Titel
Unternehmensgeschichte. Eine Einführung in ihre Methoden und Ergebnisse


Autor(en)
Pierenkemper, Toni
Reihe
Grundzüge der Modernen Wirtschaftsgeschichte, 1
Erschienen
Stuttgart 2000: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
DM 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Gorissen, Fak.f.Geschichtswiss., Universitaet Bielefeld

Unternehmensgeschichte hat Konjunktur. Angeregt nicht zuletzt durch aktuelle Diskussionen um die Rolle "der Wirtschaft" im Nationalsozialismus und Fremdarbeiterentschädigung sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Studien zu einzelnen Firmen, vor allem für das 20. Jahrhundert, entstanden, die sich in deutlicher Absetzung von älteren Traditionen einer hagiographisch orientierten Betriebsgeschichte kritisch mit der Entwicklung von Unternehmen und ihren ökonomischen, sozialen und politischen Konsequenzen beschäftigen.

Die Formierung einer "Unternehmensgeschichte" als eigenständiger Teildisziplin der Geschichtswissenschaft steht indes noch immer ganz am Anfang. Zwar werden seit nunmehr fast 25 Jahren vor allem im Kontext der "Gesellschaft für Unternehmensgeschichte" und der "Zeitschrift für Unternehmensgeschichte (ZfU)" vielfältige Diskussionen geführt, mit dem Ziel, die Auseinandersetzung mit historischen Formen des Handelns in Wirtschaftsbetrieben auf sichere wissenschaftliche Fundamente zu stellen. Darüber aber, was Gegenstand, Methode und theoretische Ausgangsbasis einer modernen "Unternehmensgeschichte" sein könnte, existiert noch keine "herrschende Meinung". Gerade in den letzten Jahren erschienen hierzu in der ZfU, aber auch im Umfeld des "Arbeitskreises für kritische Unternehmensgeschichte", zahlreiche weiterführende Beiträge.

Wenn Toni Pierenkemper, seit seiner 1979 veröffentlichten Dissertation über die westfälischen Schwerindustriellen 1 eine der wichtigsten Stimmen auf diesem Feld, jetzt eine Einführung in Methode und Ergebnisse der Unternehmensgeschichte vorlegt, dann mag man sich erhoffen, daß der Autor dieses so sehr im Fluß befindliche Forschungsfeld hier nicht nur absteckt, sondern zugleich Voraussetzungen und Grundlagen erörtert und weiterführende Impulse, wie sie sich in einer synthetischen Perspektive ergeben, anbietet. Um es vorwegzunehmen: Ein Leser mit solchen Erwartungen wird durch das vorliegende Buch weitgehend enttäuscht. Pierenkempers "Einführung" ist über weite Strecken nicht mehr und nicht weniger als ein breit angelegter Literaturbericht, der Ergebnisse der unternehmenshistorischen Forschung, bezogen fast ausschließlich auf das 19. Jahrhundert, referiert, kommentiert und zuweilen auch vergleichend zueinander in Beziehung setzt. Auch zu einer theoretischen Fundierung der Unternehmensgeschichte verharrt der Autor in einer bloß passiv-referierenden Position, zu methodischen Problemen der Disziplin schließlich schweigt er, entgegen der Ankündigung im Titel des Buches, völlig.

Pierenkempers Text ist in drei Teile gegliedert, von denen der erste Teil sich mit den historiographischen Traditionen der Unternehmensgeschichte beschäftigt, während der zweite Teil auf der Grundlage der verfügbaren Literatur einige Probleme der Entwicklung von Unternehmen im 19. Jahrhundert erörtert, bevor ein abschließender dritter Teil einige ökonomische Theorien zum Unternehmen anreißt und das Problem der Verflechtung von "Wirtschaft" und Politik diskutiert. Der erste Teil, mit der Überschrift "Grundlegungen" versehen, konstatiert in einer "Einleitung" zunächst einen "Mangel an theoretischer Fundierung der modernen Unternehmensgeschichte" (S. 13), um in Anschluß eine Reihe von Unternehmensdefinitionen der ökonomischen und soziologischen Literatur vorzustellen, die Pierenkemper allesamt nicht für die historische Analyse geeignet erscheinen.

Die folgenden Abschnitte referieren dann die Traditionen der Firmengeschichtsschreibung in der Bundesrepublik, in den USA im Umfeld der Business History-School und in der DDR, bevor der Autor sich in einem weiteren Abschnitt mit "Theoretische(n) Orientierungen der modernen Unternehmensgeschichte" auseinandersetzt. Auch hier beschränkt sich Pierenkemper wieder darauf, die wenigen Bemühungen aus dem Bereich der deutschen Unternehmensgeschichte um einer theoretischen Fundierung der Disziplin (Hans Jäger, Reinhardt Hanf, Dieter Lindenlaub, Werner Plumpe, Richard Tilly) zu referieren, ohne auch nur übergeordnete Problemkreise zu benennen, an denen künftige Überlegungen und Studien ansetzen könnten. Der eigenständige Beitrag des Autors zur Theoriediskussion beschränkt sich in diesem Abschnitt auf eine Wiederholung seines bereits andernorts vorgetragenen 2 Postulats, die ökonomische Analyse habe im Mittelpunkt zu stehen und die Unternehmensgeschichte habe empirisch-historisch zu verfahren.

