W. Fenske: Wie Jesus zum "Arier" wurde

Titel
Wie Jesus zum "Arier" wurde. Auswirkungen der Entjudaisierung Christi im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts


Autor(en)
Fenske, Wolfgang
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Jede Veröffentlichung weckt die Hoffnung, ungeklärte Fragen beantworten zu können und es liegt in der Natur der Sache, dass dies im gewünschten Umfang nicht immer möglich ist. Dennoch gibt der Titel eines Buches die Richtung an und wirbt die Leser/innen gezielt ein. Wolfgang Fenske hat dies bei der Wahl seines Buchtitels offenbar bedacht. Während der Titel die Genese der Arisierung von Jesus verspricht, lockt der Untertitel mit Aufklärung über die Auswirkungen dieses Phänomens. Der Titel verschweigt jedoch, dass es sich primär um ein Handbuch handelt, das alle wichtigen Autor/innen biobibliografisch erfasst, welche die Idee eines arischen Jesus begründet, etabliert und auf die Spitze getrieben haben. Es steht außer Frage, dass eine solche Übersicht hilfreich ist. Doch der Titel leitet fehl. Mit dem angedeuteten Ungleichgewicht zwischen Titel und Inhalt muss somit die Kritik ansetzten.

Tatsächlich wird der in drei Phasen unterteilte Prozess der Entjudaisierung Christi zwischen 1800 und 1945 auf den ersten vierzehn Seiten vollständig abgehandelt. Die erste Phase („Beginn“, 1800-1880) steht nach Fenske unter dem Schwerpunkt einer von der Romantik geleiteten Rückbesinnung auf das eigene Volk. Die Entdeckung indogermanischer Sprachfamilien, der asiatischen Religionen und die entstehenden Rassetheorien führten zu einer steigenden Wahrnehmung von Jesus als Mensch eines bestimmten Volkes. Die wachsende Kritik am Herrschaftsanspruch der Kirchen und die intensiv betriebene Leben-Jesu-Forschung ermöglichten es schließlich, Jesus von den bisherigen Überlieferungen zu trennen und ihn der Zeit und ihren Bedürfnissen anzupassen. Das eng damit verbundene „Gott-in-uns“-Bedürfnis stellte schließlich seine jüdische Herkunft zur Disposition und führte dazu, Jesus von seiner jüdischen Identität zu lösen. Fenske nennt diese, auf fünf Seiten zusammenrafften Ideenkonglomerate „Schneebälle“ (S. 16), welche zur Lawine geworden in die zweite Phase der Arisierung („Verschärfung“, 1880-1899) führten und in der Forderung einer deutschen, vom Judentum gereinigten Religion mündeten. Dominierten die erste Phase noch Philosophen und Theologen wie Herder, Hegel, Fichte, Schopenhauer, Arndt, Schleiermacher, die eine philosophisch-christologische Distanzierung Jesu von seinem Volk vornahmen, verlagerte sich der Kern der Argumentation nun auf rassistische, antisemitische Deutungsmuster. Wichtige Propheten waren hierbei Lagarde, Wagner, Stoecker, Dühring und Theodor Fritsch. Allerdings finden sich weiterhin nicht rassisch argumentierende Vertreter wie Nietzsche oder Friedrich Naumann. Phase drei („Verbreitung“, 1899-1945) bot letzten Endes ein Fülle verschiedenster Arisierungsvarianten. Um „hellhörig zu machen für Formeln, Aussagen, die 1945 überlebt haben“ (S. 30) bietet Fenske einen Ausblick auf die Zeit nach 1945. Deren gesellschaftliche, religiöse Reichweite bleibt jedoch unklar. Gleiches gilt für die Artikel der insgesamt 77 untersuchten Autor/innen. Nach einigen biografischen Daten folgt eine Passage mit Zitaten, in deren Anschluss Fenske die zentralen Momente der Argumentation erläutert. In welchem politischen, ideologischen oder gesellschaftlichen Kontext sich die behandelte Autor/in bewegte, welche Auflagenzahlen ihre Schriften hatten, wen sie erreichten und wer sie rezipierte, bleibt weitestgehend außer Acht.

Fenskes Phasen und Artikel sind schwer zu lesen und wenig erhellend. Gleiches gilt für die über das Buch verteilten dreizehn Exkurse, die über themenbezogene Begriffe informieren wollen. Simple und mitunter naiv anmutende Erklärungsmodelle stehen neben interessanten Kommentaren und Analysen. Zudem bleiben die Begrifflichkeiten unscharf. So setzt Fenske unbegründet rassistische und völkische Interpretationsweisen voneinander ab (S. 152) oder unterstellt ausgerechnet den Völkischen, sie hätten durch die Verbindung von Rasse, Kultur und Lebensraum den Rassebegriff aufgeweicht, da er dadurch „weniger biologisch nachweisbar“ sei (S. 237).

Der Grund für diese analytischen und inhaltlichen Schwächen liegt im völligen Verzicht auf die Einordnung des Themas in seine historischen, gesellschaftspolitischen, kultur-, sozial- oder religionswissenschaftlichen Zusammenhänge. Ideolog/innen, Philosoph/innen, Theolog/innen, Intellektuelle, freischaffende Schriftsteller/innen oder verbeamtete Wissenschaftler/innen verschiedenster politischer und religiöser Anbindung stehen nebeneinander. Was sie eint, trennt oder Bezug aufeinander nehmen lässt, bleibt weitestgehend im Dunkeln.

