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Titel
A Greek Roman Empire. Power and belief under Theodosius II (408-450)


Autor(en)
Millar, Fergus
Reihe
Sather classical lectures 64
Erschienen
Anzahl Seiten
XXVI, 279 S.
Preis
€ 50,14
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Schuol, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Theodosius II. (408–450) regierte mit einer Herrschaftsdauer von 42 Jahren länger als alle anderen Kaiser in der Antike. Dessen ungeachtet hat Theodosius II. – im Gegensatz zu anderen Herrschern der Spätantike wie Diokletian, Konstantin, Constantius II., Julian Apostata, Theodosius I., Theoderich, oder Justinian 1 – in vergleichsweise geringem Maß das Interesse der althistorischen Forschung auf sich gezogen und war dementsprechend auch nicht Gegenstand monographischer Publikationen. Einen detailreichen, quellennahen Abriss der Regierungszeit Theodosius’ II. mit einer in der Tradition des 18. und 19. Jahrhunderts 2 stehenden, sehr negativen Bewertung des Herrschers veröffentlichte vor 35 Jahren Adolf Lippold.3 Neuere Darstellungen der Herrschaft Theodosius’ II. können aufgrund ihres begrenzten Umfangs kaum mehr bieten als einen summarischen Überblick 4 oder die (durchaus weiterführende) Behandlung von Einzelaspekten.5 Eine ausgewogene, das bis heute tradierte Theodosius-Bild des 19. Jahrhunderts kritisch hinterfragende Darstellung blieb also lange Zeit ein Desiderat der Forschung.

Ziel von Fergus Millar ist es nun, nicht nur die Person Theodosius’ II. in den Blick zu nehmen; vielmehr lässt er den biographischen Ansatz eher zurücktreten hinter den Fragen nach der Organisation der Reichsadministration, den Faktoren der langjährigen innen- und außenpolitischen Stabilität des oströmischen Reiches, der Religionspolitik sowie den Machtstrukturen am Kaiserhof in Konstantinopel. Er knüpft also nicht nur im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand, sondern auch mit der Betrachtung des 5. Jahrhunderts nahezu lückenlos an seine Analyse der kaiserzeitlichen Herrschaftsorganisation und Regierungspraxis an.6 Als Quellen zieht Millar vorrangig Selbstzeugnisse („verbatim reports“) aus der Regierungszeit Theodosius’ II. heran, etwa die Korrespondenz des Kaisers und seines Beraterkreises, die Gesetze sowie die Akten der beiden Konzilien von Ephesus (431 und 449). Millar bezeichnet sein Buch selbst als „balance between the legal documents on the one hand and the Acta on the other“ (S. XIV). Das Buch gliedert sich in sechs große, in sich geschlossene Kapitel, die im Kern auf Millars Tätigkeit in Berkeley (Sather Lectures 2002/03) zurückgehen.

Im ersten Kapitel („Roman and Greek: State and Subject“, S. 1–38) skizziert Millar den großen politischen und soziokulturellen Rahmen der Herrschaft Theodosius’ II., nämlich die Aufteilung des Reiches nach dem Tod Theodosius’ I. (395) unter seinen beiden Söhne Honorius und Arcadius und die Herausbildung von zwei in ihrer Verwaltung eigenständigen Reichen. Charakteristisch für das Verhältnis zwischen den beiden Reichen sind für den Autor zum einen die höchstinstanzlichen Rechtsentscheidungen, die stets im Namen beider Kaiser als Gesetze publiziert wurden, also die Reichseinheit weiterleben lassen, und zum anderen das Auseinanderfallen des Gesamtreiches in ein „Roman or Italian Empire“ und ein „Greek Roman Empire“. Beiden Reichen gemeinsam ist die Benutzung des Lateinischen als Sprache der Verwaltung und insbesondere der Rechtsprechung; kennzeichnend für das Oströmische Reich ist jedoch der nahezu ausschließliche Gebrauch der griechischen Sprache durch die Bevölkerung und die daraus resultierende Notwendigkeit, zur öffentlichen Bekanntmachung bestimmte Texte aus dem Lateinischen ins Griechische zu übersetzen: „[...] the eastern Empire was in its day-to-day functioning a separate regime, functioning internally in Latin, but interacting with its subjects in Greek“ (S. 13).

