U. Planert: Nation, Politik und Geschlecht

Titel
Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne


Autor(en)
Planert, Ute
Reihe
Geschichte und Geschlechter 31
Erschienen
Frankfurt am Main 2000: Campus Verlag
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Kaiser, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität

Das Konzept "Nation" in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhundert unter geschlechtergeschichtlichem Blickwinkel zu betrachten, steht im Vordergrund des von Ute Planert herausgegebenen Sammelbandes. Die Nation bot zum einen stände- und klassenübergreifende Identifikationsmöglichkeiten, hatte mithin eine integrative Funktion. Liberale und nationale Gedanken bildeten zunächst eine Einheit. Zum anderen jedoch beinhaltete die Idee der Nation eine ausschließende Funktion, separierte sie doch Fremde, nicht Zugehörige. Dieser Dualismus zwischen Integration und Ausschluß prägt grundlegend die Diskurse zur Nation. 1

Wie stellt sich diese Situation für die Frauen dar? Primär wurde die Nation als männliche Angelegenheit eingeschätzt. Nur wenige frühnationale Denker erwähnen Frauen überhaupt, an eine aktive politische Beteiligung wurde zunächst nicht gedacht. Dennoch waren Frauen keine Fremden, sie wurden für den Aufbau und Fortbestand der Nation notwendig gebraucht. Aus diesem Spannungsverhältnis heraus entwickelten sich im 19. und 20. Jahrhundert unterschiedliche Ansätze und Ansichten zum Verhältnis von Geschlecht und Nation, die letztlich zu einer spezifischen Integration der Frauen in die Nation führten. Dieser spannungsreiche Weg wird im vorliegenden Sammelband, der neben einer Einleitung und einem Forschungsüberblick 15 chronologisch geordnete Aufsätze enthält, präsentiert und analysiert.

Den bürgerlich-normativen (und originär männlichen) Entwürfen zufolge orientierte sich die Integration der Frauen am bekannten Muster der getrennten Sphären einer öffentlich-männlichen und privat-weiblichen Welt. Dieses von der Forschung zunächst übernommene, inzwischen kritisch analysierte Muster "darf nicht mit der Wirklichkeit gleichgesetzt werden"(48), wie die Beiträge des Bandes bestätigen. Das Verhältnis von Norm und Wirklichkeit ist ein zentrales Thema vieler Beiträge. Insbesondere der scheinbare Widerspruch von selbst propagierter privater Weiblichkeit mit unpolitischen Zielen und der tatsächlichen öffentlichen Wirksamkeit der Frauen im nationalen Kontext steht im Vordergrund. Es handelt sich, wie Ute Planert in ihrem umfangreichen und sehr instruktiven Forschungsbericht zusammenfaßt, um eine "Politisierung des weiblichen Geschlechts im 19. und 20. Jahrhundert". Das scheinbar Private wird politisch, die Nation zur erweiterten Familie.

Besonders in Kriegszeiten wird diese Entwicklung deutlich, was von Karen Hagemann am Beispiel der antinapoleonischen Kriege gezeigt wird, die sie als "'Katalysator' für die Nationalisierung der Geschlechterordnung"(105) ansieht. Auf die nationale Politisierung dieser Zeit nahm die Frauenbewegung späterer Jahre in der Tat immer wieder Bezug, weshalb die von Hagemann beschriebene Zeit nicht nur chronologisch an den Beginn des Bandes gehört. "Eingerahmt" werden die Beiträge jedoch durch zwei biographische Skizzen, die gleichsam die Bandbreite der Beiträge abstecken. Ulrike Landfesters primär an der Textanalyse ausgerichteter Aufsatz zu Rahel Varnhagen beschreibt die an Goethe und Fichte orientierte Konstruktion der deutschen Kulturnation um 1800 ebenso wie die lebenslange Ausgrenzung einer Frau jüdischer Herkunft. Zum Schluß des Bandes wird mit Else Frobenius ein geradezu gegensätzlicher Lebenslauf vorgestellt: eine Journalistin, die öffentlich wirksam in zahlreichen Vereinigungen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus kolonialen und nationalen Pathos verbreitete. Der Band enthält eine dritte biographische Studie, in der Ute Planert die Nationsvorstellung Louise Ottos darlegt und die große alte Dame der Frauenbewegung als ein "deutsches Mädchen" vorstellt. Ansonsten findet man vor allem Beiträge zur organisierten Frauenbewegung mit einem Schwerpunkt in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Besonders hervorzuheben ist, daß die "Schattenseiten" der Frauenbewegung vorgestellt, antisemintische, kulturimperialistische und völkische Diskurse analysiert werden, wobei Uwe Puschner seinen Beitrag zum völkischen Frauenbild bewußt "Bausteine" überschrieben hat.

