J. M. Rainer: Römisches Staatsrecht

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Titel
Römisches Staatsrecht. Republik und Kaiserzeit


Autor(en)
Rainer, Johannes Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Klingenberg, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin

Bei einem Titel, der sich des "römischen Staatsrechtes" annimmt, denkt man sicher zuerst an Theodor Mommsen und seine monumentale Ausarbeitung des Sujets.1 Das Buch von Johannes Michael Rainer, Professor für Römisches Recht und Modernes Privatrecht an der Universität Salzburg, verfolgt eine andere Zielsetzung. Es präsentiert sich als Einführung, konzipiert für einen breiten Leserkreis, wobei Jurist/innen und Altertumswissenschaftler/innen gleichermaßen herausgestellt werden (S. 21). Grundsätzlich zerfällt das Werk in zwei Teile: Republik und Kaiserzeit. Der bereits 1997 veröffentlichte erste Abschnitt ist hier in unveränderter Form wiedergegeben, ein zweiter Band über die Prinzipatszeit war jedoch von Beginn an geplant.2 Nicht nur im Titel, auch in der Konzeption stand Mommsen Pate, so ermögliche der "juristisch-institutionelle Aspekt" die "Einheit beider Teile" (S. 9).

Historisches Hintergrundwissen wird den Leser/innen dabei abverlangt (S. 9), Rainer liefert jedoch auch einen Abriss der Geschichte des republikanischen Rom (§ 4, S. 42-51). Gegenüber der staatsrechtlichen Systematisierung treten die sozial-historischen Hintergründe freilich zurück.3 Immerhin beschließt ein Kapitel zur "Regierungspraxis" den Republik-Teil (§ 24, S. 140-147). Zwar wirft Rainer die Frage nach der Realität einer ,Verfassung’ bzw. eines ,Staatsrechtes’ und der Anwendbarkeit dieser Begrifflichkeit auf den römischen Staat auf (S. 13-18), stellt gleichwohl aber fest: "Mommsens Beweis bedarf in seiner Großartigkeit keiner weiteren Unterstützung" (S. 15). Unter ,Verfassung’ versteht Rainer die "Gesamtheit […] allgemein verbindlicher Regeln", die er für die Republik seit dem als leges Liciniae Sextiae (367 v. Chr.) bekannten Ausgleich zur Beilegung der Ständekämpfe als gegeben erachtet (S. 13f.), wobei "die Einrichtungen des römischen Staates nicht a priori erdacht wurden" (S. 140). Deren Entwicklung sei aber mit der lex Hortensia des Jahres 287 v. Chr. abgeschlossen gewesen (S. 13, 129, 140). Diese Verfassung habe erst mit dem neuen Staat des Augustus ein Ende gefunden (S. 16, 153). Dem vorangegangene Eingriffe, allen voran durch Sulla, seien hingegen lediglich "politische Episoden" gewesen, "die nie an die Substanz der Verfassung gingen" (S. 16). Es bleibt freilich zu beachten, dass nicht alles gesetzmäßig festgeschrieben, sondern vieles auf Konventionen, Tradition und Präzedenzfällen beruhte. Es stellt sich mithin die Frage, ob eine Bezeichnung wie "die Verfassung von 367" (z.B. auf S. 14) gerechtfertigt ist, zumal angesichts der Unsicherheit der näheren Umstände der so genannten Licinisch-sextischen Gesetze.4 Im zweiten Teil räumt Rainer ein, die Verfassung der Republik sei gewachsen (S. 214). Das erinnert an Christian Meier, der – in Absetzung von einer gestifteten – von einer "gewachsenen Verfassung" sprach5, zu Recht auch über das Jahr 287 v. Chr. hinaus.

Insgesamt konzentriert Rainer seine Darstellung auf die ,klassische Republik’, dazu kommen einige Ausführungen zur Frühzeit mit Betonung auf den gentilen Strukturen (§ 1-3, S. 27-42) und der Entwicklung der "Hauptmagistratur" (§ 7, S. 64-70). Dabei ist allerdings keine wirkliche Sicherheit zu gewinnen, wenngleich manche Ausführungen diesen Anschein erwecken.6 Im Zentrum stehen die "Eckpfeiler" (S. 129) des republikanischen Staates, die Rainer wie Mommsen in Magistratur, Volksversammlung und Senat erkennt. In diesem Sinne werden die einzelnen Staatsämter vom Consul bis zu den untersten Magistraten näher dargestellt (§ 8-16, S. 70-102). Als einzige Priesterschaft sind die Pontifices aufgenommen, da sie neben sakralen auch staatliche und juristische Aufgaben wahrnahmen (§ 17, S. 102ff.). Dem stellt der Autor die Volksversammlungen in ihren verschiedenen Ausprägungen mit ihren gesetzgebenden Kompetenzen (§ 18-22, S. 105-130) und den Senat samt seinen Funktionen (§ 23, S. 130-139) gegenüber.