Das zweite Kapitel („Security and Insecurity“, S. 39–83) thematisiert die Außenbeziehungen des Oströmischen Reichs, die Kontakte zum Westreich und die Gefährdung der Reichsgrenzen (z.B. durch die Sāsāniden, Vandalen, Hunnen etc.) und der inneren Stabilität durch die Isaurier. Hier interessieren Millar allerdings nicht die einzelnen militärischen Maßnahmen oder die diplomatischen Bemühungen Theodosius’ II.; vielmehr fragt er nach den Strategien des Ostkaisers, der – anders als sein Mitkaiser im Westen – die äußeren Feinde erfolgreich abwehren und seine Macht auch nach innen unangefochten behaupten konnte. In diesem Kontext analysiert Millar die Organisation des Militärs, die Stationierung verschiedener Truppengattungen in den gefährdeten Grenzregionen und an den Brennpunkten im Reich selbst sowie die effektive Gestaltung der Kommunikationswege zwischen den hohen Militärs (magistri militum) und dem Kaiser.

Im dritten Kapitel („Integration and Diversity“, S. 84–129) werden wichtige Faktoren für die Homogenität des Ostreiches und Kriterien für die Ausgrenzung bestimmter Gruppen vorgestellt: In diesem Kontext kommt Millar nochmals auf die Mehrsprachigkeit im Reich Theodosius’ II. zurück, wobei er dem Griechischen als lingua franca besondere integrative Kraft zuschreibt, aber zugleich die zunehmende Bedeutung des Syrischen würdigt; das Lateinische sei auf den internen Gebrauch in der Verwaltung und im Militär beschränkt geblieben.7 Entscheidendes Kriterium für Integration ist die Religion, nämlich das Bekenntnis zum Christentum, genauer gesagt: zur Orthodoxie, während beispielsweise Juden mit dem Verbot des Neubaus von Synagogen und der Bekleidung öffentlicher Ämter Repressionen ausgesetzt sind. Das vierte Kapitel („State and Church: Civil Administration, Ecclesiastical Hierarchy, and Spiritual Power“, S. 130–167) ist dem Verhältnis zwischen Theodosius II., den höchsten Instanzen der Reichsadministration und der Kirche gewidmet. Dabei nimmt Millar nicht nur die Patriarchate (vor allem Konstantinopel und Alexandria) in den Blick, sondern auch die außerhalb der großen politischen und kirchlichen Zentren wirkenden Kleriker, ihre Funktionen in den Städten und ihre – mitunter sehr erfolgreich betriebene – Interessenpolitik gegenüber dem Kaiser, aber auch die Abhängigkeit der Kirche von der kaiserlichen Macht etwa bei der Umsetzung von Konzilsbeschlüssen und in der Häretikerverfolgung.

Das Zusammenspiel von kaiserlicher Macht und kirchlichen Interessen ist auch Thema des fünften Kapitels („State Power and Moral Defiance: Nestorius and Irenaeus“, S. 168–191), in dem es um die christologischen Streitigkeiten über die Natur Jesu Christi zwischen dem Patriarchen Cyrillus von Alexandria (412–444) und Nestorius, dem Patriarchen von Konstantinopel (428–431), die Absetzung des Nestorius auf der Synode von Ephesus gleich am ersten Tag (22. Juni 431), seine dort erfolgte Verdammung als Häretiker und schließlich die staatliche Verfolgung seiner Anhänger (CTh 16,5,66 = CJ 1,5,6 vom 3. August 435) geht. Millars Aufmerksamkeit gilt auch in diesem Kontext der Überlieferungsgeschichte der einschlägigen Quellen, den Arbeitsabläufen in der Reichsverwaltung und der Durchsetzung der jeweiligen Interessen beim Kaiser mit Hilfe einflussreicher Personen in dessen engster Umgebung.