Eine große Zahl der Beiträge behandelt konservative Frauen, was deshalb interessant ist, weil hier der Widerspruch zwischen angeblicher Politikferne und tatsächlicher politischer Wirksamkeit besonders deutlich wird. Andrea Süchting-Hänger untersucht den mit der Rotkreuzbewegung eng verbundenen Vaterländischen Frauenverein im Kaiserreich, der die (Kriegs-)Krankenversorgung zum Ziel hatte und dessen Nähe zum Militär sich sogar in der Übernahme quasimilitärischer Normen wiederfindet. Ungemein politisch war der von Elizabeth A. Drummond vorgestellte Deutsche Frauenverein für die Ostmarken. Der Grund für die aktive Rolle der Ostmarken-Frauen lag darin, daß man die Polinnen als Gefahr und wirksamste Gegner des "Deutschtums" stilisierte, denen deutsche Frauen entgegenzutreten hätten. Drummond macht in ihrem quellengesättigten Beitrag überzeugend klar, daß die deutschnationalen Frauen keineswegs unpolitisch blieben und lokal sogar "als deutlich wirkungsvoller eingeschätzt werden"(158) müssen als die Männer. Für die Zeit der Weimarer Republik wird diese Thematik ergänzt durch einen Beitrag zum Auslandsdeutschtum von Angelika Schaser.

Das Jahr 1908 stellt mit der Zulassung von Frauen zu politischen Verbänden und Parteien durch das Reichsvereinsgesetz einen in mehreren Beiträgen erwähnten Einschnitt dar. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Kirsten Heinsohn zur Reaktion der Frauen auf die so aufgeworfene "Frauenfrage". Der Aufsatz zeigt auf der einen Seite, daß die Diskussion von 1908 zur grundsätzlichen Diskussion des eigenen Selbstverständnisses im politischen Konservatismus geführt hat. Zum anderen zeichnet der Beitrag eine Linie von 1908 über die Gründung der Vereinigung Konservativer Frauen 1912 bis zur expliziten Begrüßung der Mitarbeit von Frauen durch die DNVP 1918/19 "für das, was die deutsche Frau im Kriege geleistet hat"(225). Im Resultat stellt Heinsohn fest: Von "traditionellen konservativen Vorstellungen über Familie und Privatheit, die angeblich nichts mit Politik und Öffentlichkeit zu tun hatten, blieb dabei nicht mehr viel übrig."(229) Die weitere Entwicklung untersucht Raffael Scheck mit einen Blick auf das Verhältnis rechtskonservativer Politikerinnen zur NSDAP 1930-33. Er stellt dabei in DVP und DNVP eine deutliche Ablehung des NS-Frauenbildes, in der DVP zudem Gegnerschaft zu Rassismus und Antisemitismus fest.

Die Problematik von Identität und Alterität wird in den Beiträgen zu jüdischen Frauen besonders deutlich. "Das komplexe und ambivalente Verhältnis von deutschen Jüdinnen/jüdischen Deutschen und 'deutscher Nation' zu erkunden bedeutet, sich auf ein brisantes Forschungsgelände zu begeben"(310), so Birgit Seemann in ihrem Beitrag zum Jüdischen Frauenbund (JFB). Sie zeigt, daß bis zum Jahr 1933 das Selbstverständnis als deutsche Frauen für die Mehrheit der deutschen Jüdinnen prägend war und die Aktivitäten des von 1904 bis 1938 existierenden JFB dabei dem Konzept der deutschen Nation dienten. Das Schicksal der letzten Vorstandsmitglieder Cora Berliner und Hannah Karminski - beide wurden in NS-Vernichtungslagern ermordet - macht den Bruch deutlich, der mit der Shoah eintrat. Der Beitrag Seemanns umfaßt jedoch bewußt auch die Bundesrepublik und damit die Neugründung des Verbandes 1953 und stellt so eine gelungene, zum Nachdenken anregende Annäherung an die Problematik dar.

