J. Black (Hrsg.): Revolutions in the Western World

Cover
Titel
Revolutions in the Western World 1775-1825.


Herausgeber
Black, Jeremy
Reihe
The International Library of Essays on Political History
Erschienen
Aldershot 2006: Ashgate
Anzahl Seiten
598 S.
Preis
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Matthias Middell, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Ohne jeden Zweifel ist die Zeit der Revolutionen zwischen dem Bostoner Teesturm und dem Ende der südamerikanischen Independencia nicht nur reich an revolutionären Erhebungen, neuen politischen Strukturen und sozialen Konstellationen, sondern kann auch als globalgeschichtlicher Zusammenhang interpretiert werden. Ein erster Versuch, den Jacques Godechot und Robert Palmer in den späten 1950er-Jahren mit dem Terminus „atlantische Revolution“ unternahmen (damals noch allein bezogen auf die amerikanische und französische Revolution), versandete ziemlich kläglich, weil den Autoren unterstellt wurde, sie würden der NATO ein genehmes Geschichtsbild produzieren wollen. Seit den späten 1960er-Jahren entfaltete sich die vergleichende Revolutionsforschung, die ihren Höhepunkt internationaler Aufmerksamkeit mit dem Internationalen Historikerkongress von San Francisco 1975 hatte, während vor allem die Leipziger Forschungen Walter Markovs und Manfred Kossoks die Idee des Revolutionszyklus auf Karibik und Südamerika erweiterten. Mit dem Legitimitätsverlust der marxistischen Historiografie schwand wiederum die internationale Rezeption dieses Ansatzes, und in den 1990er-Jahren wurde das Rad ein drittes Mal erfunden – mit der globalgeschichtlichen Revolutionsdeutung Bayley Stones’ und dem Aufschwung der Untersuchungen zur Erhebung auf Saint Domingue durch Yves Benoit, Marcel Dorigny, David Geggus und andere.

Ein voluminöser Band in der „International Library of Essays on Political History“, der den Revolutionen zwischen 1775 und 1825 gewidmet ist, weckt demzufolge hohe Erwartungen, zumal Reihenherausgeber Jeremy Black, ein renommierter Historiker der internationalen Beziehungen des 18. Jahrhunderts, selbst die Komposition der Artikelauswahl in die Hand genommen hat. Umso enttäuschender ist dann die Lektüre. Lassen wir die üblichen Einwände gegen die Geschäftsstrategie des Verlages beiseite, quasi einen Seminarreader digital zusammen zu kopieren und auf jegliche redaktionelle Überarbeitung zu verzichten und konzentrieren wir uns auf die intellektuelle Sorgfalt, mit der der Band zusammengestellt ist.

Statt einer Forschungsgeschichte liefert der Herausgeber in seiner knappen Einleitung einen populärwissenschaftlichen Abriss der wichtigsten Ereignisse zwischen nord- und südamerikanischer Unabhängigkeitsbewegung und verzichtet damit auch auf jegliche explizite Begründung, warum gerade die hier versammelten 23 Aufsätze den Wiederabdruck rechtfertigen würden. Dies bricht mit den vom Reihen- und Bandherausgeber selbst formulierten Ansprüchen an die Einleitung und lässt die Leser/innen ratlos mit einem Sammelsurium von Texten zurück, die aus den Jahren 1963 (Piers Mackesy über „British Strategy in the War of American Independence“) und 2001 (Wayne E. Lee über „Early American Ways of War: A New Reconaissance, 1600-1815“) stammen. Aus diesen beiden Aufsätzen ließe sich noch auf Blacks bekanntermaßen großes Interesse an der Militärgeschichte folgern, aber selbst diesen Schwerpunkt erknüpft er nicht argumentativ mit dem Anliegen der Reihe, Schlüsselepisoden und -themen der politischen Geschichte als Ausdruck der identitätsstiftenden Rolle von Ideologien vorzustellen.

Die ersten sechs Aufsätze drehen sich um die Unabhängigkeit der nordamerikanischen Kolonien von England, die folgenden acht um die Französische Revolution einschließlich der napoleonischen Herrschaft. Teil 3, in dem es um Holland, Skandinavien, Brabant und Polen geht, ist lieblos mit „Elsewhere in Europe“ überschrieben, und verzichtet ohne nähere Begründung auf die Behandlung des gesamten südeuropäischen Raumes, obwohl die mittel- und südamerikanischen Revolutionen kaum verständlich sind ohne die gescheiterten Reformbewegungen und die liberalen Erhebungen in Spanien und Portugal.

Teil 4 greift das neue, durch das 200. Jubiläum der Sklavenrevolte und der Unabhängigkeit stimulierte Interesse an Haiti auf und bietet einen Artikel von Jennifer J. Pierce (1997), der einige der rezenten Forschungen resümiert. Die restlichen vier Texte sind der Lateinamerika-Sektion zugeordnet, davon betreffen allerdings drei allein Mexiko.

Die einzige Quelle, aus der Black schöpft, sind englischsprachige Zeitschriften. Nun sei zugestanden, dass für einige der hier erfassten Themen tatsächlich die angelsächsische Forschung über exzellente Experten verfügt, aber der insgesamt vermittelte Eindruck, es lohne gar nicht erst, andere Historiografien auch nur zur Kenntnis zu nehmen, ist mehr als ärgerlich – man kann dem Herausgeber hier den Vorwurf eines voll ausgeprägten Parochialismus nicht ersparen und vor der Benutzung des Bandes in der akademischen Ausbildung nur warnen: Er ist einseitig auf Fragestellungen ausgerichtet, die einen Übergang von der Dominanz sozialgeschichtlicher Interpretationen zu solchen, die um die politische Kultur zentriert sind, reflektieren. Dies war für die späten 1980er-Jahre typisch, ist aber heute längst wieder differenzierteren Deutungen gewichen.

Mit seiner Komposition und Einleitung vermeidet der Band eine genauere Einordnung der vorgeschlagenen Deutungen in eine umfangreichere Forschungslandschaft. Er trägt schließlich das Seine dazu bei, eine Internationalisierung der Geschichtswissenschaft auszublenden, die täglich stattfindet, aber sich für nicht unbedeutende Teile der angelsächsischen Historiografie auf einige wenige Standorte der Wissensproduktion zu reduzieren scheint. Insofern informiert der Band recht anschaulich darüber, wie weit der Weg zu einer transnationalen Geschichte als transnationale Praxis noch ist.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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