D. Denecke: Wege der historischen Geographie

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Titel
Wege der historischen Geographie und Kulturlandschaftsforschung.


Autor(en)
Denecke, Dietrich
Herausgeber
Fehn, Klaus; Anngret Simms
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hansjörg Küster, Institut für Geobotanik, Universität Hannover

Dietrich Denecke, einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Historischen Geografie, forscht und lehrt seit Jahrzehnten an der Universität Göttingen. 2005 wurde er 70 Jahre alt. Aus diesem Anlass gaben Klaus Fehn und Anngret Simms, zwei Kolleg/innen, die seit vielen Jahren mit Dietrich Denecke bekannt sind, einen Band mit gesammelten Aufsätzen des Jubilars heraus. Damit sollte nicht nur Denecke geehrt werden, sondern es ist ein Kompendium der Historischen Geografie entstanden: Dieser Band kann als eine Einführung in dieses Fachgebiet aufgefasst werden. Denecke hat eine fulminante Literaturkenntnis. Er versteht es meisterlich, den Inhalt von Publikationen kurz zusammenzufassen. Er lässt viele Ansätze der Forschung gelten, misst sie aber an einem sehr klaren Bild, das er von seinem Fach zweifelsohne hat. Denecke zeigt, wie die Arbeit des historisch vorgehenden Geografen aussieht oder aussehen kann; die Darstellung der Arbeitsweise der Historischen Geografie bringt ihn weniger dazu, eine Landschaftsgeschichte zu schreiben als klar zu machen, welche weiteren Arbeiten noch anzufertigen und welche Ansätze noch zu verfolgen sind. Diese Ideen wirken in der geballten Form, in der sie in diesem Buch vorgetragen werden, auf die Forschung der Gegenwart und sicher auch der nahen und fernen Zukunft überaus anregend. Insofern wird das Buch mit den gesammelten Aufsätzen von Denecke noch lange Zeit gelesen werden müssen.

Die beiden Herausgeber/in stellten zwei Aufsätze an den Beginn der Sammlung, in denen sich Denecke mit dem Weg der Forschung in seinem Fachgebiet befasst. In dem einen Kapitel geht es um eine Würdigung des Geografen Helmut Jäger und dabei auch um die Forschungsgeschichte der Historischen Geografie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die von Jäger – genauso übrigens wie von Denecke – maßgeblich mit geprägt wurde. In einem zweiten Artikel schreibt Denecke über grundsätzliche Fragen, die sich mit den Methoden der Historischen Geografie lösen lassen oder lösen lassen sollten.

Noch in einem weiteren Aufsatz, der allerdings erst an einer späteren Stelle im Buch zu finden ist, geht es um Forschungsgeschichte: Denecke stellt darin die frühen Anwendungsbezüge seines Fachs dar. Im 18. Jahrhundert waren Landesbeschreibungen wichtig, die in großer Zahl gerade in Göttingen (aber nicht nur dort) geschrieben wurden. Geografie betreibt man heute nicht mehr, um entfernte Räume für das Militär oder die Kameralistik zu erkunden. Vielmehr geht es heute darum, zentrale Bildungsgüter zu erschließen.

In weiteren Aufsätzen geht es um Siedlungs- und Flurgenese, Stadtgeografie und die Untersuchung von historischen Verkehrswegen. Stets verweist Denecke darauf, dass Historische Geografie einerseits die Struktur von Landschaft untersucht, anderseits die historischen Prozesse, die sich in ihr abspielten und die auf ihr heutiges Bild einwirkten. Struktur ist etwas vermeintlich Beständiges, historischer Prozess bedeutet aber immerwährende Veränderung. Dies verursacht Probleme: Versucht man, den historischen Prozess im Kartenbild festzuhalten, wird es kaum möglich sein, nur gleichzeitige Strukturen zu dokumentieren. Und nie wird es möglich sein, sämtliche Wege oder Siedlungen in einem Landschaftsausschnitt zu dokumentieren. Denn es wird immer mehr oder weniger vom Zufall abhängen, ob man Spuren früherer Landschaftszustände findet.

Denecke befasste sich in seiner Göttinger Dissertation von 1967 mit den Überresten alter Straßen im Gebiet zwischen Solling und Harz. Jahrzehntelang blieb die Untersuchung von Altstraßen eines der wichtigsten Arbeitsgebiete Deneckes. Dabei geht es einerseits um die Analyse von Spuren im Gelände, andererseits um die Erfassung von schriftlichen Quellen, in denen von den Straßen die Rede ist. Dabei wird deutlich: Der Historische Geograf nutzt zwei sehr unterschiedliche Archive, die Sammlung schriftlicher Quellen und die Sammlung von Spuren in der Landschaft. Jede Landschaft muss wie ein Archiv aufgefasst werden. Als solches verdient sie ebenso besonderen Schutz wie die Schriftzeugnisse, die der Archivar in seinen Regalen zusammenträgt.

Straßen verbinden Siedlungen. Denecke befasste sich auch mit der Geografie der ländlichen Siedlungen und Fluren, der wüst gefallenen Orte und der Städte. Ein weiteres Arbeitsgebiet Deneckes, aus dem Aufsätze zusammengetragen sind, ist die anwendungsorientierte Geografie. Interessant sind beispielsweise die Ideen, wie man in einem Freiluftmuseum zunächst die bereits vorhandenen Spuren früherer Landnutzung dokumentieren und zum Ausstellungsgegenstand machen sollte, dann aber auch weitere Geländecharakteristika konstruieren könnte, die auf frühere Landnutzung zurückgehen.

Denecke verweist in einem eigens für dieses Buch geschriebenen zusammenfassenden Artikel auf die Forschungsrichtungen hin, die ihn jahrzehntelang beschäftigten. Außer den Gebieten, aus denen die oben bereits genannten Aufsätze stammen, müsste noch beispielsweise die Wirtschaftsgeografie angeführt werden, die in diesem Band nicht dargestellt wird. Anngret Simms dokumentiert in einem abschließenden Kapitel ein Gespräch mit Denecke, wobei sie auch auf Details der wissenschaftlichen Vita eingeht. Denecke hat intensive Kontakte ins europäische Ausland und nach Übersee. Stets war es für ihn sehr wichtig, die Forschungsansätze zusammenzutragen, die sich in den verschiedenen Ländern entwickelt hatten. Das ist nicht einfach, denn Historische Geografie wird immer wieder für ein "Orchideenfach" gehalten, das nur an wenigen Universitäten betrieben wird. Doch diese Einschätzung, die man dem Fach gegenüber immer wieder äußert, ist von Grund auf falsch. Historische Geografie ist eine zentrale Grundlage der Wissenschaft von den Landschaften, die als ein wichtiges Querschnittsfach nicht nur Geografie und Geschichte, sondern auch viele andere Gebiete von der Ökologie bis zur Kunstgeschichte unter einem gemeinsamen Dach bündeln könnte. Denecke hat seit Jahrzehnten intensive Kontakte nach England und Irland, in die USA, Japan und Israel, in den Ostseeraum, nach Island und nach Südeuropa. Seine Ideen sind in Aufsätzen publiziert worden, die in zahlreichen Ländern in den jeweiligen Landessprachen gedruckt wurden. Insofern entwickelten sie eine weltweite Wirkung. Seine weit reichenden Ideen hat Denecke nie in einer Monografie zusammengefasst. Doch nun liegen sie vor uns: in einer Aufsatzsammlung, die Grundlage für ein Fach ist. Klaus Fehn und Anngret Simms ist für die Idee sehr zu danken, die Arbeiten Deneckes auf diese Weise zusammenzustellen. In dem von ihnen herausgegebenen Sammelband ist eine ausführliche Bibliografie enthalten, die nicht nur auf die Werke Deneckes hinweist, in denen er sich mit den methodischen Grundlagen, den Wegen seines Faches, befasst, sondern auch die zahlreichen Einzelstudien, die überaus wichtige Mosaiksteine für das Zusammenstellen einer regionalen oder überregionalen Landschaftsgeschichte sind: Ohne sie kann das Fach nicht existieren.

Im heutigen Wissenschaftsbetrieb bringt man Einzelstudien, die in entlegenen Publikationsorganen erschienen sind, zu wenig Wertschätzung entgegen. Doch wenn man Landschaft als Forschungsthema begreifen will, benötigt man gerade sie. Und man braucht ein enzyklopädisches Wissen, wie es Denecke in Jahrzehnten zusammengetragen hat.

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