Bild als ein Medium, wird konzeptionell nur als „affektevozierend“ (S. 239), als Auslöser gesteigerter Emotionalität vorgestellt, und zwar auf derselben semantischen Ebene wie Topoi, Pathosformeln und Schlüsselbegriffe (S. 12f.). An anderer Stelle ergänzt die Wortverbindung „mediale Topoi von Massakern“ (S. 13) die Reihung der oftmals beliebig wirkenden Begrifflichkeiten.

Dafür erfahren wir in dem Text von David El Kenz etwas über die Herkunft des Begriffs „Massaker“. Er entstammt dem Bereich politisch-religiöser Polemik und ist eng mit den konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten verknüpft. Eine Flugschrift aus dem Jahr 1556 bezeichnete die Kämpfe der Hugenotten gegen die calvinistischen Waldenser in der Provence zum ersten Mal als „massacre“, als Mord an „einer großen Anzahl wehrloser Personen“. Seinen Durchbruch erreichte der Begriff mit dem Buchdruck (S. 52). Als erstes Schlüsselereignis eines medial vermittelten Massakers gilt der Sacco di Roma von 1527, mit dem sich Katrin Hirt befasst. In lyrischer (teils auch epischer) Form wurden über die Flugschriften schon seit Ende des 15. Jahrhunderts die „klassischen“ Methoden der Folter und des Tötens bekannt, die sich offenbar über Jahrhunderte wiederholt haben. Vogel verweist in ihrer Einleitung auf die Redundanz der immer gleichen Bildinhalte: „der aufgeschlitzte Bauch der Schwangeren, der am Felsen zerschmetterte Säugling, die sadistische und anscheinend gänzlich sinnlose Folter mit Schwert oder Machete, mit Schlingen und Feuer“ (S. 12 f.).

In den letzten beiden Texten über Massaker im Internet wird der Vernetzungsgedanke vom „Skript bekannter Codierungen“ (S. 234) nur ansatzweise aufgegriffen. Es geht dort vielmehr um die elektronischen Möglichkeiten der „Strategien der Herstellung von Sinn“ (S. 237) und um die Erprobung der Massakerdiskussionen für das Feld der Computerspiele. Mathias Mertens diskutiert Fragen der Ähnlichkeitsbeziehung zwischen der Gewalt im Alltag und ihren medialen Darstellungen und fragt nach möglichen Interferenzen. Mit einer sehr saloppen methodischen Verknappung des Ikonizitätsbegriffs bei Eco und des triadischen Zeichenmodells von Peirce streift er eine der kunsthistorischen Grundsatzdiskussionen zum „Realismus der Bilder“, wobei am Ende nicht klar wird, was damit eigentlich gewonnen ist. Die Kernfrage, die dahinter steht, lautet: Sind die medialen Topoi von Massakern für gewalttätiges Alltagsverhalten (mit-)verantwortlich, oder lassen die im virtuellen Raum gesetzten Zeichen keinen derartigen Analogieschluss zu, weil sie ohnehin nur künstlich Bezeichnetes hervorbringen und damit rein ästhetischen Kategorien verpflichtet sind, die nicht an der Realität gemessen werden können? Diese Frage hatten wir schon, als es darum ging, wie „schädlich“ das Fernsehen ist. Die Erkenntnis, dass wir „die neueste Gewaltdarstellung [...] als neueste [und folgenträchtigste, da „handlungsanleitende“] nur aufgrund ihrer ästhetischen Differenz zum Vorangegangenen wahrnehmen können“ (S. 256), mag wohl richtig sein, ist aber meines Erachtens in diesem Zusammenhang irrelevant.

Auch wenn sich die Inszenierungen von Gewalt immer etwas anders generieren, kann die Fragestellung „Woher wissen wir eigentlich, dass das realistisch ist?“ (S. 254) kaum verkehrter ausfallen angesichts der real existierenden Gewaltbereitschaft. Wer dieser einmal ausgesetzt war, der wird eine solche Fragestellung mit Sicherheit sofort in die Schublade der vergeistigten Absurditäten stecken – und dafür ist das Thema dann insgesamt doch zu wichtig. Jenseits ästhetisch-philosophischer Implikationen aber lässt sich bei der Lektüre des vorliegenden Buches ermessen, welche Ausprägungen von Gewaltdarstellungen uns seit Jahrhunderten begleiten, und in welcher Weise sie uns zu manipulieren suchen. So wird die Rezeption des Dargestellten schon beinahe selbst zur „historischen Erfahrung“.

Anmerkung:
1 El Kenz, David (Hrsg.), Le massacre, objet d’histoire, Paris 2005.

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