Die "Krise der Republik" (S. 162) nimmt Rainer indes erst im zweiten, neu verfassten Teil stärker ins Visier. Er betont dabei zu Recht, dass zum Verständnis des Prinzipats und seiner Entstehung eine Kenntnis der Geschichte unabdingbar ist. Hatte der Autor im ersten Teil noch besonders den Gegensatz zwischen Senatoren und Rittern hervorgehoben (S. 146f.; vgl. S. 204, 291), treten nun strukturelle Probleme stärker hervor, denen wesentliche Bedeutung zukommen dürfte.7 Sie zeigten sich etwa an den Gracchen, die an den herkömmlichen Normen rüttelten (S. 162f.). Es wird zudem deutlich, dass die republikanische Verfassung so fest und durchgeplant gar nicht war: Die Reformen Sullas (S. 165ff.), die den aus den Fugen geratenen Staat wieder in Ordnung bringen sollten, fixierten rechtlich, was vormals vielfach nicht fest geregelt war.8 Es folgte der Aufstieg des Pompeius, dem man zwar ein starkes Geltungsbedürfnis unterstellen kann, nicht jedoch die Absicht, "Roms erster endgültiger Alleinherrscher zu werden" (S. 169).9 Caesar strebte dann nach der Alleinherrschaft, in welcher Form, wird aber kontrovers diskutiert: Rainer sieht Caesars Machtstellung wie Martin Jehne10, den er freilich nicht zitiert, vornehmlich mit der Stellung als dictator perpetuus staatsrechtlich verankert (S. 179ff.), dies sei allerdings nur eine "Zwischenlösung" gewesen (S. 183).

Die der Ermordung Caesars folgende Zeit politischer und militärischer Auseinandersetzungen mündete im Prinzipat (S. 185ff.). Die Frage nach dessen Anfang sei "ziemlich komplex […] zu beantworten" (S. 151), nach einer Entwicklungsphase in den Jahren 28-19 v. Chr. (S. 209) sei die "strukturelle Systematik" ausgeprägt gewesen (S. 153). Entscheidende Veränderungen habe es nicht gegeben, auf die Bürgerrechtsverleihung an alle Freien durch Caracalla im Jahr 212 geht Rainer nur kurz ein (§ 16, S. 282f.). Das Ende dieser Ordnung setzt Rainer bei Diocletian an, unter dem sich "ein völlig anderer römischer Staat präsentierte" (S. 155), der deshalb nicht behandelt wird. Inwiefern die "Abgrenzung zwischen Prinzipat und Dominat […] eine radikale und endgültige" war (S. 155), eine These, bei der erkennbar die Autorität Theodor Mommsens nachwirkt11, wird von Rainer erst im Ausblick am Ende mit nur wenigen Worten erläutert: Der neue Staat "war geprägt von strenger Trennung von Armee und Zivilverwaltung" und habe "auf einer intensiven Bürokratisierung und auf der institutionellen Machtfülle des Kaisers" beruht (S. 302). Daher "spricht man zu Recht vom Dominat". Der Begriff erweist sich aber als wenig geeignet und wird in der heutigen (althistorischen) Forschung nicht mehr gebraucht.12

Dieser Aspekt führt zugleich ins Zentrum der Problematik eines kaiserzeitlichen Staatsrechts: es ist die Frage, wie der Kaiser darin einzuordnen ist. Bei Rainer ist er den von Augustus gefundenen Formen unterworfen, seine Macht nur durch die ihm übertragenen Kompetenzen definiert (§ 6-9, S. 192-231); mit anderen Worten: es habe sich um einen "Rechtsstaat" (S. 219, 234, 294f.) gehandelt. Demgemäß versteht Rainer den Princeps als "Staatsoberhaupt" (S. 155), mehr noch als "Amt" (S. 295). Damit bewegt er sich wiederum im Fahrwasser Mommsens13, dessen Konzept einer Dyarchie 14 von Kaiser und Senat er folgt (S. 213, 295). Dem Senat räumt er somit eine starke Position ein (§ 10, S. 231-240), während die Volksversammlung (§ 11, S. 240-246) gegenüber den Zeiten der Republik in "Bedeutungslosigkeit" (S. 240) versinkt. Entsprechend habe die Herrschaft auf einer "Investitur" in Gestalt der Verleihung des imperium proconsulare (S. 217) durch den Senat beruht. Die Machtstellung des Augustus und der Kaiser insgesamt ist freilich in staatsrechtlichen Kategorien allein nicht zu erfassen.15 Diese Schwierigkeit zeigt sich deutlich an der Nachfolgeregelung (§ 8, S. 214-220), an den Eingriffen des Kaisers in Rechtsprechung (S. 224-231) und Wahlen (S. 241-246). Wenngleich die Rolle des Senats wohl eher im Rahmen einer Beteiligung an der Macht zu werten ist,16 kommt ihm doch eine wichtige Rolle in der Regierung des Weltreiches zu. Neben den republikanischen Ämtern (§ 12, S. 246-251) ist hier insbesondere die Provinzverwaltung zu nennen (§ 14, S. 263-268). Davon setzt Rainer die kaiserliche Administration mit ihren verschiedenen Funktionen ab (§ 13, S. 251-262) und geht ferner noch auf die Organisation der Städte ein (§ 15, S. 268-282). In den abschließenden Kapiteln zu "Wertung und Würdigung des Prinzipats" (§ 17, S. 284-295), dem "Prinzipat als Element der Stabilisierung“ (§ 18, S. 295-301) und dem Ausblick (S. 302ff.) weitet sich der Blick auch auf die historische Perspektive.