Es fehlt aber nicht nur an Kontextualisierung. Wenngleich Fenske immer wieder das Bestreben, Jesus zu arisieren, energisch verurteilt, macht er deutlich, dass die von ihm behandelten Autor/innen „sich nicht mehr wehren können“, weshalb „die Selbstgerechtigkeit der Spätergeborenen“ (S. 7) seine Arbeit nicht bestimmen werde. Es gehe ihm nicht um „die ideologisch-politische Verstrickung der Einzelnen, sondern um deren Aussagen zu Jesus Christus“ (S. 8). Während man noch über einen Terminus wie „Selbstgerechtigkeit der Spätergeborenen“ im Zusammenhang mit dem Verzicht auf eine kritische wissenschaftliche Analyseebene nachsinnt, fragt man sich, für wen eine derart eindimensional angelegte Veröffentlichung gedacht ist. Der Autor selbst sieht in seinem Buch eine „Anregung für den Unterricht“. Schüler/innen könnten so die Autor/innen einordnen und eine „kaum merkliche, aber fortschreitende Ideologisierung“ erkennen (S. 8). Bemerkenswert ist diese Intention insofern, als Fenske auf die heutige gesellschaftliche Relevanz und Erscheinung derartiger Tendenzen kaum eingeht. Irritierend mutet zudem sein Hinweis an, das Buch könne Studierenden dienen, die solche Aussagen „nicht sachgemäß einordnen“ könnten, „abgesehen davon, dass sie, was die gegenwärtige Forschung betrifft, irregeführt werden“ (S. 26). Welche irreführende Forschung gemeint ist, bleibt ebenfalls unklar. Stattdessen nimmt die Arbeit auf den letzten 20 Seiten die Form eines belehrenden Schulbuchs an und listet Gründe auf, warum jeder Arisierungsversuch historisch wie theologisch falsch ist. Auf die Motive derer, die es getan haben, geht auch dieser Teil nicht ein.

Fenskes Arbeit ist für die Leser/innen in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Die detaillierte Kenntnis und Aufarbeitung der Quellen verdient Respekt. Zudem wird deutlich, dass er sich mit dem historischen Rahmen der Ideengeschichte befasst hat. Nur behält er sein Wissen trotz einiger pointiert und analytisch anregend dargestellter Ergebnisse für sich. Zu Gunsten eines lehrbuchhaften Handbuches verzichtet er auf komplexere Untersuchungsebenen und mutet den Leser/innen eine inhaltlich rudimentär und stilistisch nur schwer lesbare Darstellung zu. Fußnoten sind rar und lassen fast immer die erhofften Nachweise vermissen. Dafür ergehen sie sich in abwegigen Anmerkungen oder textlichen Erweiterungen. Viele Erklärungsansätze greifen zu kurz oder sind nicht nachvollziehbar. Etwa das Argument, die Schaffung eines neuen Jesusbildes hätte „zur Stabilisierung und Orientierung der Gesellschaft“ (S. 9) gedient. Gleiches gilt für einige allzu naiv-belehrenden Analysen. So etwa die Anmerkung, dass es die „selbsternannten Kinder der ‚Arier’“ ehre, wenn sie einen liebevollen Gott-Vater entwerfen, dieser aber dennoch ein Kunstprodukt sei, „das häufig lieblos gegen andere gewandt wurde“ (S. 242). Vor dem Hintergrund der brutalen antisemitischen Agitation der Deutschen Christen stößt eine solche Wertung bitter auf und hat sicher nichts mit oben genannter „Selbstgerechtigkeit“ zu tun. Semantische Fehlgriffe wie die französische „Gleichschaltung der Kultur“ (S. 11) zu Lebzeiten Herders vermitteln hingegen das Gefühl, dem Autor selbst fehle es an wissenschaftlicher Sensibilität.

Zu den inhaltlichen Schwächen kommen formale, die den Umgang mit dem Buch unnötig erschweren. Die erwähnten dreizehn Exkurse sind unsystematisch über das Buch verteilt, fehlen im Inhaltsverzeichnis und werden erst in dessen Anschluss aufgeführt. Eine Reihe von ebenfalls eingestreuten „Zwischenergebnissen“ sucht man im Inhaltsverzeichnis hingegen vergebens. Dies wiegt umso schwerer, als sie die beste Orientierung im Buch bieten, unter vergleichender Perspektive die Besonderheiten der einzelnen Phasen und ihrer Autor/innen prägnant zusammenfassen und die Ergebnisse kompakt bündeln. Die behandelten Autoren finden sich im Personenregister (S. 264) wieder, wobei ihre Nennung im Buch nur in minimaler Auswahl angegeben wird. Will man also wissen, wo etwa ein Lagarde Erwähnung findet, so hilft das Register mit zwei Seitenangaben zu ihm wenig. Die Arbeit eines Lektors wäre somit in mehrfacher Hinsicht wünschenswert gewesen. Nicht nur in Bezug auf den Titel.