Von den 271 Textseiten des Buches entfällt mit 164 Seiten der weitaus größte Anteil auf den mittleren Teil, der wiederum in drei Kapitel gegliedert ist, die sich mit den "strategischen Entscheidungen im Unternehmen", "Personen und Gruppen im Unternehmen" und "Marktregulierungen" durch Konzentration und Kartellierung beschäftigen. Pierenkemper bietet hier eine Überblicksdarstellung zu ausgewählten, aber zentralen Problemen der Unternehmensentwicklung im 19. Jahrhundert. Der Autor weitet hierbei seinen Blick immer wieder über den deutschsprachigen Raum hinaus und bezieht Entwicklungen vor allem in den USA ein, denen seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf vielen Feldern eine Vorreiterfunktion zukamen. Pierenkemper bezieht hier Ergebnisse der sehr weit entwickelte amerikanische "business history" ein.

Hier ist nicht der Ort, Pierenkempers Argumentation in diesem Abschnitt im einzelnen nachzuzeichnen. Der Autor bietet souveräne Überblicke über die Entwicklung von Organisationsformen, über sich wandelnde Finanzierungsmuster und über die verschiedenen im Unternehmen tätigen Personengruppen. Im Abschnitt über "Technik und Produktionstechnologien" hält Pierenkemper der Technikgeschichte vor, sie "konzentriert sich häufig stark auf technische Details und vernachlässigt deren ökonomische Auswirkungen", ohne jedoch durch die eigene Darstellung im Anschluß Wege aufzuzeigen, wie diesen sehr konventionelle Ansatz überwunden werden könnte. Die Frage der Bedeutung technischer Neuerungen für die Unternehmensgeschichte bleibt auch bei Pierenkemper, der dieses Problem am Beispiel der Baumwoll- und der Eisenindustrie erörtert, letztlich in einer Darstellung der altbekannten Abfolge von Erfindungen und Patenten stecken, ohne daß - wie eigentlich zu erwarten und in Fallstudien auch längst geleistet - die für die Unternehmensgeschichte zentrale Frage, wie technische Neuerung und ökonomische Effizienz im betrieblichen Horizont miteinander in Einklang gebracht werden, hier in den Mittelpunkt gerückt wird.

Der dritte Teil, etwas irreführend mit "Wissenschaftliche und praktische Konsequenzen" umschrieben, besteht aus zwei Abschnitten, von den sich der erste nochmals der "Theorie der Unternehmung" (nicht: des Unternehmens!) und der zweite mit dem Problem "Politik und Unternehmung" beschäftigen. Endlich - nach 240 von 271 Textseiten - setzt der Autor doch noch dazu an, sich mit den ökonomischen Theorien zum Unternehmen (resp. "der Unternehmung") auseinanderzusetzen. Was der Rezensent eigentlich als Baustein zu einer "Grundlegung" der Disziplin Unternehmensgeschichte erwartet hätte, faßt Pierenkemper aus nicht weiter ersichtlichen Gründen unter "Konsequenzen". Wichtiger ist jedoch, daß Pierenkemper die überfällige Auseinandersetzung mit den "neoklassische(n), verhaltenswissenschaftliche(n), systemtheoretische(n) und betriebswirtschaftliche(n) Ansätze(n)" nicht wirklich in Form einer konstruktiven Aneignung theoretischer Diskussionen vor allem der Wirtschaftswissenschaften für das Anliegen einer modernen Unternehmensgeschichte führt und die verschiedenen Ansätze prüft, einzelne Elemente aufnimmt und ggf. so weiterentwickelt, daß sie zum Erkenntnisinstrument für Historiker werden können. Pierenkemper verharrt auch hier in der Attitüde eines Referenten, der ohne erkennbares eigenes Engagement und eigenen Standpunkt berichtet - lediglich für die Neoklassik hat er das Attribut "blutleer" (250) parat. Schon die inneren Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Theoriesträngen, vor allem denen der Neoklassik, der Institutionenökonomie und der älteren deutschen Betriebswirtschaftslehre, sind für den Leser dieser "Einführung" nicht hinreichend klar nachvollziehbar. Die wirtschaftswissenschaftlichen Theorien erscheinen hier wie ein bunter Gemischtwarenladen, in dem der Überblick etwas verloren gegangen ist, so etwa wenn Pierenkemper Herbert Simon im Kontext der Betriebswirtschaftslehre abhandelt (253), Douglass North von der "Neuen Institutionenökonomik" absetzt, statt ihn als einen der wichtigsten Vertreter zu profilieren oder Oliver Williamsons Institutionenbegriff als wirklichkeitsfremd charakterisiert, ohne sich mit dessen Unternehmensbegriff auseinanderzusetzen. Die Chancen, die die theoretischen Diskussionen der letzten Jahre vor allem im Umfeld der "Neuen Institutionenökonomik" für die Profilierung einer modernen Unternehmensgeschichte bieten und die andernorts schon ausgelotet wurden 3, werden in dieser "Einführung" leider nicht diskutiert.