In der Forschung diskutierte Fragen sind oft berücksichtigt, zumeist in den zahlreichen Fußnoten. Dem gesetzten Ziel einer Einführung dienen die Vorstellung der relevanten Quellen (S. 23ff., 157ff.) sowie die Angabe weiterführender Literatur zu Beginn der einzelnen Abschnitte. Allerdings überrascht es nicht, dass die "Wertung und Würdigung des Prinzipats" in einer Laudatio des für das Buch prägenden Mannes kumuliert: Theodor Mommsen.

Anmerkungen:
1 Mommsen, Theodor, Römisches Staatsrecht, Leipzig 1887-1888.
2 Rainer, Johannes Michael, Einführung in das römische Staatsrecht. Die Anfänge und die Republik, Darmstadt 1997, S. 1.
3 Zu dieser Problematik kritisch: Hölkeskamp, Karl-Joachim, Rekonstruktionen einer Republik, München 2004, 19-29. Vgl. auch: Nippel, Wilfried, Das Staatsrecht in der Diskussion – von 1871 bis heute, in: ders.; Seidensticker, Bernd (Hgg.), Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, Hildesheim 2005, S. 9-60.
4 Später verwendet Rainer allerdings häufiger den Begriff "Ausgleich von 367" (etwa S. 70); vgl. auch S. 131: "Verfassungsausgleich von 367".
5 Meier, Christian, Res publica amissa, Frankfurt am Main 1997, bes. S. 56f.
6 So geht er z.B. von der Historizität des Servius Tullius und der ihm zugeschriebenen Regelungen aus (S. 40, 42, 112). Lediglich die Zeit davor werde zur "Legende" (S. 25).
7 Vgl. Bleicken, Jochen, Gedanken zum Untergang der römischen Republik, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Stuttgart 1998, S. 683-704.
8 Grundlegend Hantos, Theodora, Res publica constituta. Die Verfassung des Dictators Sulla, Stuttgart 1988.
9 Vgl. Christ, Karl, Pompeius. Der Feldherr Roms. Eine Biographie, München 2004, S. 210-224.
10 Jehne, Martin, Der Staat des Dictators Caesar, Köln 1987, S. 14-38.
11 Mommsen (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 760-763, vgl. auch S. 748f. Vgl. dens., Abriß des römischen Staatsrechts, Darmstadt 1974, S. 278-280.
12 Dazu Bleicken, Jochen, Prinzipat und Dominat. Gedanken zur Periodisierung der römischen Kaiserzeit, in: ders. (wie Anm. 7), S. 817-842; vgl. Demandt, Alexander, Die Spätantike, München 1989, S. 211-231.
13 Mommsen (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 749f.; ders. (wie Anm. 11), S. 148f.
14 Für eine neue Beurteilung von Mommsens Konzeption vgl. aber: Winterling, Aloys, Dyarchie in der römischen Kaiserzeit. Vorschlag zur Wiederaufnahme der Diskussion, in: Nippel/Seidensticker (wie Anm. 3), S. 177-198.
15 Roller, Matthew B., Constructing Autocracy. Aristocrats and Emperors in Julio-Claudian Rome, Princeton 2001, besonders akzentuiert S. 286f. Vgl. Bleicken, Jochen, Verfassungs- und Sozialgeschichte des römischen Kaiserreiches, Bd. 1, Paderborn 1995, S. 48-60 u. 94-112; Dahlheim, Werner, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 2003, S. 19-26, 178-187.
16 Dagegen spricht sich der Autor auf S. 213 mit Anm. 209 gegen Bleicken aus. Eindeutig ist aber Plin. epist. 3,20,12.

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