Der Beitrag von Heidemarie Wawrzyn zum "Antisemitismus in den bürgerlichen Frauenbewegungen" - ohne Zweifel ein wichtiges Thema - läßt jedoch leider viele Fragen offen. Gerne wüßte man Genaueres zur antijüdischen Ausgrenzung innerhalb der Frauenbewegung, die Wawrzyn jedoch nur pauschal anhand von Alterserinnerungen der Beteiligten darstellt. Der Verweis darauf, daß die Stimmrechtlerin Lida Gustava Heymann 1907 für die Ermordung Behinderter plädierte,(187) belegt Inhumanität und eugenisches Denken in der Frauenbewegung. Der pauschale Hinweis: "Doch je mehr diese Gedanken mit dem deutschen Nationalismus und rassistischen Antiseminitismus verschmolzen, desto judenfeindlicher gestalteten sie sich"(187), reicht jedoch nicht aus. Es bleibt zu fragen, wie dieses "Verschmelzen" konkret ablief. "Selbst Jüdinnen vertraten rassehygenische Gedanken"(195, Anm. 32), bemerkt Wawrzyn in einer Fußnote als Beleg für die Aussage, daß "die Verbreitung dieser Ideen noch keine unmittelbaren Auswirkungen"(187) im Kaiserreich hatte. Sie unterläßt es jedoch, den Bezug zum Thema Antisemitismus in der bürgerlichen Frauenbewegung klar zu machen.

Unterschiedlich fallen auch die Beiträge zum politischen Katholizismus und zur Sozialdemokratie aus. Zum einen arbeitet Birgit Sack die spezifischen Bedingungen des Ultramontanismus und die zentrale Rolle des Projekts "Nation" für die katholische Frauenbewegung, insbesondere in der Zeit der Weimarer Republik, überzeugend heraus. Sie betont dabei die Unterschiedlichkeit der Positionen, die z.B. von der pazifistischen Akzeptanz der Versailler Verträge einer Klara Siebert bis zur haßerfüllten Anklage gegen Frankreich durch Barbara Joss reichen. Zum anderen bleibt Heide-Marie Lauterer in ihrem Beitrag zur Sozialdemokratie die Beantwortung der interessanten Frage nach dem Dualismus von Nation und Internationalismus ebenso schuldig wie eine Darstellung der differenzierten Positionen der SPD-Frauen. Zentrale Denkfigur des Aufsatzes stellt statt dessen die politische Opferrhetorik des Jahres 1918/19 dar, wie schon der pathetische Anfang des Beitrags deutlich macht, der mit den Worten: "Am Anfang der Republik stand das Blutopfer"(275) beginnt. Über die Bedeutung des Opfermythos für das Thema "Sozialdemokratinnen und Nation" mag man geteilter Meinung sein, insbesondere da sich die zitierten Aussagen zumeist auf beide Geschlechter, z.T. sogar explizit auf die Männer beziehen. In jedem Fall ist die gewagte These, daß "sich sozialdemokratische Frauen 1918/19 den männlich konnotierten Opfermythos der 1848 Revolution anverwandelt hatten"(286) fraglich und unzureichend belegt.

Etwas aus dem Rahmen fällt angesichts der vor allem an Biographien und Organisationen orientierten Beiträge die interessante Studie zur Bedeutung der "community of German Hausfrauen"(199), die Nancy Reagin zum Thema "Household Mangement and National Identity in Imperial Germany" vorlegt. Reagin untersucht dabei nicht die Realitäten des deutschen Haushaltes, sondern das Selbstbild, das Image von solider Häuslichkeit, Qualitätsarbeit und "blütenreiner" Wäsche, das eine immense Verbreitung fand und Bedeutung für das Bild von Deutschland gewann, somit nationale Identität stiftete. Das hier aufgezeigte Feld der Herausbildung von geschlechtsspezifischer nationaler Identität erscheint als lohnendes Feld weiterer Forschung.

Insgesamt ist vor allem die große Vielfalt der größtenteils überzeugenden Beiträge zu betonen, die in der Zusammenschau einen sehr guten Überblick über die neueste Forschung bieten. Ist die Analyse des Nationalismus der Schlüssel für viele Fragen der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, so kann dieser ohne Beachtung der Kategorie Geschlecht das Thema nicht vollständig aufschließen. Die Bedeutung geschlechtergeschichtlicher Forschung wird durch diesen Band eindrucksvoll belegt.

Anmerkung:
1 Vgl. grundlegend hierzu: Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000.

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