Die wiederholt geübte Praxis, sich über Mitglieder des kaiserlichen Hofes oder über hohe Amtsträger in der Verwaltung oder im Militär Gehör bei Theodosius II. zu verschaffen und ihn für die eigenen Ziele zu gewinnen, wird im sechsten Kapitel („Persuasion, Influence, and Power“, S. 191–234) ausführlicher dargelegt. Anhand mehrerer Beispiele weist Millar nach, dass der Erfolg der suggestiones von der Einschaltung der tatsächlich einflussreichen Personen (vor allem Theodosius’ Schwester Pulcheria, seine Frau Aelia Eudocia und der praepositus sacri cubiculi Chrysaphius) abhänge, die dann auch eine Entscheidung des Kaisers herbeiführen könnten. Millars Schlussfolgerung lautet: „Nonetheless, the crucial role was still played by the rhetoric of persuasion on the one side, and by the Emperor’s personal commitment to Christian piety on the other.“ (S. 232) Anders als die eingangs zitierte ältere Forschung gesteht Millar Theodosius zu, unabhängig von seiner Einbindung in ein komplexes Netzwerk enger persönlicher Beziehungen seine Entscheidungen eigenständig zu treffen: „Theodosius came to be able to exert an independent power of decision.“ (S. 228) In zwei Appendices (S. 235–259) bietet Millar Informationen zu den wichtigsten Quellen seines Buches, in erster Linie zu den Acta der Konzilien des 5. Jahrhunderts (Karthago 411, Ephesus I und II, 431 und 449 sowie Chalcedon 451). Abbildungen und Indices (S. 261–279) beschließen den Band.

Millar gelingt es, die Forschung zum Ostreich im 5. Jahrhundert und zu Theodosius II. auf eine völlig neue Grundlage zu stellen. Er zeichnet ein differenziertes, quellenfundiertes Bild des Kaisers und korrigiert in vielerlei Hinsicht die bisherige Forschung. Sowohl für zukünftige Studien zur Herrschaftspraxis der oströmischen Kaiser als auch für die Beschäftigung mit Theodosius II. selbst wird sich Millars Buch als unverzichtbar erweisen; seine große Anerkennung und weite Verbreitung dürfte außer Frage stehen.