Dies liegt jedoch nicht nur daran, daß Pierenkemper die Theoriediskussion am Schluß, gewissermaßen als eine Art Appendix behandelt, sondern vor allem daran, daß seine "Einführung in die Unternehmensgeschichte" auf die Diskussion des zentralen Begriffs dieser Disziplin, nämlich dem des "Unternehmens", fast gänzlich verzichtet. Pierenkemper setzt voraus, daß der Leser seiner "Einführung" schon wissen wird, was mit "Unternehmen" eigentlich gemeint ist, daß er sich vorstellen können wird, was etwa eine "Unternehmensgründung" und wer ein "Unternehmer" ist. Begriffe wie "Unternehmen", "Firma", "Betrieb" oder "Fabrik" werden nicht - wie man vielleicht erwarten könnte - einleitend geklärt und gegeneinander abgegrenzt, sondern völlig beliebig, häufig synonym und frei austauschbar eingesetzt. Das hieraus resultierende Problem liegt auf dem Tisch, wenn man sich der Unternehmensgeschichte von ihren Rändern her nähert, also nicht das Segment der industriellen Massenproduktion des 19. Jahrhunderts vor Augen hat. Wann etwa im Agrar- oder im Dienstleistungssektor die Verwendung des Begriffs "Unternehmen" sinnvoll sein kann, oder unter welchen Umständen für die vor- und frühindustrielle Zeit dieser Begriff angemessen und weiterführend verwendet werden kann - mit solchen Fragen, die doch zur Ausleuchtung der Ränder einer Disziplin diskutiert werden müssen, bleibt der Leser von Pierenkempers "Einführung" auf sich gestellt. Offen zutage liegt die mangelnde begriffliche Schärfe und die konzeptionelle Ratlosigkeit des Buches, wenn man sich nur die wenigen Bemerkungen Pierenkempers zur vorindustriellen Zeit vor Augen führt.

Gerade begrifflich-konzeptionelle Klärungen oder doch wenigsten deren Diskussion stehen jedoch für gewöhnlich im Mittelpunkt einer "Einführung", und diese sollten dann durch eine Vorstellung möglicher methodischer Zugriffe konkretisiert werden, um so dem Leser Hilfestellungen beim schwierigen Geschäft einer Operationalisierung übergeordneter Fragestellungen zu bieten. Leider enttäuscht Pierenkempers "Einführung" auch hinsichtlich der Methodendiskussion. Zu den Quellen der Unternehmensgeschichte, vor allem zu betrieblichen Buchführung, ihrer Entwicklung, ihren Formen und - ganz klassisch historisch - zur Quellenkritik und zum Quellenwert, zu Auswertungsmöglichkeiten und -grenzen - ein schwieriges Feld, für dessen Bestellung kaum Handreichungen existieren - schweigt diese "Einführung" völlig. Wer glaubt, in dieser Einführung zu erfahren, wie man Unternehmensgeschichte betreibt, der sieht sich enttäuscht.

Pierenkempers Buch ist damit keine "Einführung" im strengen Sinne, sie ist vielmehr eine Art synthetisierender Literaturüberblick über Probleme der Unternehmensentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Vielleicht wäre manches Unbehagen bei der Lektüre erspart geblieben, wenn hier nicht schon durch den Titel des vorliegenden Buches zu viele falsche Erwartungen geweckt worden wären.

Anmerkungen:
1 Toni Pierenkemper, Die westfälischen Schwerindustriellen 1852-1913. Soziale Struktur und unternehmerischer Erfolg (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 36), Göttingen 1979.
2 Toni Pierenkemper, Was kann eine moderne Unternehmensgeschichte leisten? Und was sollte sie tunlichst vermeiden, in: ZfU 44 (1999), S. 15-31; zur Kritik vgl. Manfred Pohl, Zwischen Weihrauch und Wissenschaft? Zum Standort der modernen Unternehmensgeschichte. Eine Replik auf Toni Pierenkemper, in: ZfU 44 (1999), S. 150-163 sowie die Antwort Toni Pierenkemper, Sechs Thesen zum gegenwärtigen Stand der deutschen Unternehmensgeschichtsschreibung. Eine Entgegnung auf Manfred Pohl, in: ZfU 45 (2000), S. 158-166.
3 Vgl. etwa Hansjörg Siegenthaler, Geschichte und Ökonomie nach der kulturalistischen Wende, in: GG 25 (1999), S. 252-275 oder die zahlreichen Beiträge von Clemens Wischermann hierzu, zuletzt etwa ders., Unternehmensgeschichte als Geschichte der Unternehmenskommunikation: Von der Koordination zur Kooperation, in: Ders., Peter Borscheid, Karl-Peter Ellerbrock (Hg.), Unternehmenskommunikation im 19. und 20. Jahrhundert (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte 19), Dortmund 2000, S. 31-40.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension