A Linke u.a. (Hg.): Attraktion und Abwehr

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Titel
Attraktion und Abwehr. Die Amerikanisierung der Alltagskultur in Europa


Herausgeber
Linke, Angelika; Tanner, Jakob
Reihe
Alltag & Kultur 11
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
305 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Katja Kanzler, Institut für Amerikanistik, Universität Leipzig

Die Amerikanisierungsforschung has come of age. Trotz – oder gerade durch – die Unschärfen des Begriffs, hat das Paradigma der 'Amerikanisierung' eine ausgesprochen produktive Debatte zwischen HistorikerInnen, Kultur- und LiteraturwissenschaftlerInnen über Muster und Bedeutungen transatlantischen Austauschs inspiriert. Die Veröffentlichungen der letzten Jahre zeichnen sich sowohl durch eine markantere methodische Selbstreflexion als auch durch eine immer stärkere Ausdifferenzierung des Forschungsfeldes aus. Dabei haben insbesondere die interdisziplinären Schnittstellen der Amerikanisierungsforschung immer wieder wichtige Impulse für deren methodische Weiterentwicklung geliefert.

Das Herausgeberpaar des vorliegenden Bandes – Angelika Linke ist Linguistin, Jakob Tanner Historiker – lassen auf solche Impulse hoffen. In ihrer Einleitung umreißen sie 'Amerikanisierung' als zentrales Moment der Auseinandersetzung Europas mit sich selbst. Der Titel des Bandes, 'Attraktion und Abwehr', soll die Ambivalenzen in der europäischen Wahrnehmung 'Amerikas' fassen, das in verschiedensten historischen Konstellationen zur Projektionsfläche für europäische Ängste und Fantasien wurde. Die immer stärkere politische und wirtschaftliche Präsenz der USA im transatlantischen Raum, und die Machtassymetrien die dies produzierte, lieferten die Rahmenbedingungen für vielfältige Prozesse des Kulturtransfers.

Linkes und Tanners Einleitung arbeitet sich weitgehend am Narrativ dieser historischen Entwicklungen ab. Dieses Narrativ präsentiert sich in seinen Details zwar meist spannend, aufgrund der fehlenden methodischen Einbettung und Zielführung jedoch oft eklektisch. Scheinbar beiläufig und in der historischen Erzählung verborgen entwickeln die beiden Autoren das "Transkulturationsparadigma", das Amerikanisierung von der Rezipientenseite als Prozess der appropriation versteht, als ihr bevorzugtes Erklärungsmodell. In der Hinführung auf den Untersuchungsgegenstand des Bandes, die Alltagskultur, irritiert die Ausführlichkeit, mit der die Verfasser die Unterschiede und Unterscheidbarkeit von Populär- und 'hoher' Kultur diskutieren. Erst mit einigen der späteren Aufsätze wird klar, dass der Band auch die Entwicklung einer 'europäischen' Vorstellung des Populären als Resultat von 'Amerikanisierung' versteht, und die Verhandlung von popular culture an sich unter seinen Untersuchungsgegenstand subsumiert.

Die darauf folgenden Beiträge widmen sich diesem breiten Themenfeld mal mit spezifischen Fallstudien, mal mit eher überblicksartig angelegten oder methodisch interessierten Aufsätzen. Die Herausgeber entschieden sich für ein thematisches (und auch weitgehend chronologisches) Ordnungsprinzip und nahmen damit einen häufigen Wechsel zwischen dem Allgemeinen und dem Spezifischen in Kauf. Unter den AutorInnen finden sich einige bekannte ForscherInnen zu Themen der Amerikanisierung (Kaspaar Maase, Adelheid von Saldern). Die Neugier der Leserin auf das wissenschaftliche Profil der einzelnen Beitragenden wird leider nicht befriedigt.

Der erste Aufsatz von Mitherausgeberin Angelika Linke unternimmt den Versuch, die 'Amerikanisierung' der deutschen Sprache in größere Diskussionszusammenhänge einzuordnen. Ihr thesenhafter Beitrag argumentiert überzeugend, dass das englische Sprachgut im deutschen Lexicon nur die Oberfläche eines fundamentaleren kulturellen Transformationsprozesses darstellt, in Zuge dessen sich eine "sprachliche 'popular culture'" (47) entwickeln konnte.

Sibylle Brändli Blumenbach diskutiert in ihrem englischsprachigen Beitrag 'Manipulation' als Metapher, die ganz verschiedene Ängste im Westeuropa der Nachkriegsjahre fassen konnte – Ängste sowohl vor dem Totalitarismus des Ostblocks als auch vor der massification europäischer Gesellschaften durch 'Westernisierung'. Die Autorin entwickelt dieses Argument anhand einer faszinierenden Fallstudie: einem Schweizer Hörspiel aus dem Jahre 1962, das die in diesen Jahre immer präsentere Werbung kritisiert, indem es sie mit Formen politischer Manipulation zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gleichsetzt. Das Hörspiel wurde wiederum in einer Zeitschrift der Werbeindustrie verschriftlicht und als Beispiel der manipulativen Praktiken des öffentlich-rechtlichen Hörfunks diskutiert. Der Autorin gelingt es in ihren Analysen, die Mischung aus rhetorischen Strategien und gegenseitigen Missverständnissen in ihrer Fallstudie auf äußerst erhellende Weise herauszuarbeiten.

Der Literaturwissenschaftler Michael Böhler bemüht systemtheoretische Modelle, um der geographischen Dimension der 'Amerikanisierung' Europas eine kulturhierarchische Dimension, die zwischen 'high brow' und 'low brow' unterscheidet, hinzuzufügen. Dabei argumentiert er für ein "Zirkulations- und Austauschmodell" (85), das ihm geeignet scheint, die "kulturästhetische Systemdifferenz" (86) zwischen den USA und Europa zu erhellen. Mit anderen Worten, er entwickelt ein Modell, um die 'europäische' Herablassung gegenüber einer als 'amerikanisch' konnotierten Populärkultur (und eines als 'populärkulturell' konnotierten Amerika) abzubilden.

Der Historiker Theo Mäusli beschreibt die Entwicklung des Schweizer Hörfunks ab den 20er Jahren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts als Geschichte der Abgrenzung gegenüber US-amerikanischen Einflüssen. Er möchte aufzeigen, wie das US Radio als Bote einer 'Massenkultur' empfunden wurde, dem 'eigene' Kulturkonzepte entgegenzusetzen waren. Ironischerweise geschah dies in der Schweiz ebenso wie in anderen europäischen Ländern über Konzepte einer 'Volkskultur', die das 'amerikanische' Massenparadigma gleichsam für europäische Empfindlichkeiten der Epoche übersetzte.

Adelheid von Salderns Aufsatz greift die in der Einleitung umrissene Reziprozität transatlantischen Kulturtransfers auf und vollzieht einen Blickwechsel nach Nordamerika. Sie fragt nach der Verhandlung nationaler Identität in den USA der 1920er Jahre in bürgerlich-intellektuellen Zeitschriften. Ihre Analysen, die sie in recht flotter Argumentation vorträgt, ergeben, dass die Ablehnung amerikanischer Massenkultur, die in dieser Epoche verstärkt über den Atlantik kommuniziert wurde, entscheidend zur Entwicklung einer US-amerikanischen Hochkultur beitrug. Der europäische Anti-Amerikanismus, so die Autorin, fungierte quasi als Spiegel, der Intellektuellen in den USA dabei half, genuin 'amerikanische' Kulturleistungen zu definieren.

Kaspar Maase konstatiert in seinem Beitrag zunächst eine deutschen Tradition der Kontroverse um Populärkultur, die typischerweise, wenn auch nicht nur, mit 'Amerika' identifiziert wurde. Er liest diese Kontroversen vor dem Hintergrund der schwierigen Verhandlung von Demokratie im Kontext "autoritäre[r], antirepublikanische[r]" (137) Strukturen. Hauptanliegen des Autors ist es, diese Auseinandersetzungen historisch zu verorten. Zu diesem Zweck spannt er einen Bogen vom 'Schundkampf' im deutschen Kaiserreich zur schrittweisen Normalisierung der Populärkultur in der Bundesrepublik zur Mitte des 20. Jahrhunderts, in der gleichwohl die Echos der 'Schundkampf'-Diskurse nachhallen.

Albrecht Riethmüller beginnt seinen Beitrag mit einem sehr schätzenswerten (und unterhaltsamen) Kommentar über die unterschiedlichen methodischen Gepflogenheiten in Geschichts- und Musikwissenschaft, die sein Aufsatz in gewisser Weise umspannt. Im Folgenden erhellt er das nazi-deutsche Wetteifern mit US-amerikanischer Populärkultur, wiederum mit Hilfe einer äußerst spannenden Fallstudie: dem Musikfilm Heimat (1938), mit Zarah Leander in der singenden Hauptrolle, der sich, in Reibung am so erfolgreichen US Kino, mit größerer Subtilität als andere Filme dieser Jahre in den Dienst nationalsozialistischer Ideologie stellt.

Der Historiker Michael Kater thematisiert die fortdauernde Anziehungskraft US-amerikanischer Populärkultur (insbesondere Film und Musik) im Dritten Reich sowie die Strategien, mit denen rechte Eliten und Machthaber dem begegneten. Sein Aufsatz zeichnet sich besonderes durch die Fülle historischer Details, mit der seine Analyse unterfüttert, aus.

Einen Höhepunkt des Bandes stellt sicherlich der "Illustrationsbeitrag" (28) des Kunsthistorikers Stanislaus von Moos' dar. In einem ebenso innovativen wie überzeugenden Format, das Bild und Text kombiniert, dokumentiert er die europäische Geringschätzung des Disneyschen theme park. Er legt dessen eigentliche Adaption europäischer Architektur und europäischen Städtebaus offen und umreißt die vielfältige Weise, in der der theme park wiederum Einfluss auf Stadtplanung zu beiden Seiten des Atlantiks nahm.

Regula Bochsler beleuchtet die Rolle der GIs, die in der Schweiz der Nachkriegsjahre Urlaub machten, als agents der Amerikanisierung. Die Soldaten, so Bochsler, brachten amerikanische Konsumgüter und –verhalten ins Land, die eine ambivalente Wirkung von 'Attraktion und Abwehr' entfalteten. Diese verfolgt die Autorin insbesondere in der zeitgenössischen Berichterstattung Schweizer Medien.

In einer programmatischen Geste betont Matthias Jung die Bedeutung der sprachwissenschaftlichen Perspektive in der Diskussion von Amerikanisierung. Sein Aufsatz skizziert, einführend und überblicksartig, wie solch ein linguistischer Beitrag aussehen könnte. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf einen geschichtlichen Überblick über die Dynamik des deutsch-englischen Sprachkontakts seit 1945.

Mitherausgeber Jakob Tanner diskutiert die kulturelle Konstruktion von 'Drogen' als transatlantische Transferleistung. In drei verschiedenen Kontexten untersucht er die vielfältigen, hauptsächlich US-amerikanisch-schweizerischen Verweisungszusammenhänge in den Diskursen. Dabei argumentiert er insbesondere, dass sich europäische Auffassungen über die Problematik von Drogen unter Rekurs auf Bilder und Erzählungen aus den USA entwickelten.

Der letzte (und zweite englischsprachige) Aufsatz des Bandes von Jannis Androutsopoulos und Arno Scholz widmet sich der europäischen appropriation von HipHop und greift somit am konsequentesten das von den Herausgebern beschworene Transkulturationsparadigma auf. Der Aufsatz, der sich in seiner Dichte wie die Zusammenfassung eines größeren Projekts liest, verfolgt zwei Ziele: Zum einen will er die Dynamiken der 'Indigenisierung' der US-amerikanischen HipHop Kultur in Europa beleuchten und zum anderen die Aneignungsmuster in verschiedenen europäischen Sprachräumen miteinander vergleichen. Zu diesem Zweck bedienen sich die Autoren eines differenzierten kultur- und sprachwissenschaftlichen Instrumentariums, dessen Effektivität sie an ausgewählten Beispielen demonstrieren.

Insgesamt leistet der Band zweifellos einen wertvollen Beitrag zur Amerikanisierungsforschung. Seine Stärken liegen insbesondere in den Details der Fallstudien; über die Sinnhaftigkeit mancher Verallgemeinerungen lässt sich streiten. Bei aller Schwerpunktsetzung, die das Format eines Sammelbandes mit sich bringt, fällt doch auf, dass sich 'Europa' für den Band auf 'Westeuropa' beschränkt; das sollte nicht selbstverständlich sein. Schließlich ist zu bemerken, dass der rasche thematische und methodische Wechsel der Beiträge hohe Anforderungen an die LeserInnen stellt, zumal einige Aufsätze eher unglücklich strukturiert sind und ihr Erkenntnisinteresse erst recht spät benennen (z.B. von Saldern). Man hätte es ihnen etwas leichter machen können, z.B. indem den Beiträgen abstracts vorangestellt würden. Dies soll jedoch den Verdienst des Bandes, die wissenschaftlichen Debatten über die 'Amerikanisierung' Europas um einige interessante Stimmen bereichert zu haben, nicht schmälern.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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