Anmerkungen:
1 Es sei hier nur eine Auswahl neuerer Literatur genannt, zu Diokletian: Kuhoff, Wolfgang, Diokletian und die Epoche der Tetrarchie, Frankfurt a.M. 2001; Demandt, Alexander u.a. (Hrsg.), Diokletian und die Tetrarchie, Berlin 2004; zu Konstantin: Brandt, Hartwin, Konstantin der Große, München 2006; Hermann-Otto, Elisabeth, Konstantin der Große, Darmstadt 2007; Demandt, Alexander; Engemann, Josef (Hrsg.), Konstantin der Große, Mainz 2007; Constantius II.: Barceló, Pedro, Constantius II. und seine Zeit, Stuttgart 2004; zu Julian Apostata: Bringmann, Klaus, Kaiser Julian, Darmstadt 2004; Rosen, Klaus, Julian, Stuttgart 2006; zu Theodosius I.: Ernesti, Jörg, Princeps christianus und Kaiser aller Römer, Paderborn u.a. 1998; Leppin, Hartmut, Theodosius der Große, Darmstadt 2003; zu Theoderich: Ausbüttel, Frank M., Theoderich der Große, Darmstadt 2003; Goltz, Andreas, Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts, Berlin (erscheint im Frühjahr 2008); zu Justinian: Evans, James A. St., The Age of Justinian, London u.a. 1996; Mazal, Otto, Justinian I. und seine Zeit, Köln u.a. 2001; Meier, Mischa, Das andere Zeitalter Justinians, 2. Aufl., Göttingen 2004; Evans, James A. St., The Emperor Justinian and the Byzantine Empire, Westport 2005.
2 Gibbon, Edward, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, Volume the Third, London 1781, Kap. XXXII (bequem zugänglich in zahlreichen Nachdrucken und Übersetzungen, z.B.: Gibbon, Edward, Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen, übers. v. Walter Kumpmann, Bd. 4, München 2003, S. 402–412); Mommsen, Theodor, Römische Kaisergeschichte. Nach den Vorlesungs-Mitschriften von Sebastian u. Paul Hensel 1882/86, hrsg. v. Barbara u. Alexander Demandt, 2. Aufl., München 2005, S. 465; Güldenpfennig, Albert, Geschichte des Oströmischen Reiches unter den Kaisern Arcadius und Theodosius II., Halle 1885, S. 321–324 u. 387–391; Seeck, Otto, Geschichte des Untergangs der antiken Welt, Bd. 6, Stuttgart 1920, S. 70f.
3 Lippold, Adolf, Die Kaiser Theodosius der Große und Theodosius II., Stuttgart 1972; Theodosius II., in: RE Suppl. 13 (1973), S. 961–1044.
4 Harries, Jill, Pius princes: Theodosius II and Fifth-Century Constantinople, in: Magdalino, Paul (Hrsg.), New Constantines. The Rhythm of Imperial Renewal in Byzantium, 4th–13th Centuries, Aldershot 1994, S. 35–44; Schuller, Wolfgang, Theodosius II., in: Clauss, Manfred (Hrsg.), Die römischen Kaiser, München 1997, S. 388–395; Blockley, Roger C., The Dynasty of Theodosius, in: Cameron, Averil; Garnsey, Peter (Hrsg.), The Cambridge Ancient History, Bd. XIII, Cambridge 1998, S. 111–137; Lee, Allen D., The Eastern Empire. Theodosius to Anastasius, in: Cameron, Averil u.a. (Hrsg.), The Cambridge Ancient History, Bd. XIV, Cambridge 2000, S. 33–62; Demandt, Alexander, Die Spätantike, 2. Aufl., München 2007, S. 195–204.
5 Stellvertretend für eine Vielzahl von Publikationen seien hier genannt: Matthews, John F., Laying down the Law. A Study of the Theodosian Code, New Haven u.a. 2000; Wessel, Susan, The Ecclesiastical Policy of Theodosius II, in: Annuarium Historiae Conciliorum 33 (2001), S. 285–308; Diefenbach, Steffen, Zwischen Liturgie und civilitas. Konstantinopel im frühen 5. Jahrhundert und die Etablierung eines städtischen Kaisertums, in: Warland, Rainer (Hrsg.), Bildlichkeit und Bildort von Liturgie, Wiesbaden 2002, S. 21–47; Meier, Mischa, Aspekte der religiösen Selbstinszenierung bei Theodosius II. (408–450 n. Chr.), in: Pečar, Andreas; Trampedach, Kai (Hrsg.), Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne, München 2007, S. 135–158.
6 Millar, Fergus, The Emperor in the Roman World (31 BC–337 AD), London 1977.
7 Millars über jeden Zweifel erhabene Ausführungen zum Griechischen als Verkehrssprache im gesamten Ostreich lassen sich zusätzlich untermauern durch einen Blick auf die Juristenausbildung in Konstantinopel und Berytus: Lateinkenntnisse blieben zwar unabdingbare Voraussetzung für das Studium der Kaisergesetze und der klassischen Juristenschriften. Die Unterrichtssprache war aber spätestens seit Mitte des 5. Jh. das Griechische, wie sich aus den großen Kommentarwerken von Berytener Rechtslehrern, dem Syrisch-römischen Rechtsbuch und den Sententiae Syriacae ersehen lässt. Vgl. zuletzt zusammenfassend Wieacker, Franz, Römische Rechtsgeschichte. Zweiter Abschnitt: Die Jurisprudenz vom frühen Prinzipat bis zum Untergang der Antike im weströmischen Reich und die oströmische Rechtswissenschaft bis zur justinianischen Gesetzgebung, hrsg. v. Joseph Georg Wolff, München 2006, S. 280–286 (§ 78) u. 324–336 (§ 85).

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